Rainer Bock im Interview

Sind Kölner korrupter als andere Menschen?

von Eric Leimann

Die Filmsatire "Der König von Köln" (Mittwoch, 11. Dezember, 20.15 Uhr, ARD) aus der Feder von "Stromberg"-Autor Ralf Husmann erzählt von geradezu atemberaubender Korruption in Deutschland. Vorlage für den Film bietet ein Stoff, der im Anschluss um 21.45 Uhr in der Dokumentation "Der Milliarden-Maurer vom Rhein" näher beleuchtet wird.

Der vielbeschäftigte Schauspieler Rainer Bock ("Atlas", "Das Boot", "Das weiße Band"), lange segelte er unter dem Film-Radar auf deutschen Theaterbühnen, spielt jenen "König von Köln", ohne dessen komplexes Klüngelgeflecht in der Domstadt nichts geht. Ein Interview über den gefühlten Verlust "deutscher Korrektheit" und darüber, was man gegen die Resignation über das Schlechte in der Welt tun kann.

prisma: Sie stammen aus Norddeutschland. Können Sie verstehen, warum sich der "Kölsche Klüngel" ausgerechnet in Köln etablieren konnte?

Rainer Bock: Klüngel heißt ja erst mal, dass sich politische, wirtschaftliche und individuelle Interessen vermengen und von den "Klüngelnden" zum eigenen Vorteil ausgenutzt werden. Das passiert natürlich überall – unter dem Namen Korruption. Das einzige, was in Köln anders sein mag, ist, dass die Kölner es nicht wirklich schaffen, das Ganze unter dem Deckel zu halten – weil sie so wahnsinnig stolz auf ihre persönlichen, menschlichen Beziehungen sind. Deshalb ist der "Kölsche Klüngel" vielleicht bekannter als das, was nach dem gleichen Prinzip anderswo geschieht.

prisma: Verstehen Sie diesen Stolz und die Redelust der Kölner?

Bock: Na klar, es ist ja auch schön, auf einer sehr menschlichen und persönlichen Ebene miteinander umzugehen. Und dann kommt noch der Karneval dazu, also der Alkohol. Da fällt es dem Kölner schon schwer, seinen Schnabel zu halten. Ich habe den Machern des Films aber gleich gesagt, dass ich es nicht schaffen werde, in der kurzen Zeit glaubhaftes "Kölsch" zu lernen. Da sagte man mir: Muss gar nicht sein, unsere Geschichte erzählt von einer universellen Wahrheit. Die einzige Figur, die im Film wirklich den kölschen Dialekt pflegt, ist der von Joachim Król gespielte Bauamtsleiter. Dafür muss man einem Mann aus dem Ruhrgebiet ja auch erst mal großen Respekt zollen.

prisma: Der Film orientiert sich an wahren Begebenheiten. Haben Sie den Eindruck, dass die Dreistigkeit der Korruption und des Amtsmissbrauchs in unserer Gesellschaft zugenommen hat?

Bock: Ich komme aus dem linksliberalen Lager. Einerseits glaubten die Linken schon immer an Verschwörungstheorien. Andererseits war bei mir stets der feste Glauben vorhanden, dass in Deutschland eine preußische Korrektheit und Aufrichtigkeit vorherrscht. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass bei uns im ganz großen Stil geschmiert wird. Diese Meinung musste ich leider Stück für Stück revidieren. Das prototypische Beispiel für Korruption ist für mich der Flughafen Berlin. Kein Mensch kann mir weismachen, dass es über einen so langen Zeitraum technische Probleme gibt. Gerade in der Baubranche werden immer wieder neue Aufträge vergeben, die nicht das Ziel haben, dass etwas günstig oder schnell fertig wird. Nein, mit der Vergabe wird Geld verdient. Leider meistens unser Geld, also das des Steuerzahlers.

prisma: Sie haben also den Glauben an die "deutsche Korrektheit" verloren?

Bock: Der Glaube daran ist zumindest stark erschüttert. Banken-Skandal, Diesel-Skandal, dann lese ich in der Zeitung und im Internet fast täglich von irgendeiner Lebensmittel-Rückrufaktion. Und das in einem Land der tausend Vorschriften und Kontrollen. Es scheint mir schon so, dass Korruption heute häufiger und heftiger passiert. Und das erschüttert meinen Glauben an unser kleines Wertesystem ganz erheblich.

prisma: Die vielen Skandale lassen den Menschen abstumpfen – was die Empörung über weitere Skandale geringer ausfallen lässt. Sind wir eine resignierende Gesellschaft?

Bock: Resignation findet immer dort statt, wo man den Eindruck hat, dass Dinge nicht mehr in der eigenen Macht stehen. Deshalb resigniere ich nicht, weil ich ohnehin nie einen direkten Einfluss besaß – wenn man mal von meinem politischen Wahlrecht absehe. Nein, ich rege mich weiter wahnsinnig auf (lacht).

prisma: Man kann als Einzelner gegen Korruption also wirklich gar nichts tun?

Bock: Nicht zu resignieren, ist schon mal ein guter Start. Man muss seine Sinne weiter geschärft und offen halten. Und man muss Dinge, die in unserer Gesellschaft schieflaufen, benennen und anprangern. Wenn möglichst viele Menschen nicht aufgeben, wenn sie die Mächtigen immer wieder nerven und den Finger in die Wunde legen, erwischt man meistens doch noch jemand Aufrechten mit Einfluss, der in der Sache hilft. Das macht letztendlich eine funktionierende Demokratie aus. Es ist zumindest ein Gedanke, der mich – ich will es mal so sagen – ab und an beruhigt.

prisma: Filme sind auch eine Methode, auf Skandale hinzuweisen. Ist es eigentlich egal, ob man die Form der Satire oder des Dramas wählt? Was hat den größeren Effekt?

