Prostitution und organisierte Kriminalität

"Bordell Deutschland": Diese TV-Doku wird für Wirbel sorgen

von Frank Rauscher

Sie werden geschlagen, missbraucht und ausgebeutet: Der Alltag von Prostituierten in Deutschland ist zum großen Teil von der organisierten Kriminalität bestimmt. In der TV-Doku "Bordell Deutschland" kommen Fakten und Hintergründe ungeschönt auf den Tisch.

Für fast alles gibt es in Deutschland Statistiken. Ohne Zweifel ließe sich jedoch die Zahl der freilaufenden Hühner exakter benennen, als die der Frauen, die hierzulande dem ältesten Gewerbe der Welt nachgehen. Denn: Für den Bereich der Prostitution gibt es keine belastbaren Zahlen, weiß der Kriminalist Manfred Paulus. Schätzungen gingen von 400.000 bis zu über einer Million aktuell in Deutschland tätigen Sexarbeiterinnen aus, laut statistischem Bundesamt nehmen täglich rund 1,2 Millionen Männer sexuelle Dienstleistungen in Anspruch. Und "seit der Legalisierung werden es immer mehr", sagt Paulus, der drei Jahrzehnte im Rotlichtmilieu ermittelte und nun auch als Protagonist einer der umfassendsten TV-Dokus, die je zu diesem Themenkomplex gedreht wurden, gegen organisierte Kriminalität und Menschenhandel ankämpft. Die Legalisierung der Prostitution, die mit dem 2002 verabschiedeten Prostitutionsgesetz de facto erfolgte, steht im Fokus des spielfilmlangen Beitrags, der sich unter dem Titel "Bordell Deutschland" am Samstag, 18. November 2017 (22 Uhr, ZDFinfo), mit dem "Milliardengeschäft Prostitution" befasst.

"Legalisierung": Das klingt positiv, doch schon das ist eines der Probleme, wie der engagierte Film von Christian P. Stracke verdeutlicht. Die Begrifflichkeit mag dem Freier das Gewissen erleichtern, aber hilft so ein Schlagwort auch den Frauen?

Der Journalist geht, ohne irgendetwas zu beschönigen, der Frage nach, warum Deutschland zur internationalen Drehscheibe für Zwangsprostitution und Mädchenhandel geworden ist. "Was läuft falsch bei uns?", heißt es gleich zu Beginn des Beitrages, der Antworten liefert, die niemandem gefallen und viel Staub aufwirbeln dürften. Was auch der Sender erkannt hat: Der Film über die Zusammenhänge von Zuhälterei, Prostitution und internationalem Menschenhandel war zunächst auf 45 Minuten angelegt. ZDFinfo hat sich aber "aufgrund der Fülle von Aspekten und Standpunkten" für eine Verdopplung der Länge entschieden. "Eine entsprechende Anpassung war schnell und unkompliziert möglich, ein Vorteil, den vermutlich nur ZDFinfo bieten kann", heißt es jetzt seitens der Produktion. Schließlich gibt es im Digitalkanal keine genormten Sendeformate.

Authentische Innenansichten einer Parallelwelt

Über ein Jahr recherchierte Stracke an seiner Story, die ohne die Voyeurismuskarte zu spielen beinahe so packend wie ein Thriller ist, weil sie authentische Innenansichten einer tabuisierten und immer wieder als "schillernd" oder "cool" verklärten Parallelwelt präsentiert. Er sprach mit Prostituierten, Polizisten, Sozialarbeitern, Vertretern des Prostituiertenverbandes, Politikern und Psychologen. Stracke ist quer durch Deutschland gereist, hat sich vor Ort vom Edelbordell bis zum Straßenstrich ein Bild von den Ausprägungen der Prostitution gemacht.

Zu Wort kommen auch eher exotisch anmutende Protagonistinnen wie Cleo aus Berlin, die – freiwillig, wie sie betont – in einer "Erlebniswohnung" an Gangbang-Partys teilnimmt. Bis zu 30 Männer haben dabei Sex mit einer Frau. Oder Typen wie Andreas Marquardt, der früher als Zuhälter die Frauen nach eigener Aussage "wie Dreck" behandelte, wegen Menschenhandels im Gefängnis saß und sich heute für Gewaltprävention einsetzt. Vor allem aber prägen Frauen wie Sandra Norak Strackes Film. Sie hat jahrelang als Prostituierte gearbeitet und den Ausstieg geschafft. Dabei hat sie fast alle Geschäftsmodelle des Milieus durchlaufen und in nahezu jedem Menschenhandel und Gewalt gesehen.

Zum ersten Mal spricht sie öffentlich über ihr Leben und ein Gewerbe, das sie "fast kaputt gemacht" habe. "Das ist keine Arbeit", sagt sie, "das ist einfach nur Gewalt, was man da erlebt ... Und ich hatte da bestimmt 400/500 Männer in vier Wochen." Die heute 27-Jährige geht mit ihrer Geschichte jetzt ganz bewusst an die Öffentlichkeit, möchte mit dem Mythos der Freiwilligkeit aufräumen, sie studiert Jura und setzt sich für die Abschaffung der Prostitution ein. "In jedem Club, in dem ich war, habe ich Menschenhandel gesehen", berichtet sie. "Ich habe natürlich auch Frauen gesehen, die geschlagen werden. Und ich habe auch Freier gesehen, die das gesehen haben und dann trotzdem die Dienstleistung in Anspruch genommen haben."

