Berlin 1933 - Tagebuch einer Großstadt
24.01.2023 • 20:15 - 21:45 Uhr
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Originaltitel
Berlin 1933 - Tagebuch einer Großstadt
Produktionsland
D
Produktionsdatum
2022
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Vom dünnen Firnis der Zivilisation

Von Wilfried Geldner

Der Zweiteiler von Volker Heise gibt einen Querschnitt durch das Jahr 1933 in Berlin. Anhand von Tagebuchaufzeichnungen, Briefen, Fotos und Filmen nimmt der Film die Perspektive der Menschen von damals ein.

Wie aus einer pulsierenden Weltmetropole innerhalb weniger Monate 1933 die Hauptstadt des Dritten Reiches wurde, wird im Doku-Zweiteiler von Volker Heise eindrücklich erzählt: In Berlin mehren sich die Straßenkämpfe, das neue Jahr soll eine Entscheidung bringen, die ganze Stadt steht unter einem gewaltigen Druck. Der Autor versucht, wie bereits in seinem Werk "Berlin 1945 – Tagebuch einer Großstadt", in "Berlin 1933 – Tagebuch einer Großstadt" die Tragik des Augenblicks aus der Perspektive der Zeitgenossen zu erzählen, aus der Sicht der Opfer und Täter, der Mitläufer und der Eingeschüchterten, der Gefangengenommenen und der Geflüchteten.

Geschichte – nicht aus der bequemen Position der Nachgeborenen

Die Idee sei, so Heise, "nicht aus der bequemen Position der Nachgeborenen zu urteilen, eine Art Feldherrenhügel einzunehmen, der einen objektiven Gesamtüberblick zu bieten scheint, sondern die Position der Menschen einzunehmen, die mitten in den Ereignissen stecken". 90 Jahre nach der Machtübernahme durch Adolf Hitler erscheine ihm dies umso wichtiger, "als die eigentlichen Zeitzeugen immer älter und immer weniger werden und Erinnerungen oft ihre eigenen blinden Flecken haben". Zum Hochmut aus sicherer Distanz bestehe kein Grund, weiß Heise. "Es lässt sich leicht sagen, der Firnis der Zivilisation sei dünn, aber wie zerbrechlich er wirklich ist, weiß man im schlimmsten Fall erst, wenn es zu spät ist."

Als Hitler am 30. Januar zum Reichskanzler ernannt wird, hat er – wie schon sein Vorgänger Kurt von Schleicher – keine Mehrheit im Parlament. Doch mit Notverordnungen nach dem Reichstagsbrand am 28. Februar, erst recht mit dem Ermächtigungsgesetz vom 24. März reißen die Nationalsozialisten die Macht an sich. Tausende werden verhaftet, darunter Intellektuelle, vor allem auch Kommunisten und Sozialdemokraten.

Auch, wenn bekannte Ereignisse im Kommentar vermittelt werden, so ist doch die Nähe bedrückend, die Briefe und Tagebücher vermitteln. Da ist der Arzt, der eher unbekümmert der SA beitritt und fast unbeschwert von deren übler Gewalttätigkeit berichtet. Tondokumente legen Zeugnis von ersten Belagerungen jüdischer Geschäfte und vom Hass gegenüber den Geschäftsleuten ab. Eine leitende jüdische Ärztin kann die Umtriebe der Nazis nicht verstehen, bis sie Hakenkreuz tragende Frauen unter ihren Patientinnen sieht und schließlich in einem Schreiben "gebeten" wird, Ihre "Tätigkeit als leitende Ärztin einzustellen".

Viele glaubten, wie der Schriftsteller Harry Graf Kessler, bis kurz vor seiner Verhaftung, alles sei "ein böser Traum", aus dem sie plötzlich erwachen würden. Doch der Spuk ging bekanntlich nicht vorbei, er wurde immer größer.

Die Nahaufnahmen gehören dann doch wieder den bekannten Protagonisten. Abschreckender noch als Hitler krächzt Goebbels, wenn er die Linke baumeln lässt und vom "Ausrotten" spricht "mit Stumpf und Stiel". Hitler selbst hat offensichtlich jede Geste einstudiert, lässt den Viertelstunden-Jubel über sich ergehen, bis er lässig abzuwinken versucht. "Tausende Menschen sind aufgesprungen", berichtet eine französische Journalistin, "im Saal herrscht eine bösartige Heiterkeit". Goebbels setzt auf die 20 bis 30 Millionen an den Volksempfängern und erkennt: "Die Rede des Führers wird uns als Propagandawaffe unentbehrlich sein." Die Medien, Film und Rundfunk, werden jetzt aus dem Propagandaministerium dirigiert, die freie Presse verboten. Aus dem Straßenterror entstehen Foltergefängnisse und erste KZs.

Zwischen der originalen Zeitzeugenschaft aus Briefen und Tagebüchern schleicht sich dann doch mancher Wochenschauausschnitt, mancher Kino-Filmschnipsel ein. Der Grippe-Pandemie des damaligen eiskalten Winters wird man die politische Wende nicht anlasten dürfen. Aber zusammen mit anderen Nahaufnahmen bezeugt sie doch, wie schnell das ging: der Wandel von der Demokratie innerhalb weniger Monate zur Diktatur. Und wie gefährlich die scheinbare Unberührtheit ist.

Der RBB sendet den Zweiteiler am 28. Februar, um 20.15 Uhr.

Berlin 1933 – Tagebuch einer Großstadt – Di. 24.01. – ARTE: 20.15 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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