Bock: Ich weiß gar nicht, ob das Genre eine Rolle spielt. Im Anschluss an unsere Satire läuft übrigens eine Doku namens "Der Milliarden Maurer vom Rhein". Wobei ich Ihnen nicht sagen kann, ob da ein Zusammenhang besteht (lacht). Das Ganze nennt sich "Themenabend: Kölscher Klüngel". Man kann Skandale sicher auf unterschiedliche Art wirksam anprangern.

prisma: Mal andersherum gefragt: Was ist der Vorteil der Satire?

Bock: Wirtschaftskriminalität, zu der man auch die Banken-Skandale zählen muss, zeichnen sich dadurch aus, dass sie für den Laien extrem schwer zu verstehen und zu durchblicken sind. Das ist ja Teil des Systems! Man verschleiert kriminelle Handlungen, indem alles durch tausend Hände wandert, über ebenso viele Ecken geht und durch viele langweilige und spröde Verfahren abgewickelt wird. Wenn man derlei Prinzipien im Film erklären will, schalten viele Leute ab. Insofern erfüllt die Satire, wo man auch mal lachen kann und nicht alles bierernst nacherzählen muss, schon ihren Sinn. Das Wichtigste im Film ist aber immer, dass man emotional an die Figuren andocken kann.

prisma: Die emotionale Kraft eines Films übertrifft also die Wahl des Genres?

Bock: Auf jeden Fall. Wobei man die Wirkung von komischen Elementen nicht unterschätzen soll. Der Film "Ziemlich beste Freunde" ist ein gutes Beispiel. Die Menschen hätten sich gedanklich und emotional sicher nicht so sehr mit dem Thema Behinderung beschäftigt, wenn der Film das Schicksal der Figuren als humorfreiesDrama inszeniert hätte. Leichte, heitere Elemente helfen uns dabei, schwere Themen ertragen zu können.

prisma: Gibt es überhaupt noch ein Bedürfnis des großen Publikums für schwere Stoffe? Man hat den Eindruck, im Kino regieren Superhelden-Filme und Unterhaltungskomödien.

Bock: Wir leiden heute unter einer zu großen Belastung durch Information. Der Wunsch nach Flucht und Zerstreuung ist nachvollziehbar. Vor kurzem war unser kleines, menschliches Gehirn noch dafür ausgelegt, Pilze und Gräser zu sammeln. Nun soll es alle komplexen Zusammenhänge der Welt verstehen. Es herrscht die totale Reizüberflutung. Doch das wird sich nicht mehr ändern. Wir müssen lernen, damit zu leben.

prisma: Die Welt ist also nicht unbedingt schlechter geworden, wir wissen heute nur mehr über sie?

Bock: Ich glaube, das ist zumindest ein Teil der Erklärung. Wir haben uns das Internet gewünscht, jetzt haben wir es. Fast jedem Menschen ist alles zugänglich. Das Netz ist sicher die größte Quelle unserer Reizüberflutung. Natürlich ist es auch ein Segen. Es ist wie mit jeder Droge: Auf die richtige Dosierung kommt es an.

prisma: Sie sind jetzt 65 Jahre alt und gefühlt läuft ständig ein neuer Film mit Ihnen an. Lange Zeit flogen Sie als Schauspieler unter dem Radar, meist sah man sie in Nebenrollen. Fühlt sich der späte Ruhm nach Genugtuung an?

Bock: Nein, so ist es nicht. Ich habe 30 Jahre lang fast ausschließlich Theater gespielt und in dieser Zeit nie versucht, einen Einstieg ins Film- und Fernsehgeschäft zu finden. Ich war über viele Jahre noch nicht mal in einer Agentur gemeldet, die mir Jobs hätte vermitteln können. Das hat mich tatsächlich nicht besonders interessiert, weil ich so glücklich beim Theater war. Ich spielte immer in tollen Ensembles. Meine letzten zehn Jahre am Residenztheater München, wo ich von 2001 bis 2011 war, erlebte ich als wunderschöne Zeit. Nun ist man in München allerdings etwas besser von Castern und Regisseuren zu besichtigen als vielleicht in Heidelberg. Und so kamen die Filme zu mir und nicht ich zu ihnen.

prisma: Also doch die Geschichte einer späten Entdeckung?

Bock: In Sachen Filmkarriere: ja. Der große Startschuss war natürlich "Das weiße Band" von Michael Haneke im Jahr 2009. Diesen Film hat wirklich die gesamte Branche gesehen. Offenbar habe ich die Rolle nicht vermasselt, deshalb kamen danach immer wieder Angebote. In letzter Zeit auch Hauptrollen, wie in "Atlas". Aber sehen Sie, das ist einfach ein sehr guter Film, und mir ist es nicht wichtig, ob ich darin die Hauptrolle spiele. Die Qualität eines Films ist für mich das Entscheidende, nicht die Größe meiner Rolle.

prisma: Fühlen Sie eine Gelassenheit des Alters?

Bock: Ich war immer gelassen, was die eigene Arbeit oder Karriere angeht. Ich sagte mir immer: Was kommt, das kommt. Und das andere kann ich nicht beeinflussen. Ich bin nie auf Knien gerutscht, um eine Rolle zu bekommen oder habe noch nicht mal den Finger hochgerissen, wenn etwas verteilt wurde. Ich kann mich nur durch meine Arbeit empfehlen. Alle anderen Bewerbungsprinzipien fühlten sich für mich immer irgendwie fremd an.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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