Désirée Nosbusch begibt sich als Anwältin wieder in komplexe Fälle: Im dritten Film der Justizkrimireihe "Ein Fall für Conti" forscht die titelgebende Juristin nach, ob ein seit Jahren wegen Mordes einsitzender Mann nicht doch unschuldig ist.
Gerichtsdramen hatten im deutschen Fernsehen lange einen schweren Stand. Abseits von Serien wie "Liebling Kreuzberg" blieben Juristen meist schrullige Nebenfiguren und Sidekicks der Kommissare. Erst Ferdinand von Schirach belebte mit seiner "Verbrechen"-Reihe das Genre hierzulande. Seither rücken Anwälte und Richter öfter ins Zentrum – zumindest, solange sie kriminalistisch mitmischen. So wie Désirée Nosbusch, die als Anwältin in "Ein Fall für Conti" nach dem Start der Reihe 2023 nun in ihrem dritten Fall ermittelt: In "Der verlorene Sohn" nimmt sich Anna Conti eines jungen Mannes an, der seit neun Jahren wegen Mordes im Gefängnis sitzt. Aber hat er die Tat damals auch wirklich begangen?
Nachdem die frühere Staranwältin im Fall eines getöteten Kindes ihr Comeback im Gerichtssaal gefeiert und zuletzt einen bankräubernden Familienvater verteidigt hatte, begibt sie sich nun abermals in familiäre Untiefen. Der sterbenskranke Friedrich Klopfer (Michael Wittenborn) bittet Conti um einen letzten Gefallen: Sie soll seinem Sohn Falk (Sebastian Urzendowsky) helfen, der seit fast einem Jahrzehnt wegen Mordes hinter Gittern sitzt – zu Unrecht, wie der Vater glaubt.
Der Fall scheint längst abgeschlossen, doch ein rätselhafter Anruf einer Frau, die später spurlos verschwindet, wirft neue Fragen auf. Conti zögert ("Wegen eines anonymen Hinweises rollt kein Gericht ein Urteil neu auf"), doch die Verzweiflung und Krankheit des Vaters sowie die offensichtlichen Lücken in den damaligen Ermittlungen zwingen sie zum Handeln.
Ist der Verurteilte vielleicht wirklich unschuldig? Zum ersten Mal forscht Conti nicht nur mit ihrem Assistenten Carlo (herrlich lakonisch: "How to Sell Drugs Online (Fast)"-Star Maximilian Mundt) nach, sondern auch mit ihrer ehemaligen Referendarin Henry Mahn (brillant: Malaya Stern Takeda) – jene ehrgeizige Staatsanwältin, die bisher eher als Konkurrentin der Hauptfigur inszeniert wurde. Dass sich das Trio nun gemeinsam in die Ermittlungen vertieft, ist ein Glücksfall für die Zuschauer. Die drei Charaktere ergänzen sich prächtig, das Zusammenspiel zwischen Schauspielikone Nosbusch und den Nachwuchsstars funktioniert hervorragend.
Insbesondere das ambivalente Verhältnis zwischen den beiden Frauenfiguren bringt eine erfrischende Dynamik in die noch junge Reihe, die bislang von Kritik und Publikum überaus goutiert wurde. Der Generationenclash wird unter anderem anhand der MeToo-Thematik ausbuchstabiert: "Sie haben Ihr Leben lang nach den Regeln von Männern gespielt – und von ihnen profitiert", fährt Mahn ihre Mentorin an: "Sie haben sich angebiedert." Bäm, das sitzt.
Doch raufen sich die beiden Frauen diesmal im Angesicht der mächtigen Männercliquen zusammen: Sie rätseln über fragwürdige Aussagen, verwischte Spuren und den inhaftierten Sohn, der die Tat einst gestand und seltsam stur an seinem Geständnis festhält. Urzendowsky verkörpert den rätselhaften Mann großartig ("Ich bin schuldig!") – und trägt als Episodenhauptdarsteller dazu bei, dass der Justizthriller nach einem Drehbuch von Lucas Thiem nicht nur spannend inszeniert, sondern auch psychologisch nachvollziehbar ist.
Die Lage eskaliert, als klar wird, dass die anonyme Anruferin tatsächlich gekidnappt wurde. Als Henry Mahn im Entführungsfall breite Nachforschungen anstellt, merkt die Staatsanwältin schnell, dass sie sich mit ihren Ermittlungen ausgerechnet in den eigenen Reihen keine Freunde macht. Was verbirgt etwa ihr Vorgesetzter, der überaus schmierige und um sexistische Kommentare ("Sie können den Fall aus Ihrem hübschen Kopf löschen") nicht verlegene Oberstaatsanwalt von Thun (Peter Lohmeyer)? Conti und Mahn geraten auf höchster Ebene in ein Netz aus Vertuschung und Korruption, das die strukturellen Probleme im System offenbart. Bald führt die Spur zu einem Gourmetrestaurant und dessen aalglattem Chef ...
Regisseur Nathan Nill, der schon für die vorherige Folge verantwortlich zeichnete, inszeniert "Der verlorene Sohn" als Mixtur aus Entführungs- und Unterweltkrimi, Korruptionsthriller und klassischem Courtroom-Drama mit einigen überraschenden Wendungen. Neben dem herausragenden Cast gibt es unterhaltsame Dialoge, eine unvorhersehbare Handlung – und sogar ein wenig Humor ("Das ist doch mal eine illustre Pimmelrunde"). Trotz einiger Moraleinsprengsel à la "Unser System ist doch immer nur so gut, wie jeder von uns es macht" geht das Konzept von "Ein Fall für Conti" nach wie vor auf – und zeigt auch im dritten Fall, dass Gerichtsthriller hierzulande hervorragend funktionieren können.
Ein Fall für Conti: Der verlorene Sohn – Fr. 03.10. – ARTE: 20.15 Uhr