Neues Album "Herz Kraft Werke"

Sarah Connor im Interview: "Ich wollte mehr Tiefgang"

Sarah Connor ist in den letzten Jahren von einer Sängerin zu einer echten Persönlichkeit gereift. Im Interview zu ihrem neuen Album zeigt sie sich von ihrer politischen Seite und erklärt, wie sie sich als Künstlerin neu erfand.

"Let's Get Back To Bed – Boy!", sang Sarah Connor 2001 und legte damit den Grundstein für ihre Karriere: Über sieben Millionen verkaufte Alben machten sie zu einer der erfolgreichsten deutschen Sängerinnen des neuen Jahrtausends. Vor vier Jahren dann der plötzliche Image-Wandel: Mit "Muttersprache" veröffentlichte die inzwischen 38-Jährige ihr erstes deutschsprachiges Album. Vorbei waren auch die Zeiten der sexy Videos, und in ihren Texten zeigte sich Sarah Connor nachdenklich und reflektiert. "Muttersprache" schaffte es an die Spitze der deutschen Charts und verkaufte sich über eine Million Mal – das Experiment war geglückt. Nun legt die vierfache Mutter mit ihrem neuen Album "Herz Kraft Werke" nach. Im Interview spricht sie darüber, wie sie sich als Künstlerin neu fand, warum in ihrem Kopf immer Chaos herrscht und weshalb sie gegen die AfD auf die Straße geht.

prisma: Vor vier Jahren veröffentlichten Sie Ihr erstes deutschsprachiges Album "Muttersprache" – mit großem Erfolg. Was hat Sie im Rahmen dieser Neuorientierung am meisten überrascht?

Sarah Connor: Erst mal, dass ich das überhaupt kann. Aber auch, dass meine Ängste, meine Sorgen und Freuden auch andere Menschen teilen. Das waren ja zum ersten Mal meine eigenen Melodien und Texte. Davor sang ich immer Songs, die andere geschrieben hatten. Ich musste erst einmal das Selbstbewusstsein entwickeln, das alleine zu machen.

prisma: Warum dauerte es so lange, bis Sie den Schritt hin zur deutschen Sprache und eigenen Songs wagten?

Connor: Es lag an verschiedenen Dingen. Zum einen wurde es mir einfach nicht zugetraut. 2007, als mein zweites Kind nach einem Herzfehler operiert und Gott sei Dank gesund wurde, hatte ich schon einmal eine Phase, in der ich dachte: Das reicht mir nicht mehr, ich will etwas Richtiges machen. Aber ich hatte keine Unterstützung und nicht genügend Mut. Man gab mir immer zu verstehen: Mach einfach das, was du am besten kannst – "never change a winning team". Ich stellte das System Sarah-Connor-von-damals auch lange nicht infrage, weil es natürlich bequem war. Außerdem war ich sehr erfolgreich damit. Doch irgendwann merkte ich, dass ich das nicht mehr will. Ich bin nicht mehr die 19-Jährige, die R'n'B-Musik macht und sexy in ihren Videos tanzt. Ich wollte mehr Tiefgang.

prisma: Sie wurden sogar zu einer Art Trendsetter – auch andere Musiker wie Sasha singen nun plötzlich auf Deutsch ...

Connor: Sasha, Henning Wehland – ich glaube, danach probierten es viele auf Deutsch (lacht). Das freut mich. Es wird immer betont, dass ich jetzt deutsch singe. Die viel größere Errungenschaft war für mich aber, dass ich die Songs selbst geschrieben habe. Ich glaube, der Erfolg liegt nicht an der Sprache. Es müssen relevante Geschichten sein. Man muss ein Anliegen haben. Wenn es leere Worte sind, interessiert es keinen.

prisma: Welches Anliegen hatten Sie bei Ihrem neuen Album "Herz Kraft Werke"?

Connor: Jeder Song entsteht aus einem anderen Anliegen. In "Vincent", der ersten Single, geht es um einen Jungen aus unserem Bekanntenkreis, der sich als schwul geoutet hat. Mein Anliegen war, ihm Mut zu machen, ihn zu bestärken und ihm zu sagen, wie stolz ich bin, dass er zu sich steht. Ich finde es toll, dass er in einer Zeit und einer Stadt groß wird, in der er das einfach so kann. Ich kenne so eine Geschichte nämlich auch aus meiner eigenen Pubertät.

prisma: Und damals war es anders?

Connor: Als ich 16 war, outete sich mein bester Freund, und eine Zeit lang war ich vor seiner Familie sein Cover. Ich komme ja vom Land und da haben die Leute einfach mehr Vorurteile - auch heute noch. Mit dem Song wollte ich ein ultimatives Liebeslied schreiben, das sagt: Egal, wie du bist und wer du bist, wenn die Liebe dich trifft, ist es um dich geschehen. Und als Mutter liebe ich mein Kind sowieso, egal was passiert. Das war mein Anliegen bei "Vincent", und so eine Geschichte gibt es zu jedem Song. Ich gehe immer mit dem ganzen Herzen in ein Thema rein. Wenn ich im Studio bin und an Texten arbeite, brauche ich nicht zu trinken, zu essen und zu schlafen. Dann muss ich mich erinnern, dass ich irgendwann nach Hause muss. Ich kann da richtig aussteigen. Das ist eine Art von Katharsis und emotionaler Recherche.

prisma: Wo ließen Sie all diese Emotionen, bevor Sie sie in Songs verpackten?

