Profi-Koch im Interview

Mike Süsser: "Die Menschen sind in ihr Hamsterrad zurückgekehrt"

von Sarah Kohlberger

Seit 2017 betreut Fernsehkoch Mike Süsser den Gastro-Wettbewerb "Mein Lokal, Dein Lokal – Der Profi kommt" – und hat dadurch schon die unterschiedlichsten Restaurants kennenlernen dürfen. Nun feiert die Sendung, die montags bis freitags, 17.55 Uhr, bei kabel Eins ausgestrahlt wird, ein besonderes Jubiläum: Am Dienstag, 4. August, läuft die sage und schreibe 1000. Folge.

Der 49-jährige Wahlösterreicher beschreibt im Interview, worauf es vor allem in der Gründungsphase in der Gastronomie ankommt – und auch, wie sich Deutschland aktuell bezüglich Nachhaltigkeit schlägt. Immerhin: Auch wenn die Lehren der Coronakrise seiner Meinung nach nicht wie erhofft gefruchtet haben, sei nun doch eine Bewegung spürbar.

prisma: Auf Ihrer Internetseite steht der Satz: "Kochen braucht Zeit. Entschleunigung ist der wahre Genuss in einer hektischen Welt". Was hat es damit auf sich?

Mike Süsser: Essen an sich dient der Entschleunigung für Körper und Geist. Diese Zeit sollte sich jeder nehmen und nicht alles in sich hineinschlingen. Dann könnte man sich mit dem vor einem sitzenden Menschen noch unterhalten, und würde nicht so durch den Alltag hetzen: fertig gegessen, schnell weg, Fernseher an. Das finde ich nicht gut. Bestes Beispiel: Grillen. Wir sollten nicht immer sechs verschiedene Sachen auf den Grill schmeißen und alles als Orgie auf den Tisch legen, sondern müssten verschiedene Gänge daraus machen – und sie wirklich genießen.

prisma: In der Coronazeit haben sich die Leute auch mehr Zeit genommen zum Essen und Kochen.

Süsser: Aber schade, wie schnell die Menschheit vergisst, oder? Ich habe anfangs gedacht, dass Corona auch sein Gutes hat. Die ersten zwei, drei Monate haben alle ganz wichtig darüber geredet, wie toll die Entschleunigung ist und dass man sich wieder Zeit für die wesentlichen Dinge nimmt. Jetzt ist alles wieder vergessen. Die Menschen sind wieder in ihr Hamsterrad zurückgekehrt. Und wenn ich dann noch sehe, dass sie sich auch nicht mehr an die Regeln halten und zum Beispiel Partys in öffentlichen Parks feiern, kann ich nur den Kopf schütteln. Das ist so enttäuschend! Daran sieht man aber, was für ein Gewohnheitstier der Mensch ist.

prisma: Aber warum ist das so?

Süsser: Ich denke, man kann grundsätzlich nicht von der Menschheit erwarten, dass sie nach zwölf Wochen komplett anders tickt. Das gilt für das Thema Entschleunigung genauso wie für das Thema Ernährung. Der Mensch wird sich nicht so schnell komplett neu erziehen lassen. Wir können nicht in die Matrix gehen und unsere Festplatte neu programmieren. Wenn wir ab morgen zum Beispiel alle nur noch bio und frisch essen würden, dann hätte das massive Auswirkungen auf die Lebensmittelbranche und würde sicher auch Arbeitsplätze kosten. Eine Umstellung muss Schritt für Schritt erfolgen, damit sie langfristig erfolgreich ist.

prisma: Sie drehen inzwischen wieder fleißig – sind Sie nach der Coronakrise wieder in Ihrem normalen Alltag angekommen?

Süsser: Ja, wir können seit ein paar Wochen wieder drehen. Aber in meinem Koch-Event-Studio können wir die Abstände nicht einhalten, entsprechend können dort aktuell keine Veranstaltungen stattfinden. Da müssen wir darüber nachdenken, wie es weitergeht. Wir sind mit Corona immer noch nicht durch, das Thema wird uns das ganze Jahr noch bleiben. Aber es gibt immer Momente, in denen man feststellt, dass es auch etwas Gutes hat. Im Großen und Ganzen kommen wir gestärkt aus der Sache raus.

prisma: Sie sind seit 2017 bei "Mein Lokal, Dein Lokal" dabei. Gibt es ein bestimmtes Gericht oder ein besonderes Restaurant, an das Sie bis heute noch denken?

Süsser: In "Mein Lokal, Dein Lokal" stellen sich professionelle Gastronomen einem kleinen Wettkampf, und da sind so unfassbar viele gute Lokale dabei. Da jemanden herauszupicken, fällt mir schwer. Ich kann allgemein sagen, dass ich von dem, was ich bei den Drehs sehen, erleben und kosten darf, begeistert bin und, dass ich mich gesegnet fühle, als Koch das alles erleben zu dürfen.

prisma: Was genau meinen Sie?

