Auch 2021 darf noch "in den besseren Kreisen" ermittelt werden. Der siebte Schwarzwald-"Tatort" mit den Kommissaren Franziska Tobler (Eva Löbau) und Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner) kümmert sich um den Treppensturz einer Industrie-Patriarchin.
Ach, was waren das noch für Zeiten, als Agatha Christie Rätselkrimis schrieb, in denen die Tatsache ausgeblendet wurde, dass sich Kapitalverbrechen vor allem auf schmutzigen Straßen und hinter verschlossenen Türen ärmlicher bis durchschnittlicher Behausungen abspielen. Für die britische Krimikönigin (1890-1976, "Mord im Orient-Express") war das Töten noch ein Gesellschaftsspiel, in dem zwar nicht die niederen Instinkte, wohl aber niedere Kreise außen vor waren. 2021 erlebt man es eher selten, dass deutsche TV-Krimis unter Menschen spielen, die an Agatha Christie erinnern. Umso schöner, dass der Schwarzwald-"Tatort" mal wieder zu einer solchen Erzählung ansetzt.
Was es bei Agatha Christie sicherlich nicht gegeben hätte, ist jedoch die erste Szene dieses eher leichten, wenn auch sporadisch bösartigen Falls der Kommissare Franziska Tobler (Eva Löbau) und Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner). Da geben sich zwei Damen jenseits der 70 vor einer Standesbeamtin das Jawort. Die Blicke der Frauen machen es deutlich: Zwischen Pralinen-Patriarchin Elisabeth Klingler-Rathmann (Marie Anne Fliegel) und Elena Zelenko (Wieslawa Wesolowska) scheint eine tiefe Verbundenheit zu herrschen. Kurze Zeit später jedoch der Schock – vor allem für die Erben der betagten Frau Klingler-Rathmann: Elena, ihre neue Gattin, ist eigentlich ihre Gesellschafterin und Angestellte, die nunmehr den alten Familienstammsitz erben soll. Tochter Gesine Rathmann (Jenny Schily), Sohn Richard (Jan Messutat) und die erwachsene Enkelin Toni (Johanna Polley) sind entsetzt.
Noch dicker kommt es, als Elisabeth Klingler-Rathmann kurz nach Eröffnung des neuen Testaments in Anwesenheit des Familien-Notars von der Treppe stürzt und schwerverletzt ins Krankenhaus gebracht werden muss. Dass Elena Zelenko, die von den Rathmanns gehasste neue Miterbin, nach diesem Ereignis spurlos verschwindet, lässt die Verdachtsmomente gegen sie nicht unbedingt kleiner werden. Haben es Tobler und Berg mit einer Erbschleicherin zu tun, die mit relativ grobem Besteck arbeitet? Mit der Zeit erfahren die von zahlreichen Familienlügen umstellten Kommissare, dass es viele Motive – und ebenso viele falsche Spuren – in dieser Erbschaftsgeschichte gibt.
Schön ist, mit wie viel Dialogwitz das Drehbuch von Patrick Brunken aufgeladen wurde. Er schrieb schon 2018 den zweiten Fall "Sonnenwende" über eine identitäre Bauernfamilie für die Schwarzwälder Ermittler. Die große subtile Spielkunst der beiden Charakterdarsteller Wagner und Löbau darf sich hier mal wieder voll entfalten, wenn die Kommissare genervt von Problemen und Intrigen der Erbschleicher zur Aufdeckung des Rätsel-Labyrinths im Hause Rathmann ansetzen. In der tollen Jenny Schily, sie verkörpert als älteste Tochter die toughe Managerin des Unternehmens, finden die Ermittler jedoch einen bärenstarken, vielschichtig gespielten Gegenpart.
Jenny Schily ist vielleicht sogar das Beste an diesem "Tatort" (Regie: Franziska Schlotterer, "Totgeschwiegen"), der immer dann stark ist, wenn es in den biografischen Infight der Verdächtigen miteinander oder den Ermittlern geht. Dass der Film im Rahmen der bisherigen – oft sehr originellen und auch fordernden – Schwarzwald-Krimis eines der konventionelleren Stücke bleibt, soll jedoch nicht unerwähnt bleiben. Immerhin – man rätselt bis zum Ende mit, wer aus dem Chor der Erbschleicher nun aus welchem Motiv gehandelt haben könnte und das ist eine Stärke des manchmal etwas konstruierten Plots. Doch was soll's, auch Agatha Krimis waren hochkonstruiert, weswegen wohl auch das Brettspiel "Cluedo" mal nach ihren Krimis konzipiert wurde. Der alten Dame des britischen Upper-Class-Krimis hätte diese Geschichte wohl dennoch gefallen. Bis auf ein paar irritierende Details natürlich, wie zum Beispiel jenes, dass Patriarchinnen 2021 ihre Angestellten heiraten.
Tatort: Was wir erben – So. 25.04. – ARD: 20.15 Uhr