Tatort
10.09.2023 • 20:15 - 21:45 Uhr
Serie, Krimireihe
Lesermeinung
Vergrößern
Vergrößern
Vergrößern
Vergrößern
Produktionsland
D
Produktionsdatum
2023
Altersfreigabe
12+
Serie, Krimireihe

Nachts in der Wetterau

Von Eric Leimann

Der Frankfurter "Tatort: Erbarmen. Zu spät." zitiert eine Stadionhymne, ist aber ein äußerst dunkler Fall – der während einer Nacht spielt. Wurde tatsächlich ein Polizist ermordet, wie ein unzuverlässiger Zeuge erzählt? Brix (Wolfram Koch) und Janneke (Margarita Broich) suchen eine Leiche.

Kurz nach dem Ende der Sommerpause 2023 kommt aus dem experimentierfreudigen Hause des Hessischen Rundfunks ein sehr besonderer "Tatort" mit den Frankfurter Kommissaren Janneke (Margarita Broich) und Brix (Wolfram Koch). Dabei dürfte der Titel des Krimis auf einen Song anspielen. Seit 1984 gibt es die in ihren Textdetails immer noch derb-komische Partyhymne "Die Hesse komme" der Rodgau Monotones. Ein Lied, das heute noch vor jedem Heimspiel der Frankfurter Eintracht im Stadion gespielt wird. Der "Tatort: Erbarmen. Zu spät" zitiert die Härte der Hessen zwar im Titel, erzeugt aber eine gänzlich andere Stimmung als der knapp 40 Jahre alte Kultsong. Dennoch könnte auch der mittlerweile 17. Krimis mit Janneke und Brix Kult werden, denn "Erbarmen. Zu spät" ist ein außergewöhnlicher TV-Film. Einer, der eine Stimmung erzeugt, wie man sie so im deutschen Krimi-Premiumprodukt vielleicht noch nie erlebt hat – trotz der vielen "besonderen" Werke, die unter dem Markenmantel des "Tatorts" in mittlerweile fast 53 Jahren entstanden sind.

Doch zur Handlung des Film, der bis auf die Schlussszenen binnen einer Nacht und damit fast ausschließlich im Dunkeln spielt. Das Drehbuch Bastian Günthers (auch Regie) begleitet zu Beginn einen gelangweilten Polizisten beim Streifendienst. Simon Laby (Sebastian Klein) lauert mit seinem Dienstfahrzeug am Waldrand auf Temposünder, er ermahnt sanft ein paar kiffende Jugendliche an der Nachttanke und telefoniert dazwischen mit seiner schwangeren Frau.

PRISMA EMPFIEHLT
Täglich das Beste aus der Unterhaltungswelt bequem in Ihr Mail-Postfach? Dann abonnieren Sie unseren Newsletter "PRISMA EMPFIEHLT" und erhalten ab sofort die TV-Tipps des Tages sowie ausgewählte Streaming- und Kino-Highlights.

Nach dem Prolog bricht diese Erzählung ab, denn Simon Laby soll einem Verbrechen zum Opfer gefallen sein. Seine Leiche habe man in der wald- und ackerreichen Region der Wetterau nahe Frankfurt verscharrt. Dies alles behauptet ein gewisser Schilling (Niels Bormann), der sich bei der Polizei gemeldet hat, weil er – wie er sagt – bei der Tat zugegen war. Dies allerdings im stark angetrunkenen Zustand, weshalb der labile Mann Mühe hat, Kommissar Brix den Ort, an dem die Leiche liegt, zu zeigen. Ist ja auch nicht leicht, wenn die Nacht auf dem Lande stockdunkel und nur in Ausschnitten von den Scheinwerfern eines Polizeifahrzeugs beleuchtet wird.

"Young Boys Bern ... wer kommt denn auf so einen Namen?"

Über die erste Hälfte seines Krimis mit Westernmotiven entwickelt Bastian Günther, dessen philosophischer Murot-"Tatort: Wer bin ich?" mit Ulrich Tukur 2015 ebenfalls Geschichte schrieb, seinen zweiten hessischen Krimi zu einem starken Roadmovie mit Polizisten, die durchs Dunkel fahren. Urbane "Nachtfilme" gibt es ja bekanntlich viele. Doch das Erkunden der Natur, der nächtlichen Wälder, Äcker und Straßenränder – übrigens wunderbar ausgeleuchtet – erzeugt hier eine ganz besonders einnehmende Atmosphäre. Dazu erzählen sich die lakonischen Polizistenfiguren im Wagen (unter anderem: Karsten Antonio Mielke und Uwe Rohde) großartige Anekdoten, die zum Teil ins Leere laufen und dennoch in Kopf und Seele des Zuschauers hängenbleiben. Oft wirkt "Erbarmen. Zu spät." wie ein amerikanischer Indie-Film mit Hemingway-artigen Nachtgestalten. Ein Film, der sämtliche Krimiklischees des deutschen Fernsehens weit von sich weist.