Süsser: Was die Gastronomie angeht bin ich einerseits nahe an der Tradition dran, andererseits spüre ich auch Trends nach. Letzteres ist eine Wissenschaft für sich, die ich quasi nebenbei aufsaugen darf. Der Job beim Fernsehen hält mich immer auf dem Laufenden!

prisma: Neben "Mein Lokal, Dein Lokal" gibt es viele andere Kochshows. Woran liegt es, dass Kochshows heute so beliebt sind?

Süsser: Das liegt zum einen daran, dass Kochen ein Thema ist, bei dem jeder mitreden kann, und zwar egal aus welcher Gesellschaftsschicht. Und die Kochsendungen haben in den letzten 20 Jahren bei den Menschen für eine Sensibilisierung für gute Kulinarik gesorgt. Zum anderen ist die Welt da draußen aber leider oft mit negativen Nachrichten gespickt: Corona, Mord, Totschlag, Religion, Sexismus ... Ich denke, die Menschen sehnen sich in dieser Überflutung nach etwas Nettem. Und wenn sie dann auch noch für sich einen Mehrwert in Sachen Kochen entdecken: Umso besser!

prisma: Was hebt "Mein Lokal, Dein Lokal" von den anderen Kochshows ab?

Süsser: "Mein Lokal, Dein Lokal" ist eine Kochsendung, die nicht gestellt oder geskriptet ist. Wir nehmen und zeigen die Gastronomen und ihre Restaurants so, wie sie sind. Und der Blick hinter die Kulissen ermöglicht einen richtig guten und authentischen Einblick. Die Zuschauer wollen schöne Geschichten und einen echten, aber fairen Wettkampf sehen – und das ist bei uns so. Kein Wunder also, dass am 4. August bei kabel Eins die tausendste Folge läuft!

prisma: Was braucht man, um heutzutage ein erfolgreicher Spitzengastronom zu sein?

Süsser: Man muss unternehmerisch denken und rechnen können. Und, man sollte eine gute Nase und ein Gespür für die Menschen haben, die man in der kurzen Zeit, in der sie im Lokal sitzen, glücklich machen will. Selbst im einfachsten Wirtshaus muss das Essen passen, davon gehen die Leute aus. Die Gäste wissen heute, wie eine Hollandaise gemacht wird, dass man dazu nicht einfach Tetra Pak aufschneidet. Sie wollen eine gewisse Perfektion.

prisma: Was raten Sie jungen Gründern?

Süsser: Ich würde raten, nicht aus dem Bauch heraus mal eben eine Gastronomie eröffnen zu wollen, weil es so nett ist, Bier zu zapfen. Es ist wichtig, sich an offiziellen Stellen beraten zu lassen. Viele glauben, man geht mit einem losen Konzept zur Bank, eröffnet ein Lokal, und wenn man eine Flasche Wein aufmacht, ist der Gast glücklich. Aber weit gefehlt!

prisma: Wie war das früher?

Süsser: Es war leichter. Die Quereinsteiger haben es immer schon schwergehabt, aber heute ist alles ein bisschen komplexer geworden. Die Gesetzgebung ist komplizierter, die Auflagen sind mehr geworden, und das Rechnerische steht mehr Vordergrund.

prisma: Derzeit wird wieder viel über eine nachhaltigere und gesündere Ernährung diskutiert. Warum ist es so wichtig, dass wir uns auf gesündere Kochmethoden konzentrieren?

Süsser: Um den Planeten zu erhalten. Wir stellen immer nur den eigenen Körper in den Vordergrund, aber es geht auch um den Planeten. Nachhaltigkeit ist wichtig, um auf diesem Planeten, auf dem wir für eine kurze Zeit nur Gast sind, die Ressourcen zu schonen. Da muss auch jeder mithelfen.

prisma: Werden wir in Zukunft mehr auf Nahrungsmittelqualität und nachhaltige Ernährung achten?

Süsser: Ich finde, dass wir tatsächlich auf einem guten Weg sind. Der Kunde, der essen geht, muss sich umstellen, und dazu ist er tatsächlich immer mehr bereit. Aber man muss auch realistisch bleiben: Es gibt viel Armut, nicht jeder kann sich alles leisten. Menschen, die mit 1200 Euro klarkommen müssen, kann man nicht vorschreiben, dass sie jetzt Biofleisch kaufen sollen. Das können sie nämlich einfach nicht bezahlen und damit grenzen wir sie aus.

prisma: Welche Ratschläge geben Sie Menschen, die auf Nachhaltigkeit beim Kochen achten wollen?

