Harte Thrillerkost statt historisches Lehrstück: Der zweite Saarland-"Tatort" mit Leo Hölzer (Vladimir Burlakov) und Adam Schürk (Daniel Sträßer) zeigt sich ästhetisch stark verändert.
Fast genau ein Jahr nach ihrem Debüt "Das fleißige Lieschen" kommt Fall zwei der Devid Striesow nachfolgenden Saarland-Kommissare Leo Hölzer (Vladimir Burlakov) und Adam Schürk (Daniel Sträßer) in die ARD-Primetime. Man erinnert sich: Die Ermittlungen leiten zwei gutaussehende, aber traumatisch beladene Jugendfreunde Anfang 30, die sich nach langen Jahren der Trennung als Team im gehobenen Saarbrücker Polizeidienst wiedertreffen. Ihre Backstory, in Film eins nur "angeteasert", spielt diesmal eine entscheidende Rolle: Adams Vater (brillant: Torsten Michaelis), ein Sadist vor dem Herrn, hat den Sohnemann in dessen Kindheit und Jugend gequält: Schläge, Einsperren – das ganze Programm. Die Mutter (Gabriela Krestan) sah hilflos zu.
Auch im neuen Fall ist der aktuelle Mord – eine 18-jährige Schülerin wird grausam entstellt im Wald gefunden – mit der Geschichte der Ermittler verbunden. Adams Vater ist 15 Jahre nachdem ihn Leo zur Rettung Adams schwer niedergeschlagen hat, aus dem Koma erwacht. Erinnert sich der Schinder von einst daran, was passiert ist? Dann wären Leo und auch Adam nur noch Polizisten auf Abruf. Das Drehbuch von Hendrik Hölzemann ("Gleißendes Glück") hält diesen Teil der Story sehr gekonnt und subtil in der Schwebe.
Die Ermittlungen zum Fall der von allen Mitschülern begehrten Jessy – das tote Mädchen im Wald – beginnen an deren Schule. Wollte sie einen ihrer Verehrer im Wald treffen? Im Fokus steht die Klasse von Geschichts- und Philosophielehrer Peter Lausch (Kai Wiesinger), in der sich die Jungs auf unterschiedliche Art nach Jessy verzehrten: der eine als Freund zum Quatschen, der so wenigstens etwas von der Angebeteten abbekam, ein anderer als aggressiver Anmacher. Auch Lehrer Lauschs Sohn Clemens (Oscar Brose) stellt sich als Jessy-Fan heraus, doch kaum ein Junge will seine Leidenschaft gegenüber der Polizei zugeben. Das Ermittlungsblatt wendet sich, als die Saarländer Kripo in einer Höhle des stadtnahen Urwalds Spuren eines mysteriösen Waldmenschen findet.
Obwohl "Der Herr des Waldes" im Sommer 2020 unter Pandemie-Bedingungen im exakt gleichen Team wie der Debütfilm "Das fleißige Lieschen" entstand – neben Autor Hölzemann war wieder Christian Theede ("Nord bei Nordwest – Gold!") als Regisseur mit an Bord -, ist der zweite Saarland-Krimi ein völlig anderer. War Schürks und Holzers Einstieg noch in eine etwas didaktische, leicht überladene Familienstory rund um deutsche Kriegsschuld und generationsübergreifendes Familienerbe gezimmert, gibt man sich diesmal einem handfesten Thriller hin. Die Story erinnert an große Vorbilder wie David Finchers "Sieben" oder gar "Das Schweigen der Lämmer". Hier werden Menschen mit Pfeilen gejagt oder ins Gesicht gebissen. Und was nach dem Tod des oder der Opfer mit deren Körpern geschieht, möchte man an dieser Stelle vielleicht lieber nicht wissen.
Verraten werden darf, dass nach den etwas ungelenken Verbindungen zwischen Fall und Privatem in Film eins die beiden Handlungsstränge des Saarland-"Tatortes" nunmehr organisch zusammenwachsen. Selbst wenn man sich fragt, wie lange das Konstrukt der beiden Kommissare mit dunklem Geheimnis tragfähig ist. Das Thrillergeschäft versteht Autor Hendrik Hölzemann vielleicht nicht ganz so brillant wie die beiden Genrespezialisten und "Tatort"-Dauerproduzenten Erol Yesilkaya und Sebastian Marka (zuletzt: "Tatort: Parasomnia"). Trotzdem muss man zugeben: "Der Herr der Waldes" ist ein spannender, kurzweiliger Krimi, dessen Auflösung die meisten Zuschauer gespannt entgegenfiebern dürften.
Dass man zwischendurch reichlich Ungereimtheiten in Plot und Charakterzeichnung zu schlucken hat, muss dennoch erwähnt werden. Auch dass die Kolleginnen Schürks und Hölzers (Brigitte Urhausen, Ines Marie Westernströer und Anna Böttcher) diesmal deutlich mehr zu tun haben und damit "screen time" bekommen, ist Fakt. Ganz so männlich wie "Das fleißige Lieschen", welches zwei männliche "Dressmen mit Trauma"-Polizisten in den Mittelpunkt stellte, ist der Nachfolger nicht. Deutlich spannender ist der Fall auch – und das ist letztendlich die härteste Währung, in der ein "Tatort" bezahlt.
Tatort: Der Herr des Waldes – Mo. 05.04. – ARD: 20.15 Uhr