Wiederholung im Ersten

"Tatort: Anne und der Tod" – einer der besten Fälle aller Zeiten

24.07.2022, 08.29 Uhr
von Eric Leimann

Das Gute an der "Tatort"-Sommerpause ist, dass am Sonntagabend im Ersten so manche Krimi-Perle wiederholt wird. So wie dieser Fall aus Stuttgart aus dem Jahr 2019.

ARD
Tatort: Anne und der Tod
Kriminalfilm • 24.07.2022 • 20:15 Uhr

Bevor der "Tatort: Anne und der Tod" (Erstausstrahlung: Mai 2019) zwei Minuten alt ist, hat er schon zweimal gelogen. Er tut dies – für den Zuschauer klar ersichtlich – in Person einer sympathisch wirkenden Frau um die 40, die zwei Telefonate führt. Eines mit ihrer Arbeitgeberin, bei der sie sich mit Brechdurchfall abmeldet, und eines mit dem Sohn, dem sie eine Doppelschicht vorgaukelt – weswegen "die Mama" heute später nach Hause kommt.

Tatsächlich sitzt Anne Werner (Katharina Marie Schubert) jedoch in einem Verhörraum der Stuttgarter Kripo. Nach den telefonischen Abmeldungen, mit denen der Film beginnt, betreten die Kommissare Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) das Zimmer. Anne Werner, die als mobile Altenpflegerin arbeitet, wurde geladen, weil binnen kurzer Zeit zwei ihrer Patienten direkt nach ihrem Besuch aus dem Leben schieden.

Paul Fuchs (Harry Täschner) war alt und bettlägerig, aber gesundheitlich stabil. Seine junge Ärztin (Julia Schäfle) hegt den Verdacht, es könnte ein lebensnotwendiges Medikament weggelassen worden sein. Auch Christian Hinderer (Christoph Bantzer) war alt und sehr schlecht zu Fuß. Als er tot am Fuß einer Treppe gefunden wird, beschuldigt seine Witwe die Altenpflegerin, ihn hinuntergestoßen zu haben. Ein langes Verhör, in dem die Kommissare jedes Detail von Annes Wirken durchleuchten, beginnt.

Anne-Darstellerin Katharina Marie Schubert ist zum Niederknien gut

Dass dieser Stuttgarter "Tatort" ungewöhnlich fesselnd ist, liegt zu einem guten Teil an der Figur der Anne Werner, die Charakterdarstellerin Katharina Marie Schubert (Nominierung für den Deutschen Fernsehpreis 2020 als "Beste Hauptdarstellerin") zum Niederknien stark spielt. Die Altenpflegerin ist bei fast jedem ihrer Kunden und den Kollegen äußerst beliebt. Eine fähige Fachkraft mit Herz. Eine kluge, warmherzige Frau. Eine, die mit hohen Wertestandards unterwegs ist und die nach Aussage aller, die sie kennen, niemals etwas Unkorrektes tun würde. Kann es wirklich sein, dass eine solche Sympathieträgerin – alleinerziehende Mutter, warmherzige Idealistin, Heldin der Arbeitsfront – kaltblütig zwei alte Menschen ermordet hat?

Während der über volle 90 Minuten stets spannende, inspirierende "Tatort" voranschreitet, möchte man den Kommissaren irgendwann durch den Fernseher zurufen: "Nun lasst doch mal die arme Frau in Ruhe." Doch für die Ermittler ergeben sich eben Ungereimtheiten in den Ausführungen Anne Werners, die sie das Verhör fortsetzen lassen und dem Zuschauer das emotionale Gnadengesuch für die tolle Episoden-Hauptdarstellerin verwehren.

Dabei spielen Drehbuchautor Wolfgang Stauch ("Tatort: Vier Jahre") und der junge Regisseur Jens Wischnewski ("Die Reste meines Lebens") ziemlich herausfordernd mit der Aufmerksamkeit des Zuschauers. Nicht immer wird chronologisch erzählt, nicht immer sieht man im Bild das, was die Stimme Anne Werners aus dem Verhör-Off erzählt.

Ein schroffer, kühler oder gar deprimierender Film ist "Anne und der Tod" dennoch nicht, obwohl das beim Thema Pflege naheliegt. "Im toten Winkel", ein Bremer "Tatort" aus dem Frühjahr 2018, hatte Not- und Missstände rund um bedürftige Alte und Schwerkranke schon vor "Anne und der Tod" im Stile eines klassischen Sozialdramas inszeniert. Durchaus stark, aber auch reichlich freudlos. "Anne und der Tod" glänzt dagegen mit subtilem, schwarzen Humor und einer fast französischen Leichtigkeit. Dies liegt am trockenen Witz der Ermittler, der imponierenden Leistung einer Riege älterer Schauspieler, die die Pflegebedürftigen verkörpern, sowie der spannenden Bild- und Tonmontage (Deutscher Fernsehpreis Barbara Brückner für den "Besten Schnitt").

Tatort: Anne und der Tod – So. 24.07. – ARD: 20.15 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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