Süsser: Man kann in der Region und im lokalen Umfeld die Augen offenhalten. Gibt es einen Bauernhof, der Eier hat? Gibt es vielleicht sogar eine Landwirtschaft, wo ich mich an einem Rind beteiligen kann, das für Familien geschlachtet wird? Muss es Flugware sein? Wir problematisieren argentinisches Rindfleisch, aber dann geht der Endverbraucher in den Supermarkt und kauft Ananas. Die wächst auch nicht in Düsseldorf.

prisma: Neben der Region spielt auch die Saison eine große Rolle ...

Süsser: Richtig. Der Konsument muss langsam anfangen, saisonale Themen zu berücksichtigen. Sich also fragen: Was gibt meine Region aktuell her und was kann ich aus meinem lokalen Umfeld beziehen? Nur der Industrie die Schuld zu geben, halte ich für falsch. Es ist ja schon auch der Konsument, der im November in den Markt rennt und fragt: "Wieso gibt es heute keine Erdbeeren? Und wieso gibt es nicht ganzjährig Spargel?" Wir müssen einfach die Hirnplatte wieder so justieren, dass wir saisonales Gemüse haben. Auch, wenn es dann vielleicht nicht mehr ganzjährig Erdbeeren aus Israel zu kaufen gibt.

prisma: Auch Wildfleisch könnten wir von Jägern aus der Region beziehen.

Süsser: Jedes Bundesland hat seine Abschusszeiten, wenn man mit seinen Jägern spricht, bekommt man vielleicht was ab. Aber das ist ja nur die Spitze des Eisberges: Wir müssen im Geflügelbereich konsequent aufhören, diese Billigscheiße zu kaufen. Hendl, die keine 30 Tage leben durften, sind das Allerschlimmste. Männliche kleine Küken werden getötet, damit die Überproduktion aufhört.

prisma: Also, was wäre Ihrer Meinung nach zu tun?

Süsser: Wir hätten es im Griff, wenn wir nur selber Verzicht üben würden! Dann ließe sich das regulieren. Inzwischen sind wir dafür auch sensibilisierter. Vor allem die jüngere Generation, der muss man auch mal Lob aussprechen. Während die Älteren oft die Einstellung haben: "Das habe ich immer so gemacht", gehen die Jüngeren mit dem Thema etwas bewusster um. Aber es kann auch nicht die Lösung sein, auf die Straßen zu rennen und alles kaputtzureden, was die Älteren aufgebaut haben. Das ist auch nicht richtig.

prisma: Wie stehen wir in Sachen Qualität und Nachhaltigkeit im Vergleich zu anderen Ländern da?

Süsser: Deutschland, Österreich und die Schweiz sind in allen Bereichen Vorreiter: Wir trennen wie die Weltmeister, wir werfen unsere Flaschen in die Glascontainer, wir schrauben die Schraubverschlüsse ab, und wir trennen Plastik. Da muss Europa noch nachziehen. Es ist erschreckend, wenn man sieht, was andere Länder in der Landwirtschaft beispielsweise noch einsetzen dürfen. Und es ist frustrierend, wenn man sieht, dass sich in Spanien und Portugal um Mülltrennung keiner kümmert.

prisma: Sie sind gerne auf Reisen und haben schon an den unterschiedlichsten Orten der Welt gekocht. Welches Land hat Ihnen bisher kulinarisch am meisten Spaß gemacht?

Süsser: Ich esse sehr gerne im asiatischen Bereich, auch Streetfood. Einen guten Thailänder, Vietnamesen oder Japaner mit einem hohen Anspruch an Lebensmitteln schätze ich privat sehr. Außerdem habe ich bereits in Portugal, Spanien und in anderen südlichen Ländern gearbeitet, daher liebe ich die mediterrane Küche. Aber eine deutsche Kohlroulade oder Rinderroulade ist unschlagbar. Dafür lasse ich sehr viel stehen. Ich selbst verstricke auch gerne asiatische Aromen mit Regionalität und Lokalität.

prisma: Haben Sie zum Schluss noch einen speziellen Geheimtipp für Hobbyköche?

Süsser: Weniger ist mehr. Verlasst euch nicht auf die Werbung, die suggeriert, dass man zehn verschiedene Öle und Essige, vier verschiedene Salze oder 23 verschiedene Pfeffersorten braucht. Das ist alles Schmarrn. Entscheidet euch für ein gutes Olivenöl, konzentriert euch auf einen guten Pfeffer und ein gutes Salz. Außerdem empfehle ich, sich mal wieder mehr mit dem Thema "Haltbar machen" zu beschäftigen. Ich bin jemand, der sehr viel einmacht und einweckt. Das macht richtig Spaß! Wenn man mit seinem Partner und einem Glas Wein die Zucchini schnibbelt, die Gewürze anmischt und die Essigmischung aufkocht, dann ist man zweieinhalb Stunden beschäftigt – und hat ohne irgendwelchen Medienkonsum einen richtig geilen Abend gehabt.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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