Dazu passt, dass der abwechselnd in Berlin und Texas lebende Filmemacher Bastian Günther, früher mal Assistent bei Christian Petzold, den Soundtrack der nächtlichen Suche von der texanischen Retro-Elektronikband Dallas Acid komponieren ließ, deren minimalistische Krautrock-Klänge einen schönen Gegensatz zu den nächtlichen Naturaufnahmen bilden. Über das "Thema" des Krimis, das sich erst in der zweiten Hälfte des Films ergibt, sollte man zu Anfang möglichst wenig wissen. Erwähnen muss man aber, dass der wie immer bärenstarke Godehard Giese in Hälfte zwei einen Mann spielt, den der diesmal klar im Vordergrund stehende Ermittler Brix von früher gut kennt.

Wie subtil Bastian Günthers "Tatort", dessen vorheriger Film "One Of These Days" 2022 bei der Berlinale lief, funktioniert, merkt man manchmal an winzigen Details. So läuft im Hintergrund der nächtlichen Suche nach dem Leichnam – kaum wahrnehmbar – eine Fußball-Radioreportage. Irgendwann fragt Brix, wie das Spiel der Eintracht ausgegangen sei. "2:2", heißt es. "Ach, scheiße", antwortet Brix. "Gegen wen haben sie gespielt?", fragt der Unwissende. "Young Boys Bern", sagt Brix. Daraufhin sein Gesprächspartner: "Young Boys Bern ... wer kommt denn auf so einen Namen?". Auch so kann man starke Filmszenen schreiben. Es dürfen auch mal Fragen offenbleiben.

Tatort: Erbarmen. Zu spät. – So. 10.09. – ARD: 20.15 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

Top stars

Das beste aus dem magazin

Aktuelles Album von Avantasia: "Here Be Dragons"
HALLO!

Avantasia feiert 25 Jahre: Das große Jubiläum

Avantasia feiert mit "Here Be Dragons" einen grandiosen Erfolg in den Charts. Tobias Sammet erzählt von der Entstehung des Albums, seiner Begeisterung für neue musikalische Wege und der Zusammenarbeit mit großen Namen der Rockszene.
Letztes Jahr gab es 411 Todesfälle im Wasser.
Gesundheit

Vorsicht am Wasser

Mit 411 Ertrinkungsfällen im Jahr 2024 ist das Risiko in deutschen Gewässern hoch. Die DLRG fordert verstärkte Aufsicht und warnt vor unzureichenden Schwimmhilfen. Eltern sollten besonders im Sommer auf die Sicherheit ihrer Kinder achten.
Urlaub im Norden: Keine Hitze, stattdessen angenehme Temperaturen und die Möglichkeit, einen Norweger-Pulli zu tragen.
Reise

Reisen mit kühlem Kopf

Helsinki statt Hurghada: „Coolcation“ heißt ein aktueller Trend, bei dem Reisende bewusst Regionen besuchen, in denen ein gemäßigtes und kühleres Klima herrscht.
Marco Bubnick ist Leiter einer Apotheke in Schwerin und Vizepräsident der Apothekerkammer Mecklenburg-Vorpommern.
Gesundheit

So beruhigt sich der Reizdarm ganz natürlich

In Deutschland leiden Millionen Menschen an Reizdarm. Gelegentliche Beschwerden wie Durchfall und Blähungen können die Lebensqualität stark beeinträchtigen. Mögliche pflanzliche Hilfsmittel sind Pfefferminzöl, Kümmelöl und Flohsamenschalen.
Patrick Kalupa ist Dr. Neiss alias „Dr. Nice.
Star-News

"Dr. Nice" Patrick Kalupa im Gespräch mit prisma: „Ich habe ein Helfersyndrom“

Patrick Kalupa spielt Dr. Neiss, Frauenschwarm und Star-Chirurg, den alle nur „Dr. Nice“ nennen. prisma sprach mit dem Schauspieler über „Dr. Nice“.
Hat als Trainer und Spieler Bundesliga-Geschichte geschrieben: Winfried Schäfer.
HALLO!

"Die haben sich angeschaut und gedacht, der Schäfer spinnt"

Winfried Schäfer erzählt in seiner Autobiografie von unglaublichen Erfolgen, dem Wunder vom Wildpark und persönlichen Rückschlägen. Ein faszinierender Einblick in die Welt des Fußballs.