Im Interview

Caro Cult im Interview: "Frauen haben genauso ein Recht darauf, wütend und laut zu sein"

15.08.2025, 11.06 Uhr
Caro Cult, bekannt aus "Babylon Berlin", reflektiert im Interview über Frauen in der Gesellschaft, toxische Männlichkeit und den Spagat zwischen Karriere und Bodenständigkeit.

Erfolgreiche Männer gelten als "harte Hunde". Erfolgreiche Frauen immer noch oft als stutenbissig. Über dieses Spannungsfeld und darüber, wie sich vor allem junge Frauen in einer lauten Gesellschaft, die immer mehr auf Social Media baut, behaupten, philosophiert Schauspielerin Caro Cult im Interview.

Es ist ein Film, der verstört und lange nachwirkt: Zwischen goldenem Lamborghini und grauem Plattenbau in Rostock-Groß Klein entfaltet sich in "Mels Block" eine Geschichte über Schmerz und Stärke: In dem neuen Beitrag aus der "Shooting Stars"-Reihe (Montag, 18. August, 0.20 Uhr, ZDF) spielt "Babylon Berlin"-Star und Wahlberlinerin Caro Cult (31) eine Frau, die sich mit aller Kraft von ihrer Vergangenheit zu lösen versucht – und dabei doch wieder von ebendieser eingeholt wird. Im Interview spricht die gebürtige Hannoveranerin, die vor wenigen Monaten Mutter geworden ist, darüber, wie sehr sich Mel in der Realität vieler junger Frauen spiegelt. Cult selbst ist eine der spannendsten Stimmen ihrer Generation: facettenreich, unbequem, reflektiert. Im Gespräch zeigt sie, wie nah Rolle und Wirklichkeit manchmal beieinander liegen. Sie findet deutliche Worte, wenn es um die Erwartungen an Frauen, die Mechanismen von Mobbing oder das fragile Gleichgewicht zwischen Selbstschutz und Selbstverrat geht. Wie viel Härte braucht eine Frau, um ernst genommen zu werden? Und was kostet es, sich gegen die Zuschreibungen einer lauten, oft gnadenlosen Öffentlichkeit zu behaupten?

prisma: In dem neuen Film verkörpern Sie eine außergewöhnliche Frau: Mel verkörpert mit ihrer Rückkehr in ihr "Glasscherbenviertel" ein starkes Bild für schnellen Aufstieg, aber eben auch für soziale Ausgrenung. Wie gehen Sie selbst mit dem Spagat zwischen Bodenständigkeit und Erfolg um?

Caro Cult: Ich weiß nicht, ob mein Erfolg bereits groß genug ist, um von einem Höhenflug sprechen zu können. Deshalb empfinde ich das gar nicht als Spagat. Mel ist, glaube ich, da in einer ganz anderen Liga. Bisher habe ich mir auf meine Karriere noch nicht so viel eingebildet (lacht).

prisma: Sie bezeichnen sich selbst nach wie vor als bodenständig?

Cult: Ja, ich denke schon. Ich lege nicht so viel Wert auf den Glamour der Entertainment-Branche, denn das ist schließlich nur ein Beruf. Der Großteil meines Lebens spielt sich außerhalb dieser Blase ab. Die Menschen, die ich liebe, kenne ich zum Teil bereits seit meiner Kindheit. Natürlich treffe ich gerne Leute auf Events, aber ein Großteil dieses Berufs ist alles andere als glamourös. Schauspielerei ist oft Knochenarbeit, zum Beispiel, wenn man bei zwei Grad in die Nordsee springen muss. Der einzig glamouröse Teil ist wohl die Premiere, die aber nur einen Bruchteil ausmacht. Deshalb wird es einer Schauspielerin nicht schwer gemacht, bodenständig zu bleiben.

"Glaube nicht, dass Frauen sich toxische Männlichkeit aneignen müssen, um erfolgreich zu sein"

prisma: Die Premieren und das ganze Drumherum werden in den Medien immer sehr groß gemacht. Es ist ein Schaulaufen. Wie schwer fällt es Ihnen als Schauspielerin – und vor allem als Frau – mit dieser Art von Druck umzugehen?

Cult: Ich habe das bisher nicht als Druck empfunden – außer dem, den wohl jede Frau kennt. Ich glaube, viele Frauen haben oft das Gefühl, doppelt so viel leisten und doppelt so schlau sein zu müssen, um ernst genommen zu werden. Das betrifft aber nicht nur die Filmbranche, sondern ist ein strukturelles, gesellschaftliches Problem.

prisma: Was muss sich konkret verändern?

