"disco"

Vor 50 Jahren hieß es erstmals: "Licht aus, Spot an!"

von Frank Rauscher

Fernsehformate wie "disco" ebneten der MTV-Ära den Weg. Das ZDF erinnert mit einem Best-Of an die Kultsendung mit Ilja Richter.

Anzug, Pilzfrisur, ungelenke Körperhaltung: Ilja Richter war mit seiner Moderation und seinen Sketchen das ganz und gar außergewöhnliche Element einer ansonsten ziemlich konventionell gestrickten Musiksendung, die dem Publikum deutsche und internationale Stars näher denn je brachte. "disco" eroberte im Februar 1971 im Sturm die Jugend und brachte doch auch die Generationen und Welten zusammen wie keine andere Fernsehshow jener Zeit.

Die Sendung war Pop, aber im besten Sinne: Sie separierte nicht, sie vereinte – und war doch ganz anders: verwegen und bieder, meistens beides zugleich – und dazu von einer furiosen Unbekümmertheit geprägt, die dafür sorgt, dass das Ganze auch heute noch, 50 Jahre nach der ersten Sendung, erstaunlichen Schauwert besitzt.

Wie das genau aussah, zeigt das ZDF am Samstag, 13. Februar, 01.00 Uhr, in der "Die ZDF-Kultnacht – Das Beste aus 'Disco' (1)". – Ein knapp dreistündiges Jubiläumsprogramm nicht nur für Schlagerfanatiker und Altrocker, sondern ein unterhaltsames Zeitdokument für alle. "Die ZDF-Kultnacht – Das Beste aus 'Disco' (2)" wird am Montag, 15. Februar, 02.10 Uhr gesendet.

Mochte draußen, in der weiten Welt, die Love-Generation noch so sehr dem Rock, dem Discosound und den bewusstseinserweiternden Substanzen frönen – dem deutschen Showfernsehen der 70er-Jahre war's einerlei. Die Zielgruppe war noch nicht erfunden, und ein Wort wie "jugendaffin" gab es nicht. Wenn junge "Bravo"-Leser fernsehen wollten, taten sie dies im trauten Einvernehmen mit den Eltern, und so konnten sich die politisch überkorrekten Formate von Heck, Kulenkampff, Carrell und Co. wie Trutzburgen der deutschen Bürgerlichkeit gegen wildes Gezappel, verzerrte Gitarren, Afro-Look und wüste Sexattacken aus den Überseh-Diskotheken behaupten. Im Fernsehen der wilden Siebziger regierte die pure Biederkeit.

Doch dann kam eines Samstagabends, es war der 13. Februar 1971, ausgerechnet ein auf den ersten Blick besonders steif wirkender junger Mann mit Anzug und Krawatte daher und rief: "Einen wunderschönen guten Abend, meine Damen und Herren!" Um sich mit einem für damalige Verhältnisse provokativ jugendlichen "Hallo Freunde!" aufs Schelmischste selbst zu kontern. Das bunt gemischte Studiopublikum krakeelte aus seinen ätzend-grellen Nicki-Rollis und Batikshirts begeistert "Hallo Ilja!" zurück! Ein Ritual. Und Fernsehkult, der mit den nicht minder berühmten Worten: "Licht aus!" (Richter) "Womm!" (Publikum) "Spot an!" (Richter) "Jaaaa!" (alle) seine immer wiederkehrende Fortsetzung nahm.

Ilja Richter ging am 13. Februar 1971 als damals jüngster deutscher Moderator mit seiner "disco" im ZDF auf Sendung, avancierte rasend schnell zu Deutschlands erstem wirklichen Popstar, und seine Show wurde zur Plattform galore einer mit Macht durchstartenden Schallplattenindustrie. Ein Auftritt in der Show, die anfangs als ZDF-Äquivalent zum "Beat-Club" der ARD ins Leben gerufen wurde, diesen jedoch alsbald an Strahlkraft weit in den Schatten stellte, ebnete Weltkarrieren den Weg. Der smarte Scheitelträger mit dem nach ewigen Stimmbruch klingenden Organ hatte sie alle – von ABBA bis Status Quo, von Bernd Clüver bis Peter Maffay, von Suzi Quatro bis Gary Glitter, und wer gerade nicht kommen konnte, aber trotzdem hitverdächtig war, wurde mit einem Video-Einspieler gefeiert.

Bunter Musik-Mix

In Zeiten, in denen von MTV noch nicht zu träumen war, verschwammen in der "disco" am frühen Samstagabend erstmals die Grenzen zwischen live, playback und Videoclip – und zwischen den Genres: ob Folk, Funk, Hard Rock oder Schlager, ob "Morning Has Broken" oder "Ententanz" – in der "disco" kam alles zusammen – jeder Auftritt unterlegt von der Autogrammadresse eines Künstlers ... Ein Kompromisskonzept fraglos, aber welch ein kühnes.

