Wenn das Pyramidensystem Menschenleben kostet
Im neuen "Tatort: Pyramide" ermitteln die Kommissare Ballauf und Schenk in einem klassischen Pyramidensystem. Während die hart arbeitenden Angestellten leer ausgehen, schwimmen die Bosse im Geld...
Es gibt Fernsehfieslinge, die sind so böse, dass man es kaum glauben kann. Und damit sind nicht etwa Mörder gemeint. Ob nämlich Christopher Kormann (Robin Sondermann), Chef eines Finanzdienstleisters mit dem schönen Namen "Concreta", tatsächlich jemanden umgebracht hat, ist im neuen Kölner "Tatort: Pyramide" mit Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Schenk (Dietmar Bär) fast schon von untergeordneter Bedeutung. Tatsächlich liegt ein Verbraucheranwalt tot in seiner Kanzlei. Doch viel wichtiger ist: Christopher Kormann ist der Teufel! Einer, der andere für sich arbeiten und schlechte Dinge tun lässt.
Eines dieser armen Schweine ist der ehemalige Bundeswehrsoldat Andrè Stamm (Rouven Israel). Der junge Vater in spe möchte seiner Frau Anja (Roxana Samadi) mehr bieten als nur eine winzige Mietwohnung und Mobilität via öffentlicher Nahverkehr. Da trifft es sich gut, dass ihn sein ehemaliger Kamerad Rocko (Oleg Tikhomirov) anspricht, der mittlerweile bei einer Investment-Firma zum Topverkäufer aufgestiegen ist. Ein Test mit Andrè als Telefon-Seller läuft super. Deshalb darf der junge Mann bei "Concreta"-Chef Kormann vorstellig werden, der ihm als "Toptalent" ein Angebot macht: Wer im Laden des stets ironisch aufgeladenen Finanzgurus ordentlich verkauft – bei winzigem Grundgehalt – hat bald einen schicken Sportwagen sowie ein Luxus-Apartment im persönlichen Portfolio.
Die ungewöhnliche Erzählstruktur funktioniert
Trotz Zweifel seiner schwangeren Frau Anja (Roxana Samadi, "Para – Wir sind King") hängt sich Andrè ab sofort ordentlich in seinen Verkaufsjob rein. Bald holt er Familie und Freunde ins Boot, denn ohne Investoren aus dem nächsten Umfeld, die ihrerseits eigene Leute ansprechen, funktioniert ein "Strukturvertrieb" – die namengebende "Pyramide" – eben nicht. Ziel des Ganzen sind Provisionen, die vom Boden des "Bauwerks" an die Spitze weitergegeben werden. Und da thront bekanntlich Chef Kormann.
Wie passen die bodenständigen Köln-Ermittler Ballauf und Schenk in dieses Bild? Dies gelingt dem trickreichen Autorenduo Arne Nolting und Martin Scharf mit einem Kunstgriff. Ihr Film (Regie: Charlotte Rolfes) erzählt seine Geschichte nämlich nicht linear, sondern steigt zu einem Zeitpunkt ein, da die Geschäfte und auch die Launen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie der Kunden von "Concreta" komplett aus dem Ruder laufen. Es kommt zu Gewalt und Verzweiflungstaten, die zwischen ernsthaftem Thriller und bitterer schwarzer Komödie schwanken. Zwischendurch wird als Rückblende die in Kapitel der Täuschung und des Niedergangs unterteilte Geschichte von Verkäufer Andrè erzählt. Wem dies ein wenig konfus vorkommt, keine Sorge – der Film funktioniert trotz seiner etwas ungewöhnlichen Struktur mit Zeitsprüngen doch recht gradlinig.
Finanz- und Thrillerfarce aus Köln
Einzig und allein die Kommissare, mittlerweile tief in ihren 60-ern, schauen bei so viel Turbokapitalismus und Finanzgier manchmal verständnislos aus der Wäsche. Dies ist definitiv nicht mehr die Welt der alten Köln-Buddys mit ihrem deutlich sichtbaren moralischen Kompass. So wirken Szenen, in denen der völlig überdrehte Christopher Kormann, den Robin Sondermann nahe der Parodie gibt, und die leutseligen Ermittler zusammenkommen, fast ein bisschen, als würden sich zwei Welten begegnen, die rein gar nichts miteinander anfangen können.
Sicherlich ist nicht alles am neuen Kölner Fall geglückt. Manche Täuschungen und Motivationsreden sind schon arg von der Stange. Es fällt schwer zu glauben, dass Menschen heutzutage noch so naiv sind, wie sie hier in manchen Szenen beschrieben werden. Dennoch hat der "Tatort" von Nolting und Scherf Qualität. Dass die beiden es können, haben sie nicht nur mit ihrer Erfolgsserie "Club der roten Bänder" bewiesen, sondern auch beim "Tatort". Zum Beispiel mit so klug gebauten Folgen wie "Alles was Sie sagen", dem besten "Tatort" mit Wotan Wilke Möhring und Franziska Weisz, oder auch dem Kölner Fall "Spur des Blutes", in dem sie Kriminaltechnikerin Natalie (Tinka Fürst) ein furioses Solo auf den Leib schrieben.
Und zu noch etwas anderem ist der mit Thriller-Elementen spannungsaufgebockte Krimi gut: Die Idee des Systemvertriebes wird so anschaulich beschrieben, dass man nach Ansicht des "Tatorts" Abstand davon nehmen wird, Teil einer "Pyramide" zu sein. Verwandt sind Strukturvertriebe mit dem berühmt-berüchtigten Schneeballsystem. Geld verdient wird – oben – dann, wenn die Pyramide nach unten hin immer breiter wird, also immer mehr Menschen mitmachen. Wer der allerhässlichsten Fratze des Kapitalismus nicht gegenübertreten will, sollte von solchen Geschäften im persönlichen Umfeld ohnehin Abstand nehmen. Was passiert, wenn man es nicht tut und der menschlichen Gier Tür und Tor öffnet, zeigt die Finanz- und Thriller-Farce "Tatort: Pyramide" aus Köln ziemlich gut.
Tatort: Pyramide – So. 14.01. – ARD: 20.15 Uhr
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH