In der Dortmunder JVA grassiert der Tollwut-Virus. Wer hat ihn eingeschleust? Mehr Schauermär als Knacki-Realismus. Langeweile kommt bei Faber und Co. aber nicht auf.
Der elfte Dortmunder "Tatort" beginnt wie ein Horrorfilm. Ein korpulenter Mann liegt gefesselt im Nachthemd auf einem Krankenbett. Plötzlich durchfahren ihn schlimmste Qualen und Zuckungen, unter Stöhnen quillt grüner Schaum aus dem Mund. Der Gefängnisarzt setzt noch zur Herzmassage an, doch vergebens, der Mann, ein inhaftierter Straftäter, ist nicht zu retten. Eigentlich, denkt man sich, müsste jetzt ein Exorzist anrücken, und so ähnlich kommt es dann auch. Peter Faber (Jörg Hartmann), der Ruhrpottrüpel, der mit jeder neuen Mordermittlung immer auch den eigenen Wahnsinn auszutreiben versucht, nimmt sich der Sache an.
Der Regisseur Dror Zahavi, der mit dem Knast-Schocker "Franziska" (2014) einen denkwürdigen Kölner Gefängnis-"Tatort" schuf, hat sich diesmal mit der Dortmunder Mannschaft hinter schwedischen Gardinen verschanzt. Gedreht wurde aber nicht im Pott, sondern in Magdeburg, in den Gängen und Zellen der 2013 stillgelegten JVA im Stadtteil Sudenburg. Ein bizarrer Bau aus dem frühen 20. Jahrhundert, der trefflich zur Geschichte passt. Denn in "Tollwut" geht es weniger um knallharten Knacki-Realismus als vielmehr um eine kunstvoll überhöhte Schauermär. Dass Strafgefangene sich die Mühe machen, einen im Labor entwendeten Tollwut-Erreger einzuschleusen, um Mithäftlinge umzubringen, dürfte in der Wirklichkeit Seltenheitswert haben.
Während für Nora Dalay (Aylin Tezel) alle Indizien auf den albanischstämmigen Mafioso Tomek Kodra (Murathan Muslu) deuten, sieht Kollege Faber ein maliziöses Genie am Werk. Schließlich sitzt in Dortmund sein Intimfeind Markus Graf (Florian Bartholomäi) ein. Der kultiviert auftretende Serienverbrecher wurde in der "Tatort"-Folge "Auf ewig Dein" (2014) monströser Taten überführt, nicht aber des Doppelmordes an Fabers Frau und Tochter, der aber wohl auch auf sein Konto geht. In seiner Zelle pinselt der finstere Psycho nun Ölgemälde von Fabers Tochter in Lolita-Pose. Ein abgründiges Duell nimmt seinen Lauf. Dem Kommissar entgleitet die Kontrolle zusehends.
Ausladend viel wird in diesem fahl ausgeleuchteten Klaustrophobiekrimi Bezug genommen auf Dinge, die zuvor geschahen. Dass Faber einen Gegenspieler wiedertrifft, der zuletzt vor drei Jahren auf den Plan trat, verlangt dem Publikum viel Erinnerungsvermögen ab – sowie die Bereitschaft, die Einzelstückreihe "Tatort" wie eine moderne Serie zu begreifen. Natürlich ist auch die fatale Bombenexplosion vom letzten Fall ("Sturm", 2017) Thema sowie Kollege Kossiks (der Darsteller Stefan Konarske stieg auf eigenen Wunsch aus) Versetzung zum LKA nach Düsseldorf. Man verrät nicht zu viel damit, dass auch dieser Film mit einem waschechten Cliffhanger endet.
Bis dahin durchlebt Kommissarin Bönisch (Anna Schudt) die wohl traurigste Sexszene der jüngeren TV-Historie, und der Zuschauer wird gleichsam zum Gefangenen eines abgründigen Knast-Thrillers. Dass das Drehbuch von Jürgen Werner den bodenständigen Rurhpottboden zugunsten einer schauerlichen Fantasiegeschichte verlässt, mag man diskutabel finden, Langeweile kommt in 90 Minuten allerdings keine auf. Markus Graf ist ein gegelter Superschurke wie Professor Moriarty, Faber ein überheblicher Hasardeur wie der Serien-Sherlock-Holmes von Benedict Cumberbatch. Das allerdings vor dem Hintergrund einer persönlichen Tragödie.
An seinen Narben sollt ihr ihn erkennen.