Schauspieler im Interview

Felix Klare: "Mich interessiert die Welt der Grautöne und Rätsel"

von Eric Leimann

Felix Klare, vielen TV-Zuschauern aus dem Stuttgarter "Tatort" bekannt, muss sich im XXL-Krimi "Unschuldig" vom dringenden Verdacht reinwaschen, der Mörder seiner Frau zu sein.

Im dreistündigen Krimi "Unschuldig" (Samstag, 7. Dezember, 20.15 Uhr, ARD) muss sich der Stuttgarter "Tatort"-Kommissar Felix Klare mit einem gegenteiligen Rollenprofil anfreunden: Der 41-Jährige spielt einen Mann, der zwar nach sieben Jahren aus dem Gefängnis freikommt, den aber dennoch fast alle für den Mörder seiner Frau halten. Selbst die beiden mittlerweile halbwüchsigen Kinder. Der Krimi, die Adaption eines britischen Erfolgsformats, ist im besten Sinne ein klassisches Mörder-Suchspiel. Eines mit vielen Verdächtigen Verhören und Spuren. Das XXL-Samstags-Programm ist ein guter Anlass, um mit einem Ermittlungsexperten vor der Kamera über die Struktur von Krimis zu reden, dem mit Abstand beliebtesten TV-Genre der Deutschen.

prisma: Mit "Unschuldig" bleiben Sie als Stuttgarter "Tatort"-Kommissar beim Genre Krimi. Ist es etwas völlig anderes, mal einen Verdächtigen zu spielen?

Felix Klare: Wenn ich ein Drehbuch lese, bin ich eigentlich immer recht objektiv. Mich interessiert erst mal nur die Geschichte – unabhängig davon, welches Genre es ist und welchen Part ich darin übernehmen soll. Klar, "Unschuldig" ist ein klassischer Krimi. Was mich jedoch überzeugt hat: Ich habe lange schon keinen so guten klassischen Krimi mehr gelesen.

prisma: Was ist für Sie ein "klassischer" Krimi?

Klare: Einer, bei dem der Zuschauer viel Zeit damit verbringt, über Täter und Tathergang zu spekulieren. In "Unschuldig" kommen sehr viele Figuren als Täter infrage. Sie nach und nach auszuleuchten, Personen zu verdächtigen und sie dann eventuell wieder zu entlasten – das ist klassische Krimikunst. Viele Autoren versuchen sich daran, hier hat das auf hohem Niveau wirklich gut funktioniert.

prisma: Wenn man vom "klassischen" Krimi redet, meint man dann nicht meistens, dass er auch ein bisschen altmodisch ist?

Klare: Ja, man kann diesen Begriff positiv oder negativ deuten. Der "Tatort" ist ein gutes Beispiel. Dort gibt es heute kaum noch klassische Fälle, in denen es ausschließlich darum geht: Wer ist's gewesen? Oft werden gesellschaftliche Themen verhandelt oder auch Erzählweisen ausprobiert. Der klassische Krimi ist heute fast schon in der Minderheit. Dabei heißt klassisch nicht unbedingt, dass der Film ein reines Täter-Suchspiel ist, sondern er kann psychologisch sehr fein gewoben sein. Letztendlich geht es, wenn man filmische Qualität erzeugen will, immer darum, wie komplex und glaubhaft die Figuren erzählt werden. Menschen schauen Filme, weil sie sich für Menschen interessieren. Wenn Figuren wirklich nachvollziehbar sind, entsteht selten ein schlechter Film.

prisma: Hat man im klassischen "Wer-ist's-gewesen"-Krimi vielleicht sogar mehr Raum für die Figuren?

Klare: Ja durchaus. Im Stuttgarter Tatort "Anne und der Tod" zum Beispiel, hatte die Episodenfigur, eine Altenpflegerin, viel Raum, um detailliert ihre Figur zu spielen. Bei großen Themen-"Tatorten", wie beispielsweise "Der rote Schatten" oder "Der Inder", stehen die Figuren im Einzelnen weniger im Vordergrund, sondern das Thema: RAF oder Stuttgart 21.

prisma: "Unschuldig" ist ein eher mathematischer Krimi. Tathergänge und Verdächtige werden geprüft und logisch abgearbeitet. Gibt es zwei Lager von Krimi-Fans: Mathematiker, die nur den Täter finden wollen, und jene, die sich mehr für Psychologie interessieren?

Klare: Das ist eine interessante Theorie. Wenn sie zutrifft, gehöre ich auf jeden Fall zur psychologischen Fraktion, da mich Menschen mit ihren Problemen mehr interessieren, als beispielsweise Mathematik oder Architektur. Alles, was man berechnen kann, hat etwas Absehbares. Mich interessiert die Welt der Grautöne und Rätsel, auf die es keine klare Antwort gibt. Mich an die Wahrheit anzunähern, finde ich viel spannender, als sie ein für allemal zu finden.

prisma: Wie haben Sie sich auf die Psychologie dieses Films vorbereitet?

