Sexueller Missbrauch an Kindern und Jugendlichen kommt oft jahrelang nicht ans Licht. Auch, weil die Betroffenen sich häufig nicht trauen, über ihre Erfahrungen zu sprechen. Eine bedrückende ZDF-Reportage begleitete Menschen, die als Erwachsene ihr Schweigen brachen.
"Er tut mir unglaublich leid. Er hat das Sprechen verlernt damals", erinnert sich Detlev Zander. Die Person, von der er spricht, ist er selbst – als Kind. Vier Jahre war er alt, als er zum ersten Mal im Kinderheim einer evangelischen Brüdergemeinde sexuell missbraucht wurde. "Damals hätte ich nicht gedacht, dass ich das überleben werde", stellt der 60-Jährige in Yves Schurzmanns beklemmender "37°"-Reportage "Nicht vergessen, nie vergeben – Mein Leben nach dem Missbrauch" fest. Über Jahre hinweg war er körperlichen und seelischen Qualen ausgesetzt, als ihn Pfarrer und Hausmeister vergewaltigten und misshandelten. Die Folge: Detlev Zander konnte als kleiner Junge oftmals weder sprechen noch weinen.
Als Erwachsener verdrängte er das Leid, das ihm in seiner Kindheit widerfahren war, bis er im Alter von 37 Jahren zusammenbrach und seinen Job als Krankenpfleger an den Nagel hängen musste. Die Diagnose: Posttraumatische Belastungsstörung.
Heute, so zeigt der ZDF-Film, macht er sich als Aktivist dafür stark, Missbrauchsfälle aufzuklären. "Die evangelische Kirche hat sich bislang noch hinter der katholischen Kirche verstecken können", so Zander. Um das zu ändern, hat er einen Verein für die Betroffenen sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche gegründet – und findet zunehmend Gehör. Unter anderem begleitete die Reportage den Frührentner im vergangenen Jahr zur Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, wo er eine klare Forderung stellte: die Täter zu identifizieren und Opfer bei der Aufarbeitung zu unterstützen.
Auch Ulrike Breitbach zählt zu den Tausenden Menschen hierzulande, die in ihrer Jugend Opfer von sexuellem Missbrauch wurden. Ander als Detlev Zander erlebte sie sexualisierte Gewalt jedoch nicht im kirchlichen Kontext, sondern beim Leistungssport. Als begabte Leichtathletin verbrachte sie bereits im Alter von 14 Jahren den Großteil ihrer Freizeit im Training. Ein Coach misshandelte das junge Mädchen, deren Liebe zum Sport an den Übergriffen fast zu zerbrechen drohte: "Diese Verbindung von emotionaler Erpressung und dem körperlichen so engen Kontakt, das war unerträglich."
Mittlerweile lebt die 43-Jährige in Berlin, arbeitet dort als Mentaltrainerin und wird durch ihre Klientinnen und Klienten in ihrem Berufsalltag immer wieder mit dem Thema Missbrauch konfrontiert. Sie selbst konnte mehr als 20 Jahre lang nicht über die Vorfälle in ihrer Teenagerzeit sprechen. "Ich hatte dafür gar keine richtigen Worte", bekennt Ulrike Breitbach. Das ist heute anders. wie die "37°"-Dokumentation gewohnt einfühlsam erzählt.
37°: Nicht vergessen, nie vergeben – Di. 08.02. – ZDF: 22.30 Uhr