Nach dem Ausscheiden Alwara Höfels' übernimmt Cornelia Gröschel ("Honigfrauen") im Dresdner Frauenrevier an der Seite Karin Hanczewskis. Ihr erster Fall ist ein komplett überzogener Larger-Than-Life-Thriller, der unterhaltungsorientierten Zuschauern dennoch großen Spaß bereiten dürfte.
Fans des klassischen Ermittlerkrimis müssen ganz stark sein, wenn sie die neue Folge des Dresdner "Tatort"-Reviers schauen. Bereits nach fünf Minuten ist klar, dass mit Drehbuchautor Erol Yesilkaya mal wieder die Pferde durchgegangen sind. Yesilkaya und sein Regie-Stammpartner Sebastian Marka erhielten vor kurzem den Grimme-Preis für verrückte "Tatort"-Folgen wie den Film-im-Film-Coup "Meta", der auf der Berlinale spielte. Nun hat sich Yesilkaya, diesmal mit Jung-Regisseur Alex Eslam am Werk, mal wieder seinem Lieblingsthema gewidmet, dem vom amerikanischen Genrekino inspirierten Larger-than-Life-Thriller.
Wer Fingernagelkauklassiker wie "Das Schweigen der Lämmer" oder "Sieben" mag, dürfte sich im Debüt-Plot für die neue Kommissarin Leonie Winkler (Cornelia Gröschel, "Schwartz und Schwartz") wohlfühlen. Der bald extrem überspannte Handlungsbogen beginnt damit, dass eine junge Frau nach einem Autounfall mit defektem Smartphone in einer abgelegenen Villa Hilfe sucht. Im klassischen Horrorhaus präpariert dummerweise gerade ein Serienmörder seine Leichen, aus denen er feine Sitzgruppen-Ensembles baut. Offensichtlich ist dem Täter an anheimelnd wirkenden Familien-Szenen gelegen. Nur eben, dass seine Protagonisten selten dazwischen quatschen. Wie man sich denken kann, geht die Sache schlecht für die junge Unfallerin aus – was wiederum die Kommissarinnen Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und ihre junge, reichlich unsichere Kollegin Leonie Winkler (Gröschel) auf den Plan ruft.
Weil Täter im Krimi ja immer zum Tatort zurückkehren – was in Wahrheit wahrscheinlich Quatsch ist – stellen die Dresdnerinnen dem Horrorhaus-Aktivisten eine Falle. Dabei wird Gorniak schwer verletzt, auch weil die Novizin an ihrer Seite versagt. Als Gorniak Wochen später traumatisiert in den Job zurückkehrt, macht sich das angeschlagene Duo erneut auf die Suche nach einem – wie es scheint – supersmarten Mörder aus dem Genre-Bilderbuch.
Was ist eigentlich "realistisch"?
Wer der Täter ist, auch das wird nicht jedem "Tatort"-Traditionalisten gefallen, steht nach relativ kurzer Zeit fest. Der "allwissende" Zuschauer sieht dem Bösen nun auch bei Planung und Ausführung seiner nächsten Schritte zu. Selbst wenn dieses Katz-und-Maus-Spiel maximal unrealistisch ist, man beobachtet es gerne. Dies liegt zum einen am temporeichen, an Überraschungen reichen Plot, zum anderen an den hochwertigen Thrillerbildern des 36-jährigen Regisseurs Alex Eslam, der für seinen TV-Thriller "Bissige Hunde" 2012 mit Preisen überhäuft wurde.
Die Chemie zwischen dem neuen Dresdner Frauen-Duo Hanczewski und Gröschel scheint ebenfalls zu passen. Bezog die Konstellation der beiden Vorgängerinnen ihren Reiz darin, dass nach außen taffe Frauen und Freundinnen gemeinsam Dienst schieben, hat das Revier von Chef Peter Michael Schnabel (Martin Brambach, der diesmal wenig "Screen Time" bekommt) nun einen Gegensatz zu bieten: Gorniak als schwer angeschlagene, traumatisierte Kämpferin und Winkler als gehemmt schüchternes Wesen, das damit zu kämpfen hat, die Erwartungen des gnadenlos leistungsorientierten Polizisten-Vaters (Uwe Preuss) zu erfüllen.
So erzählt "Das Nest" nebenbei eine Coming-of-Age-Geschichte, auch wenn man die Latte in Sachen Charakterzeichnung in diesem Krimi nicht zu hoch hängen sollte. Der Dresdner "Tatort " – einst als feinklamaukiges Konzept unter der Patenschaft Ralf Husmanns ("Stromberg") gestartet und zwischendurch in die Krise geraten – hat sich als ernsthafter Krimi und Spielfeld für wechselnde, durchaus spannende Kreative neu erfunden. Auch die neue Kommissarin, gespielt vom authentischen "German girl next door" Cornelia Gröschel, könnte gut an der Seite der immer ein wenig genervt wirkenden Karin Hanczewski funktionieren. Feine Drehbücher und Ideen braucht es natürlich weiterhin. Und natürlich: Würde man Polizeiarbeit in all ihrer Zähigkeit und Routinehaftigkeit realistisch zeigen, es würde kein Mensch einschalten.