Der vierte Fall aus Dresden bietet eine Story vom Reißbrett. Die Qualitäten des Films liegen allerdings woanders.
Von Alfred Hitchcock ist das Zitat überliefert, dass es bei einem guten Film auf genau drei Dinge ankomme: "das Drehbuch, das Drehbuch und das Drehbuch". Nun wird, weder in Hollywood noch im deutschen Krimifernsehen, den Drehbuchautoren meist die Achtung entgegengebracht, die sie verdient hätten. Sollte man aber, wie der neue Dresdner "Tatort" beweist. Ausgedacht hat sich das schräge Ermittlerteam Sieland, Gorniak und Schnabel "Stromberg"-Erfinder Ralf Husmann. Für die ersten zwei Filme der Reihe schrieb er die Bücher, dann gab er den Sonntagskrimi für einen Fall in andere Hände – keine gute Idee war das damals. Für Film vier, "Auge um Auge", hat er nun (zusammen mit Peter Probst) wieder das Buch geschrieben.
Und man merkt schnell, dass hier Husmann zugange war. Zugegeben: Die Story, die er sich ausgedacht hat, ist schnell erzählt und alles andere als spannend. Aber im Dresdner "Tatort" geht es ja vor allem um eines: Da schießt das Kriminalistentrio Henni Sieland (Alwara Höfels), Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und Peter Michael Schnabel (Martin Brambach) einen flotten Spruch nach dem anderen aus der Hüfte, und die Umstehenden, Tatverdächtige eingeschlossen, machen munter mit. Rainer Ellgast (hervorragend: Arnd Klawitter) ist so einer, der stets einen Spruch auf Lager hat und mit einem schelmischen Grinsen Dinge sagt, die man dann doch eigentlich nicht sagen sollte. "Früher dufte man überall rauchen und dachte, schwul sein sei abartig. Heute ist es umgekehrt", witzelt er, als ihm Schnabel zur Befragung gegenübersitzt und er sich genüsslich eine ansteckt.
Ellgast ist Hauptverdächtiger, nachdem Heiko Gebhardt (Alexander Schubert), Abteilungsleiter bei der Versicherung ALVA, am Arbeitsplatz erschossen wurde. "Wir sind alle total von der Rolle. Das ist schlimm. Richtig, richtig schlimm", beteuert er, doch glauben will man ihm das nicht so recht. Zumal er selbst gerne da gesessen wäre, wo Gebhardt noch eben saß. Und dass er sich mehr um die anstehende Weihnachtsfeier sorgt als um den toten Vorgesetzten, das macht auch nicht gerade unverdächtig. Aber auch andere mögliche Täter – und hier ist "Auge um Auge" (Regie: Franziska Meletzky) dann doch wieder ein bisschen "Tatort" von der Stange – stehen bald Schlange.
Denn bei all dem Sprücheklopfen gibt es natürlich auch einen ernsten Kern, der verhandelt werden muss, und da kommen dann bald ein paar unzufriedene Versicherungskunden ins Spiel. Die ALVA, so heißt es, sei ganz besonders knauserig, wenn es darum geht, eine Berufsunfähigkeit anzuerkennen. Der Restaurateur Fabian Rossbach (Sascha Göpel) musste das erleben, nachdem er bei der Arbeit vom Baugerüst fiel, und auch Harald Böhlert (Peter Schneider) streitet seit Jahren mit der Versicherung. Zu 100 Prozent arbeitsfähig sei er, sagt die Versicherung. Dabei sitzt der Mann nach einem Arbeitsunfall im Rollstuhl. Zwei wunderbare Motive also.
"Die Leute draußen wüten gegen die armen Schweine, aber keiner wütet gegen die reichen Schweine", entfährt es da Martina Scheuring (Henny Reents), die für die Rechte der ALVA-Kunden kämpft. Und es ist klar, was sie meint: den Rechtspopulismus, der sich auf die Schwächsten stürzt, statt sich an den Bossen abzuarbeiten. Kommissariatsleiter Schnabel sieht das freilich anders, nachdem sein alter Arbeitsrechner an einen Syrienflüchtling gespendet wurde. Bedenklich sei es, "dass sich keiner mehr an Recht und Gesetze hält", schimpft er. Die Flüchtlingskrise im Kleinen also, und das ausgerechnet in Dresden. Dass der vermeintliche Wutbürger hier als Trottel dasteht, wird aber sicherlich nicht jedem schmecken.
Dann doch lieber wieder ein schöner Spruch von Schnabel: "Wir sind keine Bullen, sondern Schweine. Schweine stecken ihre Nase überall rein, auch in den größten Mist", sagt er. Am Ende ist die Lösung des Falls dann leider nicht ganz so knackig wie die Worte, die hier den Besitzer wechseln. Zaubern kann eben auch ein Ralf Husmann nicht immer.