Stumme Schreie
Fernsehfilm, Drama • 18.11.2019 • 20:15 - 21:45
Lesermeinung
Mutter Nicole (Hanna Hilsdorf) ist außer sich: Ihr Baby gibt kein Lebenszeichen von sich.
Vergrößern
Nicole (Hanna Hilsdorf, l.) ist außer sich vor Trauer: Ihr Baby gibt kein Lebenszeichen von sich. Ärztin Jana (Natalia Belitski, r.) vermutet, dass das Baby geschüttelt wurde und im Koma liegt.
Vergrößern
Paul (Elias 2.v.l.) wurde von seiner Mutter misshandelt. Dr. Bremer (Juergen Maurer, 2.v.r.), Dr. Friedrich (Natalia Belitski, r.) und Dr. Kern (Natascha Paulick, l.) sind entsetzt.
Vergrößern
Rechtsmediziner Bremer (Juergen Maurer) und die junge Ärztin Jana (Natalia Belitski) sind mit mehreren misshandelten Kindern konfrontiert.
Vergrößern
Originaltitel
Stumme Schreie
Produktionsland
D
Produktionsdatum
2019
Fernsehfilm, Drama

Von der Gewalt im Kinderzimmer

Von Wilfried Geldner

Dass ein Kind an der Folgen der Misshandlung durch die eigenen Eltern stirbt, ist in Deutschland gar nicht so selten. 2018, so die eigentlich unfassbare Statistik, sei das an jedem fünften Tag der Fall gewesen. Der ZDF-Fernsehfilm "Stumme Schreie" zeigt, wie Familien in dieses Dilemma geraten.

Ein Buch, ein fiktionaler Fernsehfilm, eine darauf folgende Dokumentation: 2018 starb alle fünf Tage ein Kind an den Folgen elterlicher Misshandlung. Die Dunkelziffer ist hoch, die Zahlen sind erschreckend. Grund genug jedenfalls, um nach dem Sachbuch der Rechtsmediziner Michael Tsokos und Saskia Etzold von der Berliner Charité einen Fernsehfilm zu produzieren, der auf das Wegsehen verweist und die Ungereimtheiten im Umgang mit dem Dilemma verdeutlicht. Dass da manche erklärenden Sätze fallen, schmälert das Ergebnis nicht: "Stumme Schreie" (Drehbuch: Thorsten Näter, Regie: Johannes Fabrick) dürfte mehr als vieles Reden das Publikum sensibilisieren.

Der "Trick", wenn man es so nennen darf, ist, dass die Macher gerade dort ansetzen, wo sonst das Schweigen herrscht. Gleich zu Beginn weist ein Rechtsmediziner neue Studenten am renommierten Institut in die Schwierigkeiten beim Umgang mit der Kindsmisshandlung in Familien ein. "Wenn Sie denken, dass die Rechtsmedizin eine Art Hilfspolizei ist, dann liegen Sie falsch", sagt der Professor, den Juergen Maurer mit durchgängigem Understatement und leider nachvollziehbarem Hang zur Alltagsroutine spielt. Maurer hält mit seinem skeptischen, innerlich revoltierenden Ton die im Film gezeigten Fallbeispiele zusammen. Erst ganz am Ende, wenn er der neuen Ärztin Jana Friedrich (Natalia Belitski) wegen einer eigenmächtigen Gesetzesübrtretung beim Kampf gegen die Kindsmisshandlung den Laufpass geben muss, hängen Maurer und sein Medizinprofessor in all ihrer Ohnmacht in der Luft. Happyend gibt es hier jedenfalls keins, das Problem wird auf spannende, jedoch nicht spekulative Weise dargelegt und weitergereicht. Gesetzgeber, Jugendämter, Nachbarn sind nun an der Reihe.

PRISMA EMPFIEHLT
Täglich das Beste aus der Unterhaltungswelt bequem in Ihr Mail-Postfach? Dann abonnieren Sie unseren Newsletter "PRISMA EMPFIEHLT" und erhalten ab sofort die TV-Tipps des Tages sowie ausgewählte Streaming- und Kino-Highlights.