Connor: Ich habe keine Ahnung! Meine erste Depression und Therapie hatte ich mit 25. Vielleicht hat sich da ganz viel angestaut? Vielleicht brauchte ich das als Repertoire. Ich bin ja auch Mutter von vier Kindern – mein erstes Kind habe ich sehr früh bekommen. Wenn man Mutter wird, reflektiert man viel mehr über sein eigenes Leben, die Kindheit, das Verhältnis zu seinen Eltern. Kinder zwingen dich ständig dazu, dich mit deiner Umwelt und den großen und kleinen Fragen des Lebens auseinanderzusetzen. Sie regen meine Fantasie und meine Gedanken an, das reicht noch für zehn weitere Platten. Ich liebe es, zu schreiben. Als Kind wollte ich Journalistin oder Meeresbiologin werden.

prisma: Woher kommt Ihr Spaß an Worten?

Connor: Vielleicht habe ich das von meinem Vater. Er hat Politik, Philosophie und Germanistik studiert und achtete immer sehr auf seine und unsere Sprache. Ich achte bei meinen Kindern auch darauf. Ich finde es nicht schlimm, wenn man mal ein Schimpfwort sagt, aber ich möchte, dass sie den Genitiv benutzen. Wie du dich ausdrückst, ist Spiegel deiner Intelligenz und deiner Seele.

prisma: Sie sagten einmal, in Ihrem Kopf herrsche immer Chaos. Wie kann man sich das vorstellen?

Connor: Ich bin einfach wahnsinnig neugierig und lebe im Moment. Ich habe manchmal das Bedürfnis, auszubrechen, zu reisen und loszufahren. Manchmal sage ich zu meinem Mann, dass ich davon träume, mal alleine auf Weltreise zu gehen. Dann sagt er immer "Mach doch" – aber in dem Moment, in dem ich mir vorstelle, meinen Koffer zu packen und allen Tschüss zu sagen, drehe ich gedanklich doch wieder um.

prisma: Was reizt Sie an der Idee der Weltreise?

Connor: Ich habe früher oft bedauert, dass ich nie dieses Studentenleben hatte mit WG und Backpacker-Reisen, und ich fragte mich immer wieder, wie es sich anfühlt, wenn man nur für sich selbst verantwortlich ist und frei in seinen Entscheidungen. Ich unterschrieb mit 18 meinen Plattenvertrag, habe seitdem gearbeitet und hatte Verantwortung für viele Menschen. Klar bin ich viel gereist und habe viel gesehen, aber das ist etwas anderes. Irgendwie hatte ich immer das Gefühl, da fehlt etwas. Ich bin mit 23 schwanger geworden.

prisma: Vor zwei Jahren kam Ihr viertes Kind zur Welt. Wie schaffen Sie es, Karriere und Familie unter einen Hut zu bringen?

Connor: Ich habe grandiose Hilfe zu Hause, die mir mit Wäsche, Putzen und den Kids zur Seite steht, sonst könnte ich nicht arbeiten gehen. Und doch muss ich natürlich alles organisieren. Wie man das macht, habe ich von meiner Mutter gelernt. Sie hat acht Kinder großgezogen, dagegen bin ich ein Witz. Außerdem wächst man mit seinen Aufgaben. Ich hatte ja nicht vier Kinder auf einmal. Und jetzt gerade mit der Spanne zwischen 15 und zwei Jahren ist eine tolle Zeit – die würde ich am liebsten anhalten.

prisma: Für fast alle Mitglieder aus der Familie gibt es einen Song auf dem neuen Album: In "Unendlich" singen Sie davon, dass Ihre Tochter Ihr Licht und Ihr Frieden ist, "Dank dir" richtet sich an Ihren Lebensgefährten Florian Fischer.

Connor: "Dank dir" ist ein Song aus der Sicht eines Kindes an seinen Vater. Den haben wir zusammen aufgenommen und meinem Mann zum Geburtstag geschenkt. Ich sage ihm darin auch: Ich bin stark, weil Du mich liebst. Für meinen Mann schrieb ich dieses Mal sogar mehrere Songs!

prisma: Dazu gehört wohl auch "Keiner pisst in mein Revier" – der Song ist eine Warnung ...

