Torsten Körner drehte Merkel-Doku

"Niemand ist 16 Jahre Bundeskanzlerin ohne einen starken Machtwillen"

21.02.2022, 17.48 Uhr
von Eric Leimann

Torsten Körner gilt als einer der besten Dokumentarfilmer Deutschlands. In einer Doku blickt er nun auf die Karriere von Angela Merkel zurück. Im Interview gibt er seine eigene Einschätzung zur Altkanzlerin ab.

16 Jahre lang war Angela Merkel Bundeskanzlerin. Dokumentarfilmer Torsten Körner ("Schwarze Adler", 2021) reflektiert diese lange Wegstrecke in seinem 90 minütigen Dokumentarfilm "Angela Merkel – Im Lauf der Zeit". Zuvor hatte er die Kanzlerin zu einem zweistündigen Interview – ihrem letzten im Amt – getroffen. Am Dienstag, 22. Februar, 20.15 Uhr, ist die Filmbiografie zunächst bei ARTE zu sehen. Das Erste sendet das spannende Merkel-Porträt am Sonntag, 27. Februar, um 21.45 Uhr. Eine TV-Kritik zur Doku lesen Sie hier.

prisma: Sie haben Angela Merkel zu ihrem letzten Interview im Amt getroffen. Wie war Sie drauf?

Torsten Körner: Erstaunlich normal. Ich hätte gedacht, dass man ihr zwei Tage vor Ende der Kanzlerschaft den nahenden Abschied anmerkt. Viele hätten in einer solchen Situation vielleicht eine heitere Gelassenheit an den Tag gelegt. Oder sie wären aufgekratzt, melancholisch, irgendwie anders gewesen. Sie wirkte extrem stimmungsstabil. Hätte mir jemand gesagt, dass Angela Merkel noch eine Legislaturperiode vor sich hat, ich hätte es geglaubt. Sie strahlte nicht diese Aura des Abschieds aus.

prisma: Sie haben die Kanzlerin für den Film nur einmal getroffen. Reichte das aus, um sie zu verstehen?

Körner: Ich habe die Kanzlerin ja seit vielen Jahren regelrecht studiert, Archive durchforstet, Material verdichtet, bin als Beobachter stets am Ball geblieben. Zwei Tage vor dem Ende ihrer Amtszeit haben wir dann zwei jeweils einstündige Interviews geführt, die wegen Corona oder anderer Krisen mehrfach verschoben wurden. Aber letztlich ist Angela Merkel, wenn sie einmal etwas zusagt, extrem verlässlich.

prisma: Sie haben schon 2016 einen Merkel-Film gedreht, was hat Sie damals an ihr interessiert?

Körner: Ich habe davor Biografien über Heinz Rühmann, Götz George oder Willy Brandt geschrieben. Weil ich Figuren oder Ikonen spannend fand, in denen sich deutsche Geschichte spiegelt. Zur Riege dieser Ikonen gehört Angela Merkel natürlich auch. Deshalb fand ich sie schon lange spannend. Wenn man sich auf Merkel einlässt, lässt man sich auf eine ganze Welt ein.

prisma: Wie sieht also die Welt der Angela Merkel aus?

Körner: Ihre Welt war, so lange sie als Politikerin agierte, ein unablässiges Aushandeln von Kompromissen und Konsensformeln – zugleich ein stetiges Machtbehauptungsspiel. Auf der Ebene der Macht überlebt man nur, wenn man ein extrem feines Sensorium für das fragile Gefüge der Macht hat. Es ist faszinierend zu verfolgen, wie diese Seiteneinsteigerin in die Politik, das "eiserne Mädchen" aus dem Osten, die Nachfolgerin von Helmut Kohl wurde, und dass ausgerechnet die CDU, die die Frau eher immer traditionell dachte, zum Sprungbrett für die erste Kanzlerin wurde. Um auch die große Widersprüchlichkeit in der Figur Angela Merkels abzubilden, habe ich sehr verschiedene Menschen interviewt, von Barack Obama bis hin zu einer 16-jährigen Schülerin, die nur Merkel als Kanzlerin kennt.

prisma: Viele haben sich über Merkel am Anfang ihrer Karriere lustig gemacht. Sie schien sämtliche Klischees einer Quotenfrau in Kohls Kabinett zu erfüllen: jung, blass, scheu und leicht zu führen. Warum hat gerade Merkel es allen gezeigt?

Körner: Sie hat sicher schnell gelernt. Man hat sie aber auch von Anfang an unterschätzt. Ihr fehlte dieses Show-Gen, das viele westdeutsche Politiker ausmacht. Sie hatte keine klassische Parteikarriere hinter sich und war deshalb unbelastet und ungeschliffen. Aber eben sehr klug und eine gute Beobachterin. Als überzeugte Naturwissenschaftlerin war ihr dieser ganze Ego-Show-Ansatz, diese Simulation von Wichtigkeit und Größe, immer suspekt. Was sie von den meisten Politikern unterschied: Sie musste nicht zeigen oder beweisen: "Schaut her, ich habe Charisma oder eine große Erzählung." Sie hatte keins von beiden. Trotzdem wurde sie Bundeskanzlerin und blieb 16 Jahre im Amt.

Gefühlsgeflutete Augen? "Merkel ist das nicht passiert"

prisma: Wie hat sich Merkel in Ihrer letzten Legislaturperiode verändert? Sie haben den Vergleich der langen Interviews von 2016 und 2021 ...