Der Clou waren jedoch zwei andere Dinge: Die Künstler standen (oder saßen) bei ihren Auftritten immer mitten unter den Zuschauern im Studio – nirgendwo kam die Koteletten- und Schlaghosenfraktion ihren Idolen näher, keine Musiksendung funktionierte direkter. Und dann waren da natürlich die Sketche. Ilja Richter, am 24. November 1952 in Berlin-Karlshorst geboren, verstand sich seit jeher mehr als Schauspieler denn als Moderator. Auf die Gästeliste hatte er keinen Einfluss – umso mehr tobte sich der sympathische, junge Mann, der rein äußerlich stets wirkte wie seiner Generation entrückt, in seinen gereimten, zwischen dadaistisch und anspruchsvoll pendelnden, oft mit hochkarätigen Gaststars besetzten Kleinkunstelementen aus.

In den durchaus aufwendig hingestellten Kulissen waren unter anderem "Kojak" Telly Savallas, Nastassja Kinski, Inge Meysel, Harald Juhnke und Dieter Hallervorden mit von der Partie ... Und auch das ZDF freute sich über den Output des von einem damals kaum zu befriedigenden kulturellen Ehrgeiz getriebenen Tausendsassas: Mit den Sketchen wurden ältere Zuschauer an das schrille Format gebunden, und die Jugend, damals ohnehin noch nicht sonderlich radikal zwischen Rock, Pop und Schlager trennend, schmunzelte über die paar Minuten bis zum nächsten Musiktitel eben hinweg. Also doch wieder das berühmte "Lagerfeuerfernsehen" jener Zeit – nur unter umgekehrten Vorzeichen: Diesmal konnten die Jungen ihren Eltern erklären, was da vor sich geht.

Das eigentliche Erfolgsgeheimnis war dabei der Moderator. Ilja Richter, heute 68, damals keine 20 Jahre alt, hat sich für die Show nach eigener Aussage eine Rolle konzipiert. Es war eine, die ihn nicht festlegte, sondern genau zwischen alle Genres, Stühle, Generationen platzierte. Ein brillanter, wandelnder Anachronismus. Vor Jahren sagte er im ZDF-Talk von Johannes B. Kerner, dass er eben "keine Zeitfurie" gewesen sei: "Ich habe mich nicht darum geschert, was man tragen muss. Vor allen Dingen wollte ich nicht tragen, was die anderen tragen, nicht Jeans, nicht Batikhemden ... Sondern ich wollte ich sein. Ich wollte eigentlich ein kleiner Gentleman sein, so wie ich das in altmodischen Filmen gesehen hatte. Nur zufälligerweise betreute ich eine Popshow."

Die "musikalische Speisekarte", so Richter, wurde von der Redaktion festgelegt – also nahm er sich auf seine Weise ein paar andere kleine Freiheiten – "in den ach so lustigen 70-ern" gar kein leichtes Unterfangen, wie er sagte: Das ZDF habe damals zahlreiche "goldene Regeln" der political correctness vorgegeben – vor allem immer schön keusch nach außen geben! Die Folge: Nebenbei avancierte der spindeldünne Anzugträger – "ein 20-Jähriger so ganz ohne Damenbegleitung" – zum Liebling der Schwulenszene – ohne schwul zu sein.

Richter (von 1975 bis 1978 mit der Sängerin Marianne Rosenberg liiert, später, bis 2003, mit einer Filmcutterin verheiratet und heute mit seiner Freundin, der Schauspielerin Barbara Ferun, in Berlin lebend) erinnerte sich bei "Kerner" eher amüsiert an jene Jahre, die ihm unter anderem auch die Goldene Kamera (1977) und den "Goldenen Otto" der "Bravo" (1975) bescherten. Doch im Allgemeinen nahm er von der "disco"-Ära Abstand, wollte das Thema in Interviews vermeiden und lieber nur über seine Theater- und Musicalarbeit reden. Zu einem Comeback – wenn auch abseits des ZDF – hat er sich später dennoch hinreißen lassen: Zum 40-Jahre-Jubiläum der ersten Sendung ging Ilja Richter 2011 auf eine Tournee mit einigen Musikern und Bands jener goldenen Ära.

Über 25 Millionen Menschen sahen zu

Ilja Richters 45-minütige "disco" lief insgesamt 133-mal von 1971 bis 1982 über den Bildschirm – in den besten Jahren sahen mehr als 25 Millionen Menschen zu. Das ZDF würdigt das Jubiläum nun sehr gerechtfertigterweise mit einer doppelten "ZDF Kultnacht – Das Beste aus 'disco". An die 100 Titel hat Dr. Dirk Quaschnowitz, der zuständige Redakteur der ZDF-Unterhaltungsredaktion für die beiden Folgen, die nun in einer neu in HD-Qualität aufbereiteten Wiederholung zu sehen sind, aneinandergereiht.

Es gibt in der Sendung ein Wiedersehen mit T. Rex, The Sweet, David Cassidy, den Bay City Rollers, Neil Diamond, Cat Stevens, Rod Stewart, aber auch mit Michael Holm, Christian Anders und natürlich Baccara, Boney M. und Amanda Lear. Dazu Ausschnitte von legendären Sketchen und einiges biografisches Material über Ilja Richter. Für Statistikfans: Am häufigsten dabei, nämlich insgesamt zehnmal, waren damals die Les Humphries Singers, gefolgt von Boney M., Peter Maffay und Marianne Rosenberg, die es auf jeweils neun Auftritte brachten.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

Das könnte Sie auch interessieren