Connor: Genau, aber nicht an ihn, sondern an alle Frauen, die mit ihrem Hintern in seine Richtung wackeln (lacht). Wir waren neulich mal aus und ich habe ihn beobachtet. Da merkte ich mal wieder, wie anziehend er auch auf andere Frauen wirkt. Er ist eben ein schöner, interessanter Mann. Danach hatte ich Lust, eine kleine Ansage zu machen! Eigentlich ist der Song aber vor allem eine Liebeserklärung.

prisma: "Schloss aus Glas" hingegen schrieben Sie für Ihre Eltern. Was hat es mit dem Glasschloss auf sich?

Connor: Meine Eltern ließen sich scheiden, als ich 21 war. Als Kind habe ich mir immer gewünscht, dass sie sich trennen, weil sie eine sehr explosive Ehe führten, von der wir alle unsere Narben davontrugen. Und doch, als ich eines Abends mit meinem Vater essen war, sprach er sehr liebevoll von meiner Mutter. Davon, wie sie sich kennengelernt haben. Das fand ich sehr schön. Und eins lebten meine Eltern immer vor: Wenn es darauf ankommt, halten sie nach wie vor zusammen. Das ist das Schloss aus Glas.

prisma: Um Familie geht es auch in "Flugzeug aus Papier": Der Song ist Emmy Miller gewidmet, der Tochter des US-Skirennläufers Bode Miller, die 2018 im Pool eines Nachbarn ertrank.

Connor: Die Geschichte hat mich wahnsinnig bewegt. Emmys Mutter und Vater machten sie öffentlich. Die Fotos, auf denen die Kleine im Krankenhaus mit all den Schläuchen zu sehen ist, und die Zeilen, die ihre Mutter dazu schrieb, zerrissen mir das Herz. Mein Sohn ist ungefähr im gleichen Alter und ich glaube, jede Mutter und jeder Vater kennt die Angst, dass durch einen kurzen Moment der Unaufmerksamkeit etwas Furchtbares passieren könnte.

prisma: Gesellschaftskritischer wird es in dem Stück "Ruiniert". "AfD Idioten, mein Herz kriegt ihr nicht", singen Sie darin. Woher die deutlichen Worte?

Connor: Ich habe eine klare Haltung gegenüber AfD-Politikern, Trump und allen anderen, die Menschen mit leeren Parolen locken, wie der Rattenfänger von Hameln. Der Song hat aber tatsächlich auch ein anderes Anliegen. Ich habe das Gefühl, dass wir alle immer mehr abstumpfen. Dass wir aktiv aufstehen, etwas für den Nächsten tun oder ihm die ungeteilte Aufmerksamkeit geben, wird immer seltener. Das merke ich ja schon im Kleinen, wenn zu Hause mal wieder eine Diskussion über die Nutzung der Handys losgeht. Das ist der größte Parasit unserer Zeit. Deswegen heißt es in dem Song: Wir brauchen mehr Liebe. Klar ist es naiv, das so zu sagen – aber deshalb nicht weniger richtig. Und vielleicht schaffe ich es ja mit dem Song, einige Leute, die schon einmal überlegten, die AfD zu wählen, zum Nachdenken anzuregen.

prisma: Auf Instagram posteten Sie kürzlich Fotos von einer Demo gegen die AfD. Sie gehen also aktiv auf die Straße?

Connor: Ja, wenn ich an etwas glaube, dann kämpfe ich auch dafür, und dann bin durchaus bereit, auf die Straße zu gehen. Ich finde es auch toll, dass unsere Kinder jetzt gegen den Klimawandel auf die Straße gehen. Am Anfang läuft man vielleicht nur mit, aber irgendwann fängt man an, darüber nachzudenken. Es ist wichtig, nicht nur zu Hause zu sitzen und mit dem Finger zu zeigen, sondern sich zu beteiligen. Ich hatte irgendwann das Gefühl, ich könnte mehr tun. Deswegen beschlossen wir damals, eine Flüchtlingsfamilie aus Syrien aufzunehmen (2015, Anm. d. Red.). Empörung und Mitgefühl sind das eine – aber ich wollte auch handeln. Nur weil man auf Instagram oder Facebook etwas liked, ändert sich noch nichts. Es gibt sicher nicht immer ein Happy End, aber zumindest hat man aktiv versucht, etwas zu ändern.

prisma: Das sind Aussagen, die viele dem Popstar Sarah Connor noch vor einigen Jahren vielleicht nicht zugetraut hätten. Ärgert es Sie, wenn Sie dahingehend falsch eingeschätzt werden?

Connor: Nein, es amüsiert mich – ich nehme es niemandem übel. Es war schon immer so, dass die Leute Sarah Connor entweder super fanden oder überhaupt nichts mit mir anfangen konnten. Ich habe in der Vergangenheit manches Zeug gemacht – keine Ahnung, was ich darüber von außen gedacht hätte. Natürlich bin ich noch immer dieselbe Person, aber erst jetzt kommt man mir über meine Songs wirklich nah. Was ich heute mache, fühlt sich an wie ein ganz anderer Beruf. Ich habe mein Handwerk gelernt.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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