Kaum bemerkt und wenig beklagt: Der einst wichtigste Helfer des Menschen ist in der Spaßindustrie gelandet.
Fritz Thiedemann auf Meteor! Bei den Olympischen Spielen 1952 in Helsinki gewannen der hagere Landwirt aus Elmshorn und sein Holsteiner Wallach die Bronzemedaille im Springreiten.
Nachkriegsdeutschland, bescheiden noch und überhaupt zum ersten Mal wieder bei Olympia zugelassen, schloss beide in seine kollektiven Arme. Zwei Jahre, bevor die Fußballer sensationell Weltmeister wurden, war das ein Zuckerchen auf die Niedergedrücktheit. Auch wenn nicht mehr Hungersnot herrschte inmitten der Kriegsruinen, von einem Wirtschaftswunder wagte noch niemand zu träumen. Da war eine Bronzemedaille Gold für die Seele.
Zwei Ereignisse verhelfen zu ungeahnter Popularität
Vier Jahre später Stockholm. Wieder ging es für Thiedemann/Meteor um eine Medaille. Sie gewannen Gold in der Mannschaftswertung. In der Einzelwertung aber wurden sie von Hans Günter Winkler und seiner Stute Halla übertrumpft. Obwohl schwer verletzt, dirigierte Winkler das Pferd souverän über den Parcours: Goldmedaille.
Zwei Ereignisse, die dem Reitsport in Deutschland zu ungeahnter Popularität verhalfen und noch heute den vielleicht nicht mehr vernehmbaren, aber doch vorhandenen Grundton bei Publikumsereignissen wie dem Aachener Reitturnier abgeben.
Zwei Ereignisse aber auch, die, zu ihrer Zeit kaum bemerkbar, einen grundlegenden Wechsel in der Beziehung von Mensch und Pferd einläuteten. Die möglicherweise älteste, bestimmt aber wirkmächtigste Partnerschaft zwischen einem Tier und der Gattung Homo sapiens ging, je nach Sichtweise, zu Ende oder änderte sich grundlegend.
Der Kulturhistoriker Ulrich Raulff behauptet in seinem Buch "Das letzte Jahrhundert der Pferde", was der Titel besagt: Nach Jahrtausenden der Gemeinsamkeit ließ der Mensch im 20. Jahrhundert seinen Kameraden Pferd von der Bildfläche der Landwirtschaft und des Alltags verschwinden.
Andererseits wurden Thiedemann und Winkler zu Urvätern jener Bewegung, wie wir sie heute auf Ponyhöfen, in Reithallen und auf Reitwegen am Waldesrand antreffen.
Vom schweren Kaltblüter zum Reitpony geschrumpft
Das Nutztier Pferd wurde vom schweren Kaltblüter zum Reitpony geschrumpft. Vom Feld des Bauern musste es weichen und eroberte die Freizeitfantasien von Mädchen.
Die Zahl der Ardenner, Mecklenburger und Percheron-Kaltblüter, die um 1900 unzählige Möbel-, Bier-, Kohlewagen und auch Schiffe zogen, hat sich von 4,2 Millionen auf heute 400.000 verringert. Der Pferdebestand insgesamt pendelte sich nach einem Tiefststand um 1970 (ca. 250.000) bei einer Million Tiere ein. 1950 waren es noch 1,6 Millionen.
Die Entwicklung der Menschen hätte ohne das Pferd möglicherweise einen anderen Verlauf genommen. Kein anderes Tier hat aufgrund seiner vielseitigen Nutzung und frühen Verehrung die zivilisatorische Entwicklung der Menschheit so beeinflusst wie das Pferd, das schon vor 40 000 Jahren in Höhlenmalereien dargestellt wurde.
"Auch spiegelt die Entwicklung des Wortes Pferd", so Wilfried Brade in "Berichte über Landwirtschaft" (einer Publikation des Landwirtschaftsministeriums), "die historische Bedeutung dieses Tieres wider". Das Wort Pferd ist gallischen Ursprungs und stammt von veredus ab (= weil es den Wagen zieht). Aus veredus wurde verdus, verd, daraus unser Wort Pferd.
Neben der Nutzung als Fleischlieferant diente das Pferd als Kultobjekt. Pferdeopfer gehörten fest zum Jahresablauf. Es wurde Fleisch verzehrt und Blut getrunken. Auf diese Weise sollten sich die Krieger Schnelligkeit und Stärke einverleiben.
In eine Angriffsmaschine umgemodelt
Schnelligkeit war mit Sicherheit der entscheidende Auslöser für die Beziehung Mensch/Pferd. Ulrich Raulff weist in seinem Buch auf das Paradox hin, dass ein geborenes Fluchttier wie das Pferd, "der große Vegetarier", vom Menschen in eine wirkungsvolle Angriffsmaschine umgemodelt wurde. Wer hoch zu Ross saß, war nicht nur bessergestellt, von ihm ging auch eine Androhung von Gewalt aus. Seine letzten Auftritte als Machtfaktor erlebte das Pferd, wenn Demonstranten mit Polizei gewalt niedergeritten wurden.
So, wie das Pferd im 20. Jahrhundert schnell und unbeachtet aus dem Bauern leben verschwand, verlor es seine Bedeutung für die Kavallerie. Napoleon stürmte noch auf einem Schimmel Eroberungen entgegen, die Generäle der Weltkriege sah man kaum mehr zu Pferd.
"Die Tempomaschine par excellence" (Raulff über das Pferd) wurde von schnelleren Maschinen zu Lande und in der Luft überholt. In den Prärien der USA, in Australien und der ungarischen Puszta erledigen Hubschrauber das Herdentreiben, das einst von berittenen Hirten und Cowboys besorgt wurde.
Ein Hauch "Immenhof"-Romantik
Die Landwirtschaftsindustrie hat von einem PS auf 200 PS aufgerüstet. Da bleiben Pferde, teuer wie sie sind, dem Vergnügen der Feriengäste vorbehalten. Sie erleben auf dem Reiterhof, abseits vom bäuerlichen Betrieb, noch einen Hauch der "Immenhof"-Romantik alter Filme.
Nein, für einen kulturhistorischen Nachruf, wie Raulff ihn verfasst hat, ist es noch zu früh. Aber der Wandel vom Nutz- zum Spaßtier binnen 100 Jahren bleibt atemberaubend.