Körner: Ich würde es mit der Fotografin Herlinde Koelbl sagen, die Merkel oft fotografierte und im Film sagt, dass sich das Leben langsam aus dem Körper zurückzieht und sie müder wirkte. Der politische Körper in Extrembeanspruchung neigt zur Erstarrung. Trotzdem wirkte sie nach wie vor agil, sachlich, zuversichtlich. Sie trug nicht diese große Verletztheit vor sich her, die man von Männern kennt, die ihre Macht abgeben. Sie ist ja auch die erste deutsche Regierungschefin der Nachkriegszeit, die ihr Amt selbstbestimmt aufgibt. Sie ist kontrolliert. Man hat es auch beim Großen Zapfenstreich gesehen: Da hatten Kohl oder Schröder gefühlsgeflutete Augen. Merkel ist das nicht passiert.

prisma: Sie erwähnen Kohl und Schröder, klassische Machtmenschen. Merkel strahlte diesen Machtwillen nie aus. War sie überhaupt ein Machtmensch?

Körner: Niemand ist 16 Jahre Bundeskanzlerin ohne einen starken Machtwillen. Als "brave Hausfrau" kann man auf dieser Ebene der Politik nichts werden, sagt Timothy Garton Ash in unserem ersten Merkel-Film. Sie hatte auf jeden Fall diesen Machtwillen. Zum Beispiel, als sie Friedrich Merz als Fraktionsvorsitzenden ablöste oder sich 1999 über einen Zeitungsartikel klar von Kohl und auch Schäuble distanzierte. Damals räumte sie beide ab, um anschließend den Parteivorsitz zu übernehmen. Der Machtwille stand jedoch nicht am Beginn ihrer politischen Karriere, so wie bei anderen Politikern. Friedrich Merz, Roland Koch oder auch Christian Wulff hatten alle relativ früh in ihrer Karriere das Ziel Kanzleramt. Merkel hatte dieses Ziel am Anfang sicher nicht. Sie wurde erst auf der Strecke zu einer sehr gewieften Machtpolitikerin.

prisma: Aber braucht Angela Merkel die Macht für ihr Ego?

Körner: Ich denke, dass die Macht auch für sie eine hohe Form der Selbstbestätigung war. Dass sie all diese westdeutsch geprägten Männer hinter sich gelassen hat, das gab ihr schon etwas. Auch, dass sie die Macht über so lange Zeit behauptete. Öffentlich hätte sie das aber nie durchscheinen lassen. Und sie konnte sich sehr viel besser von der Macht lösen, als viele andere vor ihr.

prisma: Haben Sie im Gespräch mit ihr das Thema "was kommt nach dem Kanzleramt" angesprochen? Die Frage wird im Film nicht gestellt ...

Körner: Ich habe sie nicht gestellt, weil sie vorher schon klargemacht hatte, dass sie sich dazu nicht äußern würde. Sie gab zum Abschied der Süddeutschen, der FAZ und der Deutschen Welle ein Interview. Wir waren die einzigen, soweit ich es sehe, die ein Fernsehinterview für eine Dokumentation machen konnten. Weil die anderen früher dran waren, wusste ich: Sie würde auf eine solche Frage nicht antworten. Und Merkel bleibt immer bei ihrer Haltung, wenn sie sich so etwas vorgenommen hat.

"Sie hat alles gegeben"

prisma: Haben Sie ein Gefühl dafür, wie sie ihren Nachlass geregelt findet?

Körner: Sie sagte in einem der Interviews zuvor, dass sie ruhig schlafen könne mit dem Gedanken daran, dass Olaf Scholz die Macht übernimmt. Das hat ihr keine Kopfschmerzen bereitet. Nach den Gesprächen, die ich mit ihr am 6. Dezember geführt habe, hatte ich den Eindruck, dass sie mit sich im Reinen ist, was ihre Amtszeit und ihren Abschied betrifft.

prisma: Wann ist Angela Merkel mit sich im Reinen?

Körner: Ich glaube, sie fand, dass sie alles, was in ihrer Kraft stand, nach ihren Möglichkeiten bearbeitet hatte. Und alles, was sie nicht geschafft hat, das ging über ihre Kraft hinaus. Klar sah sie Baustellen, da hätte sie gern mehr geschafft. Ob das nun die Klimafrage war oder die Ukrainekrise. Aber sie sah da eben keine Möglichkeiten mehr für sich, mehr zu schaffen. Sie hat alles gegeben.

prisma: Hätten Sie Lust auf einen dritten Merkel-Film? Oder ist sie nun als Rentnerin nicht mehr interessant?

Körner: Das Wort Ruhestand wirkt komisch im Zusammenhang mit Kanzlern, in Hinblick auf Angela Merkel erst recht. In fünf oder zehn Jahren wird sich unser Blick auf Merkel noch mal verändert haben. Wenn die Ära Olaf Scholz vorbei ist, wenn es denn eine Ära wird, kann man ihr Wirken auch noch mal besser beurteilen. Bis dahin wird Merkel ihre politischen Memoiren geschrieben haben, das hat sie ja schon angekündigt. Ich denke, spätestens dann könnte ein neuer Film über sie durchaus interessant werden. Sie ist und bleibt eine charismatische Figur der deutschen Geschichte.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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