Ein Schauplatzwechsel: Kinder spielen Erschrecken, die jungen Eltern schlafen noch, ein Wäschetrockner fällt um, ein Baby schreit unaufhörlich. Es wird nicht lange dauern, dann wird der junge Vater einem der Kinder eine Ohrfeige versetzen, dass es kracht. Er ist entnervt, er sucht einen Job, aber er findet ihn nicht, er wirft eine Bierflasche an die Wand, verprügelt die Mutter, seine Frau. – Doch es gibt auch andere, besser situierte Eltern, die ihre Kinder verletzen. Paul hat solche Eltern, die Innenfläche seiner Hand ist verbrannt, er hat Striemen auf dem Rücken. Obwohl ihnen eigene Recherchen eigentlich versagt sind, bitten die Ärzte die Eltern zu sich, unter dem Vorwand, Pauls Elend könnte die Folge einer seltenen Krankheit sein.

Auch Wohlhabende und Gebildete prügeln Kinder, erklärt der Medizinprofessor. Doch sie wollen es nicht wahrhaben – die Ärzte, Polizeibeamte, das Jugendamt. Bei Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht stehe da stets sehr schnell ein Anwalt auf der Matte. Zumal oft nicht klar werde, welcher Elternteil der Übeltäter sei. Zudem wird noch ein weiteres, durchaus skandalöses Dilemma im Dialog des Professors mit seiner jungen Ärztin deutlich: Jugendämter treten ihre Sorgfaltspflicht häufig an private Organisationen ab, die ihre Fürsorge womöglich aus Kostengründen verschleppen.

Viel Sorgfalt im Umgang mit den Kinderdarstellern

Das ist alles viel Holz für einen Fernsehfilm, der das Prädikat Problemfilm sicher nicht von sich weisen will. Johannes Fabricks Regie gibt sich alle Mühe, um das Geschehen trotz seiner Härte optisch attraktiv zu gestalten, es gibt immer wieder Unschärfen und Spiegelungen, mit der Handkamera gefilmte Nahaufnahmen und einen zurückhaltend begleitenden Score. Besondere Sorgfalt erforderte die Arbeit mit den Kinderdarstellern. "Ich habe schon viel mit Kindern gedreht und weiß um die Fragilität der Situation am Set, noch dazu bei diesem Thema", sagt Johannes Fabrick. "Also haben wir schon viel in die Vorbereitung investiert, damit die Kinder vertrauen und sich sicher fühlen können." Kindercoach Monika Steil sorgte am Set dafür, dass sich die Kinder wohlfühlen konnten. Und auch die Eltern wurden eingebunden. "Es muss schon ziemlich viel zusammenstimmen, damit man das, was dann wie selbstverständlich aussieht, auch inszenieren kann", so Fabrick. Nicht zuletzt frodere auch die Arbeit der kameraleute viel Sensibilität.

Es ist unsere Pflicht, die Misshandlung von Kindern in Familien zu verhindern, so lautet die Botschaft des Films. Die Sicht einer beschwichtigenden Jugendamtshelferin, die da lautet: "Wir sind keine Polizisten. Wir verfolgen die Leute nicht, wir helfen ihnen" ist falsch. Sie verlängert nur die Tortur, weil Misshandlungen stets weitere Misshandlungen nach sich ziehen. Nicht selten mit Todesfolge, wie die Statistik zeigt. Dass die Heldin Jana zuletzt auf eigene Faust Detektivin spielen muss, um Gerichtsbeweise zu sammeln, ist allerdings etwas zu viel des Guten.

Die nachfolgende Doku "Tatort Kinderzimmer" (ZDF, 21.45 Uhr) zielt darauf, zu zeigen, wie man Kinder besser schützen kann. Sie erhärtet die Botschaft, dass man hinsehen muss, dass es Gesetzesänderungen geben muss, auch die Aufhebung der ärztlichen Schweigepflicht bei der familiären Misshandlung von Kindern.


