Wissenschafts-Journalist im Interview

Harald Lesch: "Auf der Erde ist der Mensch das größte Rätsel"

von Maximilian Haase

In der "Terra X"-Show über die "Rätsel der Welt" testen Harald Lesch und seine Kollegen das Wissen der Promi-Kandidaten. Warum ihm der Mensch nach wie vor als größtes Mysterium gilt und weshalb er sich andere Konsequenzen aus der Pandemie gewünscht hätte, erklärt der Professor im Interview.

Auch an Harald Lesch ging die Corona-Pandemie nicht spurlos vorüber. Wortgewaltig wies der Münchner Professor und Fernsehmoderator etwa jene Verschwörungstheoretiker in die Schranken, die das Virus nur für eine Erfindung halten. Mit derlei Aufklärungsarbeit machte sich der ansonsten allseits beliebte Astrophysiker nicht nur Freunde. Für starke Meinung steht der 59-Jährige auch nach den umfassenden Corona-Lockerungen – etwa hinsichtlich der Frage, ob wir die Chance auf eine Veränderung der Gesellschaft infolge der Pandemie verspielt haben. Lesch, der als konsequenter Kritiker der neoliberalen Wirtschaftsordnung gilt, bezieht auch hier deutlich Stellung. Derweil gibt es für den Fernsehprof zumindest schrittweise eine Rückkehr in die TV-Normalität: Während sich die kommende Ausgabe von "Leschs Kosmos" (Dienstag, 14. Juli, 23 Uhr, im ZDF) dem "Kampf ums Wasser" und damit der Kritik besagten Wirtschaftens widmet, beleuchtet er bereits zuvor in der "Terra X"-Show (Mittwoch, 8. Juli, 20.15 Uhr) gemeinsam mit anderen Promis unter dem Motto "Rätsel der Welt" ebendiese. Das größte darunter bleibt für Harald Lesch aber, wie er sagt, nach wie vor der Mensch.

prisma: Geht es mit Ihrer neuen "Terra X"-Show für Sie wieder langsam Richtung TV-Normalität?

Harald Lesch: Ja, das waren aber auch gemütliche Produktionen, ohne Publikum. Dafür mit ganz tollen Kandidaten und hochinteressanten Fragen. Und die Stimmung beim Dreh war grandios!

prisma: Sind Sie mit den geladenen Promi-Gästen bei so einer Show eigentlich auf Du und Du – oder halten Sie Abstand?

Lesch: Abstand muss ich wegen Corona sowieso halten (lacht)! Nein, im Ernst: Da kommt man relativ schnell in Kontakt. Gerade weil nur Profis am Set sind, ist die Zusammenarbeit gut.

prisma: Was war für Sie das Besondere am Konzept der Show?

Lesch: Das Ziel einer solchen "Terra X"-Show war es ja, der Wissenschaft wieder ein wenig Platz innerhalb der Showbranche zu geben. Es ist ein wenig wie der Buchklassiker "Götter, Gräber und Gelehrte", in dem zahlreiche Geschichten zusammengefasst werden – aber eben nicht nur aus der Archäologie, sondern aus allen möglichen Bereichen. Bei einigen dieser Rätsel war ich sehr gespannt, wie die Kandidaten damit klarkommen.

prisma: Was ist für Sie das größte Rätsel überhaupt?

Lesch: Ich bin nach wie vor gespannt darauf, wann wir den ersten Planeten finden, der so ähnliche Signaturen trägt wie die Erde – also mit Sauerstoffatmosphäre, mit Wasser und nicht zu nah an seinem Stern. Stichwort: außerirdisches Leben. Für mich ist das die größte Herausforderung – auch weil man als Lebewesen selbst weiß, was lebendig sein bedeutet. Natürlich gibt es noch ein paar akademische Fragen – etwa jene nach dunkler Materie und dunkler Energie. Und auf der Erde ist der Mensch das größte Rätsel – noch immer (lacht)! Die menschlichen Handlungen sind für mich das größte Rätsel überhaupt.

prisma: Konnten Sie im ersten Halbjahr 2020 – in der Corona-Krise – neue Erkenntnisse über den Menschen und sein Handeln gewinnen?