Klare: Ich traf noch einmal einen Mann, der viereinhalb Jahre in Haft saß und den ich bereits für ein anderes Projekt kennengelernt hatte. Es ist sehr wichtig, dass man sich dem Erlebnis einer langen Haftstrafe, das die meisten von uns nicht kennen, wirklich annähert. Ich glaube, lange eingesperrt worden zu sein, verändert einen Menschen massiv. Keiner kommt nach einer solchen Erfahrung so aus dem Knast heraus, so wie er hineingegangen ist.

prisma: Wie entscheidend ist es für die eigene Lernerfahrung, ob man schuldig oder unschuldig im Gefängnis saß?

Klare: Darüber kann ich nur spekulieren. Ich kenne Beispiele für beide Lebensgeschichten. Beim Film "Unter Anklage: Der Fall Harry Wörz" hat unser echtes Rollenvorbild vier Jahre lang unschuldig in Haft verbracht. Harry Wörz war immer wieder bei uns am Set. Man spürte jedes Mal, wie er sich an dieser Ungerechtigkeit abarbeitete. Ich glaube, es ist schon ein großer Unterschied. Andererseits macht auch die Haft an sich eine Menge mit einem. Ich habe mal privat einen ehemaligen RAF-Terroristen kennengelernt, der 15 Jahre im Gefängnis verbrachte. Ich erlebte den Mann total rastlos. Natürlich weiß ich nicht, wie er vorher war. Man muss aber mit Sicherheit Überlebensstrategien entwickeln, um mit so einem langen Freiheitsentzug – ob verdient oder nicht – klarzukommen. Der Mann, von dem ich sprach, hat zum Beispiel einfach alles gelesen, was ihm in die Finger kam. Er wurde in der Zeit eine Art Universalgelehrter, um nicht verrückt zu werden.

prisma: Welche Filmprojekte haben Sie sonst in letzter Zeit realisiert?

Klare: Das Sorgerechts-Drama "Weil du mir gehörst" ist ein Film, der wohl Anfang Februar an einem Mittwoch im Ersten läuft. Da geht es um das Thema PAS, ein englischer Begriff, der eine bestimmte Art der Eltern-Kind-Entfremdung beschreibt. Es geht um die Situation, wenn ein Kind bei einem Elternteil aufwächst und so manipuliert wird, dass es den anderen nur noch hasst. In 90 Prozent der Fälle sind davon Männer betroffen. Dabei treten auch beim Kind psychische Störungen auf, mit denen es bis an sein Lebensende zu kämpfen haben wird. Der Film lief bereits auf Festivals und hat überall großen Anklang gefunden. Offenbar haben wir da thematisch einen Nerv getroffen, weil darüber noch wenig bekannt ist. Nach der Ausstrahlung im Ersten soll wohl auch eine Maischberger-Diskussion folgen. Ich hoffe, das klappt.

prisma: Stellt ein solcher Themenfilm eine andere Art von Befriedigung für einen Schauspieler dar?

Klare: Ja, durchaus. Wenn man mit einem Film ein wichtiges gesellschaftliches Thema aufgreift, das bislang vielleicht übersehen wurde, ist das enorm befriedigend. Das hat man auch bei den Vorführungen gemerkt. Auf allen Festivals haben wir Väter-Vereinigungen kennengelernt, die uns sagten, wie wichtig der Film für sie ist. Wenn man als Schauspieler mal aus der reinen Unterhalter-Rolle rausfällt und gesellschaftlich ein bisschen was bewirken kann, vermittelt das zumindest mir immer sehr viel Sinn, was meinen Beruf betrifft.

prisma: Unter den letzten Stuttgarter "Tatorten" waren gleich drei dabei, die Preise gewannen und von der Kritik über den grünen Klee gelobt wurden: "Stau", "Der Mann, der lügt" sowie "Anne und der Tod". Wie schnell merken Sie, ob ein neuer "Tatort" gut wird?

Klare: Das merkt man sehr schnell. Beim Lesen des Drehbuchs ist eigentlich schon alles klar. Eine gute Geschichte, die zudem gut aufgeschrieben ist, kann man kaum kaputt machen. Da würde ich mir die Regie fast schon selbst zutrauen (lacht). Andererseits ist es sehr schwierig, aus einem mäßigen Drehbuch sehr viel mehr herauszuholen. Wer gute Filme drehen will, braucht vor allem starke Drehbücher. Es ist eine Binsenweisheit, der man in der deutschen Fernsehbranche komischerweise immer noch zu wenig Beachtung schenkt, finde ich.

prisma: Wie sehr erleichtern gute Drehbücher dem Schauspieler die Arbeit?

Klare: Sie tun es enorm! Ich würde sogar sagen, bei einem Film mit einem guten Drehbuch kann jeder halbwegs begabte Schauspieler glänzen. Bei Filmen nach sehr starken Drehbüchern, werden meist auch die anderen Kreativen mit Preisen überhäuft, was fast ein bisschen ungerecht ist. Ich bin dafür, Preise auszuloben, die an Schauspieler verliehen werden, die trotz mittelmäßiger Drehbücher Top-Leistungen abliefern. Das ist eine ganz große Kunst, die leider viel zu selten gewürdigt wird.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

Das könnte Sie auch interessieren