Quelle: teleschau – der Mediendienst
Weitere Darsteller

Top stars

Feierte 2001 mit seiner Rolle in "Donnie Darko" seinen Durchbruch: Jake Gyllenhaal.
Jake Gyllenhaal
Lesermeinung
Trotz unvorteilhaftem Aussehen ein Star: Danny DeVito.
Danny DeVito
Lesermeinung
August Zirner in "Milchgeld. Ein Kluftingerkrimi".
August Zirner
Lesermeinung
Immer eine schwer lastende Figur: Richard Harris drehte Filme ganz unterschiedlicher Qualität
Richard Harris
Lesermeinung
Schauspieler und "Tatort"-Star Axel Prahl.
Axel Prahl
Lesermeinung
Axel Milberg als "Tatort"-Kommissar Borowski
Axel Milberg
Lesermeinung
Andreas Hoppe als Tatort-Kommissar Mario Kopper
Andreas Hoppe
Lesermeinung
Alwara Höfels wandelt auf den Spuren ihrer Eltern.
Alwara Höfels
Lesermeinung
Spezialist für harte Aktion: Regisseur John Boorman
John Boorman
Lesermeinung
Oft ein athletischer Bösewicht: Michael Biehn
Michael Biehn
Lesermeinung

Das beste aus dem magazin

"Kafka"-Darsteller Joel Basman im Interview.
HALLO!

Joel Basman über Kafka: „Er hätte einen Riesenspaß an TikTok gehabt“

Das Erste zeigt zum 100. Todestag von Franz Kafka eine sechsteilige Miniserie über den berühmten Schriftsteller. Joel Basman hat die Hauptrolle übernommen und erklärt im Interview, wie er sich Kafka vorstellt, warum er ein schlechter Mitbewohner gewesen wäre und was ihn heute immer noch relevant macht
Dr. Melanie Ahaus ist niedergelassene Kinder- und Jugendärztin in Leipzig und Sprecherin des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte in Sachsen.
Weitere Themen aus dem Magazin

Was tun, wenn Kinder an den Nägeln kauen?

Nägelkauen ist eine der häufigsten Angewohnheiten, unter denen Kinder leiden – und manchmal noch mehr ihre Eltern. Eine Ärztin verrät, was Sie tun können.
Dieter „Maschine“ Birr ist immer seinen Weg gegangen.
HALLO!

„Mit den Puhdys ist jetzt Ruhe“

Dieter „Maschine“ Birr feierte im März seinen 80. Geburtstag. Anlässlich seines neuen Albums „Mein Weg“ und der neuen Biografie „Was bisher geschah“ hat prisma mit dem ehemaligen Sänger der Puhdys gesprochen.
Dr. Katrin Lossagk ist Ärztliche Leiterin bei Lipocura in der Münchner Klinik mednord und der Kölner Beethoven-Klinik. Die Fachärztin für plastische und ästhetische Chirurgie spezialisierte sich bereits 2014 auf die Behandlung von Lipödemen.
Weitere Themen aus dem Magazin

Endometriose: Schmerzen durch wucherndes Gewebe

Endometriose kann die Lebensqualität von Betroffenen erheblich einschränken. Dr. Katrin Lossagk erklärt, was helfen kann.
Horst Klemmer denkt auch heute noch sehr häufig an Heinz Erhardt.
HALLO!

„Heinz Erhardts Humor war frei von Politik und Zoten“

Horst Klemmer lernte Heinz Erhardt als Fan kennen. Von 1962 bis 1971 war er Erhardts einziger und exklusiver Manager, ging mit ihm auf Tour, verhandelte seine Verträge und organisierte seine TV-Auftritte. Klemmer hatte viele Jahre eine enge Bindung zu der Komiker-Legende, war bis zu Heinz Erhardts Tod 1979 in regem Kontakt mit ihm. Seine Erinnerungen hat er nun in dem Buch „Heinz Erhardt – Hinter den Kulissen“, das im Lappan Verlag erschienen ist, aufgeschrieben. prisma hat mit dem mittlerweile 87-Jährigen über Heinz Erhardt gesprochen.
Dr. Julia Fischer moderiert montags die SWRGesundheitssendung „Doc Fischer“, ist Buchautorin („Medizin der Gefühle“) und medizinische Expertin in Talkshows wie „hart aber fair“ (ARD). Als Host des neuen ARD Gesund Youtube-Kanals erklärt sie anschaulich medizinische Themen.
Gesundheit

Schenkelhals-Fraktur – nach dem Sturz wieder fit werden

Nach einer Schenkelhalsfraktur ist es das Wichtigste wieder sicher Gehen zu lernen. Dr. Julia Fischer berichtet aus der Praxis.