Lesch: Zunächst war ich sehr beeindruckt von der Disziplin und der Art und Weise, wie die Menschen auf die Krise reagiert haben – vor allem auf die Entscheidungen, die ihnen Politik und Wissenschaft präsentiert haben. Das ist ziemlich gut gelaufen. Aktuell läuft mir die Diskussion aber ziemlich aus dem Ruder.

prisma: Inwiefern?

Lesch: Es gibt leider eine Diskussion, die die Freiheit der Menschen in Deutschland viel zu sehr eingeschränkt sieht. Ich denke alle, die so denken, sollten mal nach Italien, Spanien oder Frankreich blicken. Da gab es wirkliche Einschränkungen. Trotzdem gibt es Kommentare und Artikel, die sogar meinen, die Deutschen seien viel zu gehorsam. Außerdem wird doch tatsächlich gefordert, die Wissenschaft soll forschen und sich ansonsten ruhig verhalten. Ich habe den Eindruck, dass da manche aus Sozial- und Geisteswissenschaften versuchen, endlich wieder die Deutungshoheit über die Welt zu erlangen. Schließlich mussten sie sich drei Monate dem Diktat der Fakten beugen und sich von den Naturwissenschaften anhören, wie die Welt funktioniert. Angesichts der Gefahr der zweiten Welle, halte ich solche Diskussionen für verfrüht.

prisma: Hätten Sie sich einen anderen Lerneffekt aus der Pandemie gewünscht?

Lesch: Ich bin ein wenig überrascht, dass wir die Gelegenheiten nicht wahrgenommen haben, eine Transformation hin zu einer ökologischeren Gesellschaft zu wagen. Denn das Argument dagegen war ja immer: Wir können das nicht machen, weil das wie die Umwandlung eines Segelschiffs bei voller Fahrt in einen elektrischen Superkreuzer wäre. Nun hatten wir aber die Zeit – und unser Schiff lag die ganze Zeit im sicheren Hafen. Wir hätten viel machen können.

prisma: Zum Beispiel?

Lesch: Alle Länder in Europa nehmen viele Schulden auf, da wäre es doch nur zu natürlich, endlich mit Steuerhinterziehung, Steuerschlupflöchern, Steuerparadiesen oder sonstigen steuerlichen Optimierungsverfahren endlich Schluss zu machen. Ich hätte mir gewünscht, dass der Finanzsektor, der sich ja , wenn man die Börsenkurse betrachtet, völlig von der Realität verabschiedet hat, durch eine wirklich wirksame Transaktionssteuer an den Kosten der Corona-Pandemie beteiligt wird. Aktuell verdienen die Hedgefonds – unglaublich! Offenbar hat vieles was vernünftig reguliert war, gut funktioniert, weil dort die staatlichen Institutionen funktioniert haben. Diese Krise ist ein starkes Argument für einen starken Staat und nicht für eine durch Sparmaßnahmen ausgehöhlte und personell ausgedörrte staatliche Hülle, die dem Turbokapitalismus neoliberaler Art Tür und Tore öffnet.

prisma: Haben wir also eine Chance verspielt?

Lesch: Beim Fußball würde man sagen: Wir hatten viele Chancen, aber haben zu wenig Tore gemacht. Man kann das einerseits durchaus entschuldigen, was die Bundes- und Länderregierungen in den letzten Monaten geleistet haben, verdient allergrößten Respekt. Die hatten keine Zeit, sich auch noch darum zu kümmern. Aber jetzt, wo es an das Verteilen der Mittel geht, da muss genauer gefordert werden: Infrastruktur für die kommenden Generationen, die müssen wir bereitstellen, in Bildung, Energie, Umwelt und Gerechtigkeit. Das können wir jetzt noch viel leichter anpacken. Ich hoffe, dass wir nicht zu einem Business-as-usual zurückkehren, sondern wirklich was gelernt haben.

prisma: Glauben Sie, dass die Menschen hierzulande verfrüht wieder zur Normalität zurückkehren?

