Krimi im Ersten

"Schwanensee": Die Wilsbergisierung des Münster-Tatorts

06.11.2015, 15.30 Uhr
von Detlef Hartlap
Actionszene auf dem Aasee: Thiel und Boerne jagen nach münsterscher Art eine Verdächtige.
BILDERGALERIE
Actionszene auf dem Aasee: Thiel und Boerne jagen nach münsterscher Art eine Verdächtige.  Fotoquelle: WDR/Willi Weber

Gesetz des Niedergangs: Der Tatort wird immer nachlässiger Inszeniert. Liefers und Prahl finden in "Schwanensee" ihren Tiefpunkt.

Erfolg macht nachlässig. Der Tatort im Fernsehen ist in seinen Funktionen als Volkstheater und Sonntagabendritual erfolgreich. Und wird immer nachlässiger gestrickt. Der neue Münster-Tatort Schwanensee ist ein Tiefpunkt.

Ein vergleichsweise unbedeutender, aber doch bezeichnender Aspekt dieser Vernachlässigung, ist die Rollenbesetzung, das Casting. In der Luzern-Folge "Ihr werdet gerichtet" von Anfang September spielte Roberto Guerra einen ziemlich fiesen italienischen Gastwirt. Er spielte gleich auch den Zwillingsbruder des Gastwirts und wird als solcher aus Versehen erschossen.

In Münster spielt Guerra einen ziemlich fiesen italienischen Gastwirt, der zumindest in steuerlicher Hinsicht einigen Dreck am Stecken hat.

Sarah Hostettler als schwebender Pflegeengel

In "Ihr werdet gerichtet" spielte die, wie es in manchen Szenen anklang, überragend talentierte Sarah Hostettler ein Wesen nicht ganz von dieser Welt. Sie war Opfer eines Sexualverbrechens geworden und hatte sich völlig in sich eingeschneckt.

In Münster spielt sie ein Wesen nicht ganz von dieser Welt, einen durch weiße Räume schwebenden Pflegeengel in einer Klinik für "Alltagsüberforderungsopfer", wie Kommissar Thiel (Axel Prahl) scherzt.

Man könnte diese Liste dieser allzu flotten Taktung von Schauspielereinsätzen endlos fortsetzen (Werner Wölbern musste erst in Wotan Wilke Möhrings "Verbrannt" einen rechtsnationalen Unsympath spielen, eine Woche später im Dortmunder "Kollaps" schon wieder), doch würde dies eher den Eindruck fortgesetzter Kuriosität ergeben.

Wichtiger erscheint die Nachlässigkeit und das klischeehafte Denken, mit der innerhalb des Tatortgefüges Rollen besetzt werden. Ganz von ungefähr kommt das nicht. Es ist vielmehr ein Indiz, wie überheblich inzwischen mit dem Erfolgsmodell Tatort umgegangen wird. Kann sein, dass man eines Tages in Folgen wie der von Münster den Anfang vom Niedergang der Sendereihe sehen wird.

Münster lebte stets vom Gegensatzpaar des snobistischen Prof. Boerne (Jan Josef Liefers) und des Proleten im Kommissarrang Thiel. Daraus haben sich reihenweise Funken schlagen lassen, hier snobistischer Weinkenner, dort ahnungsloser St.-Pauli-T-Shirt-Träger, hier abgehobene Selbstbeweihräucherung, dort gesunder Menschenverstand.

Münster lebte zweitens von einer erklecklichen Menge komischer Situationen, die von Liefers und Prahl mit Wonne ausgelebt wurden. Unter der Woche war im Bayerischen Rundfunk noch einmal die Folge "Mörderspiele" von 2004 zu sehen, mit der unvergleichlichen Rosel Zech als durchgeknallter Bäuerin. Die Story und ihre Inszenierung ergaben einen hinreißend komischen Film.

Münster lebte drittens davon, dass mit einer gewissen Beiläufigkeit auch stets ein Mordfall erzählt wurde, der die von Comedy im Tatort nicht ganz so begeisterten Zuschauer bei der Stange hielt.  Die Folge "Mörderspiel" war eben auch ein echter Kriminalfilm, spannend bis zur letzten Szene.

Dünnes Drehbuchsüppchen

In Schwanensee steht Liefers und Prahl keinerlei Komik zu Gebote. Es sei denn, man würde das wiederholte Zuschnappen der Radarfalle für komisch halten; oder den Klamauk, dass Prof. Boerne garantiert in den Urlaub abdüsen will, dem Fall aber vorhersehbar erhalten bleibt. Nein, Liefers und Prahl müssen schon all ihre Kunst aufbieten, um aus dünnem Drehbuchsüppchen eine halbwegs genießbare Mahlzeit zu machen. Dass für dieses Drehbuch gleich drei Leute bezahlt werden, (Christoph Silber, Thorsten Wettcke und auch Regisseur André Erkau) ist ein Witz; aber keiner, der dem Film gut täte.

Auch für den Mord selbst scheint es, wie übrigens schon bei einigen Münster-Tatorten in letzter Zeit, keine rechte Notwendigkeit zu geben. Auf dem Grund eines Schwimmbeckens liegt eine Leiche. Ein autistischer Rechenkünstler, von dem sich herausstellt, dass er eigentlich ein brillanter Steuerbeamter ist (Robert Gwisdek) schwimmt achtlos über ihn hinweg, bis der Tote vom weißen Engel Sarah Hostettler entdeckt wird... Das ist der Ausgangspunkt für ein Geschehen, das sich ausschließlich um Faxen, nicht aber um einen wirklichen Kriminalfall dreht und nie zu einer passablen Komödie aufschwingt.

Mit dem Autismus zu frotzeln ist gerade Mode im Fernsehen. Das ergibt wohlfeile Lacher, wenn Inselbegabungen wie schnelles Rechnen oder ein übernatürlich anmutendes Textgedächtnis wie Zirkusnummern vorgeführt werden. In der 50. Wilsbergfolge am 2. Januar 2016 wird ebenfalls ein Autist eine entscheidende Rolle einnehmen. Darum wird aus dem Wilsberg aber kein Tatort. Eher erleben wir gerade die Wilsbergisierung des Münster-Tatorts.

Der Abstieg des Tatorts ist auch eine Frage der Regisseure. André Erkau hat für den WDR im vergangenen Jahr den Ballauf/Schenk-Tatort "Wahre Liebe" inszeniert, der nie richtig zündete und allenfalls durch die Mitwirkung von Juliane Köhler und die Einführung einer neuen Assistentin im Kölner Team ("Gabi", Kathrin Angerer) von Interesse war.

Ein Elfmeter ohne Torwart für feinste Komik

Hier vergibt Erkau jede Chance, das Geschehen zu dramatisieren, was sich am krassesten bei einer Verfolgungsjagd im schwanenförmigen Tretboot auf dem Aasee offenbart. Eigentlich ein Elfmeter ohne Torwart für feinste Komik. Doch unter Erkaus Regie sieht das wie von Amateurhand gefilmt aus.

Das Ende ist wie der gesamte Film: wenig dramatisch, aber ein bisschen melo. Und ein bisschen yellow. Der Tatort als Lieschen-Müller-Abenteuer.

Das könnte Sie auch interessieren