Neun von zehn Frauen zur Prostitution gezwungen

Kein Einzelfall, wie Denisa, eine junge Rumänin, die nun, nach ihrem Ausstieg ebenfalls gegen die Missstände ankämpft. Jahrelang hat sie in Deutschland als Zwangsprostituierte gearbeitet, sie weiß alles über die Hintergrunde des Geschäfts: "90 Prozent haben Zuhälter", sagt sie und berichtet aus eigener Erfahrung: "Die Männer sind scharf auf Minderjährige. Es gibt so viele Pädophile." Dem Mythos der Freiwilligkeit widerspricht die ehemalige Zwangsprostituierte entschieden: "Die Freier denken sich, die macht das aus Spaß. Du musst so tun, als ob es dir gut geht, aber innerlich geht's dir nicht gut."

Zu der Einschätzung gelangen auch Experten der Polizei, ihren Angaben zu Folge werden neun von zehn Frauen zur Prostitution gezwungen. Heute spricht Denisa in rumänischen Armenbezirken vor Schulkassen, um die Mädchen zu warnen und sie, genau wie der Kriminalist Manfred Paulus, über die Maschen der als "Loverboys" getarnten Handlanger der Mädchenhändler aufzuklären.

Die Traumatherapeutin Ingeborg Kraus vergleicht den Beruf der Prostituierten mit dem von Soldaten, ihre traumatischen Erfahrungen mit denen von Folteropfern. Fast 70 Prozent der Frauen leiden unter Symptomen einer Posttraumatischen Belastungsstörung: "Dieser Beruf ist gefährlicher, als in den Krieg zu ziehen." Die Sterblichkeitsrate unter Prostituierten ist 40-mal so hoch wie beim Durchschnitt der Bevölkerung, heißt es in der Doku. Allein das Risiko, ermordet zu werden, sei über 18-mal höher als bei anderen Frauen – unabhängig davon, ob sie freiwillg arbeiten oder dazu gezwungen werden.

Ungeachtet all dieser Hintergründe, das macht der sauber recherchierte Film deutlich, haben Escortangebote und Bordelle in Deutschland mehr Zulauf denn je. Das Marketing der Freudenhäuser hat sich offenbar der Mentalität der Freier angepasst: "Komm so oft du willst", "All you can fuck" oder "20 Minuten Sex für 20 Euro – der Spartarif im Discountpuff" – so werben Flatrate-Puffs in den Städten. In Online-Foren tauschen sich Männer ungeniert und oft auf menschenverachtende Weise über die Leistungen der Sexarbeiterinnen aus.

Deutschland als Reiseziel für Freier

Vor der Kamera wollte kaum einer offen über so etwas Auskunft geben, aber während der Recherchen hat Autor Stracke mit vielen Freiern gesprochen. Sein Eindruck: Unrechtsbewusstsein ist auf Seiten der Männer kaum vorhanden. So ist Deutschland auch zu einem der begehrtesten Reiseziele für Freier aus alle Welt geworden. "Besuche über zehn Clubs in sechs Tagen", preist ein Veranstalter ungeniert ein Package mit Kunst und Kultur an, das die Kundschaft ins "Bordell Deutschland" locken soll.

Die Frage ist, wie es so weit kommen konnte. Glaubt man diesem Film, der auch die Tätigkeit der Prostituiertenverbände kritisch hinterfragt, kamen mehrere Faktoren auf unselige Weise zusammen: Das fraglos gut gemeinte Gesetz zur Legalisierung der Prostitution von 2002 hat den Bordellbetreibern und Freiern mehr geholfen als den Frauen. Seine Einführung ging zeitlich mit der EU-Osterweiterung einher, derweil sich in Deutschland gerade eine "Geiz ist geil"-Mentalität breitmachte.

Während bei den Mädchen wenig hängen bleibt, lässt sich mit der Prostitution viel Geld verdienen. Laut Bundeskriminalamt bringt allein eine Prostituierte ihrem Zuhälter bis zu 100.000 Euro pro Jahr. Und auch der Staat verdient durch die Steuereinnahmen kräftig mit. Der Markt ist umkämpft, die Konkurrenz ist groß, es kommen immer mehr und immer jüngere Frauen, die alles ungeschützt mitmachen ...

Vorbild Schweden

Ob sich mit dem seit Juli geltenden "Prostituiertenschutzgesetz", welches das Prostitutionsgesetzes von 2002 ergänzt, Wesentliches zum Guten ändert, ist fraglich. Anfangs, so lässt der Autor Christian P. Stracke durchblicken, sei auch er der Meinung gewesen, dass freiwillige Prostitution erlaubt sein sollte. Mittlerweile ist er aber zu der Überzeugung gelangt, auch freiwillige Prostitution verletze die Menschenrechte. "Deshalb muss sich dringend etwas ändern", fordert er. "Doch um Kriminalität, Zwangsprostitution und Menschenhandel wirksam einzudämmen, müssen sich die Rahmenbedingungen ändern." Für ihn ein Vorbild: das nordische Modell in Schweden, das mit dem Sexkaufverbot den Freier bestraft.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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