Lesch: Wir sind alle wieder viel mehr in unserem Alltag und versuchen, in dieser Mixtur aus Verboten und Lockerungen den Kopf über Wasser zu halten. Aber angesichts von Eskapaden wie bei Tönnies kommt auch wieder die Angst, dass wir die Kontrolle über dieses hochansteckende Virus verlieren. Da fragt man sich: Wann geht es angesichts der vielen Neuinfizierten wieder los?

prisma: Währenddessen kursieren noch immer Dutzende Verschwörungstheorien zum Thema Corona. Ist es da ein Lichtblick, dass Sie mit "Leschs Kosmos" kürzlich den Deutschen Fernsehpreis abräumen konnten?

Lesch. Das gilt ja meiner ganzen Redaktion – und wir sind froh darüber, wenn das in der Medienwelt so wahrgenommen wird, dass wir das so gut machen, dass es einen Fernsehpreis wert ist. Das ist für alle Beteiligten toll, auch für diejenigen hinter der Kamera. Und gerade in Zeiten, in denen die Verschwörungsheinis unterwegs sind, freut man sich, wenn es für faktenbasierte Wissenschaftsdarstellung Anerkennung gibt. Das tut gut, klar.

prisma: Bekommen Verschwörungstheorien zu viel Aufmerksamkeit?

Lesch: Das Problem ist die Gewichtung. John Oliver hat in seiner Sendung mal aufgezeigt, wie etwa Klimawandel-Diskussionen ablaufen. Da sitzen ein Klimawandel-Skeptiker und ein Spezialist. Aber in Wirklichkeit müssten da 97 Klimaforscher sitzen – und ihnen gegenüber drei Skeptiker. Das wäre doch mal eine tolle Situation in einem Studio (lacht). Es ist so: Niemand kann doch wirklich ernsthaft an der globalen Erwärmung und dem Klimawandel zweifeln. Das kann man sich von Bauern, Winzern oder Waldexperten vor Ort erklären lassen, sogar von der Tourismusindustrie. Die können Ihnen sagen, wie sich die Welt in den letzten 30 Jahren verändert hat. Ich bin aber davon überzeugt, dass bei uns in Deutschland eine übergroße Mehrheit mit den wissenschaftlichen Ergebnissen übereinstimmt und deshalb auch von einer nachhaltigen Energie- und Klimapolitik überzeugt ist, und zwar parteiübergreifend.

prisma: Woran mangelt es – Beispiel Klimawandel – also?

Lesch: Die Frage ist: Wie schaffen wir es, wissenschaftliche Erkenntnisse in eine ökologische und ökonomische Transformation umzuwandeln? Es geht zuallererst um einen möglichst schnellen und ungehinderten Ausbau der erneuerbaren Energien. Nehmen wir ein Beispiel für ein paar neue Gedanken: Im ländlichen Umland stehen die Windräder, Fotovoltaik- und Biogasanlagen, sie sind die Energiequellen der großen Städte und Ballungsräume. Wie wäre es, wenn wir zwischen Stadt und Land einen Energiefinanzausgleich hätten? Das wäre finanziell für die Landkreise interessant, zugleich würde es gewürdigt, dass die Landkreise das auf sich nehmen. Wer weiß, was da alles möglich wäre, wenn genügend Geld flösse? Kostenloser öffentlicher Nahverkehr in der Fläche und vieles mehr. Anerkennung und Respekt sind wichtige Guthaben für eine gedeihliche Zukunft. Vielleicht könnte man auf diese Weise den Graben zwischen Arm und Reich schließen – bei gleichzeitiger ökologischer Vernunft.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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