Cult: Das ist viel. Abgesehen vom Gender Pay Gap, der auch in der Schauspielerei besteht – Frauen verdienen oft ein Drittel weniger als Männer bei gleicher Arbeit -, ist die Ungleichheit auch inhaltlich spürbar. Es gibt einfach mehr männliche Rollen, besonders für ältere Männer. Und gerade Rollen, die Ecken und Kanten haben oder unsympathisch sind, werden eher an Männer vergeben. Bei ihnen wirkt das dann spannend oder sogar attraktiv. Bei Frauen wird das oft ganz anders bewertet. Da fehlt's an vielen Ecken. Deshalb fand ich "Mels Block" so stark: wegen einer weiblichen Figur, die aneckt, aber ihr Ding durchzieht.

prisma: Frauen in mächtigen Positionen werden oft als arrogant und stutenbissig bezeichnet. Das männliche Pendant gilt dagegen meist als "harter Hund". Muss man als Frau also hart sein, um erfolgreich zu sein?

Cult: Ich glaube nicht, dass Frauen sich toxische Männlichkeit aneignen müssen, um erfolgreich zu sein. Ihre Stärke liegt oft in Empathie und Feinfühligkeit – Fähigkeiten, die ich bei vielen Frauen häufiger erlebe als bei Männern. Und es wäre schade, wenn wir ausgerechnet das reproduzieren würden, was wir an Männern kritisch sehen.

prisma: Was verstehen Sie unter "toxischer Männlichkeit"?

Cult: Ich glaube, das ist oft etwas gesellschaftlich Vorgeschriebenes – nicht unbedingt das, was ein Mann wirklich fühlt oder was dem eigenen Selbst entspricht. Männer eifern eher einem Bild nach, das vermeintlich richtig ist oder Respekt verschaffen soll. Und ja, wenn ich das so höre, habe ich direkt ein paar Menschen vor Augen.

"Glaube, dass es heute schwieriger ist, jung zu sein als vor acht oder zehn Jahren"

prisma: Inwiefern sind Sie in Ihrem Leben als Schauspielerin mit Neid oder sozialem Druck in Berührung gekommen?

Cult: Neid unter Frauen entsteht oft, weil es lange nur wenige Positionen für sie gab. Das erlebt man in diesem Job besonders häufig. Ich würde neidische Frauen aber nicht verurteilen, denn das hat meist mit der Sozialisation zu tun. Ich hatte das Glück, eine warmherzige Mutter zu haben, die mir gezeigt hat, dass Vertrauen und Solidarität unter Frauen mich weiterbringen. Das ist jedoch leider nicht selbstverständlich. Insofern ist Neid vielleicht gar kein verurteilenswertes Gefühl. Ich würde mich freuen, wenn die nächste Generation mehr mit dem Verständnis aufwächst, dass man sich den Ball zuspielen und als Team vorankommen kann. Bei meinen männlichen Kollegen beobachte ich das oft – sie gehen die Dinge eben gemeinsam an.

prisma: Neid ist auch oft der Treibstoff für Mobbing, oder?

Cult: Ich kann das für die junge Generation nur schwer beurteilen. Wir waren aber im Plattenbauviertel Rostock-Groß Klein und haben mit einer Klasse über Mobbing gesprochen. Dabei wurde klar: Das ist auf jeden Fall ein Thema. Die Schülerinnen und Schüler wurden ruhiger und nachdenklich, was mir das Herz gebrochen hat. Viele von ihnen sind auf TikTok unterwegs und hinter einem anonymen Social-Media-Profil lässt sich eben leichter etwas raushauen. Ich glaube, dass es heute schwieriger ist, jung zu sein als vor acht oder zehn Jahren, gerade wegen des Mobbings in den sozialen Medien. Auch ich werde heute anders angemacht und bekomme seltsame Nachrichten, Dinge, die einem auf der Straße wohl niemand sagen würde.

prisma: Wo sehen Sie die gesellschaftlichen Lücken, die gefüllt werden müssen?

Cult: Auf jeden Fall ist mehr Aufklärungsarbeit nötig. Aber wenn ich ans Bildungssystem denke, dann stelle ich fest, dass es seit Hunderten von Jahren nicht neu gedacht wurde. Jetzt, wo ich Mutter bin, frage ich mich: Wie kann ich meinem Kind erklären, dass die Schule wichtig ist, wenn ich selbst das Gefühl habe, dass sie nicht für kreative Köpfe gemacht ist? Es fällt mir schwer, gute Argumente zu finden. Zwar glaube ich daran, dass jeder mit seinen Fähigkeiten seinen Weg gehen kann, aber das System muss dringend überarbeitet werden. Es ist skandalös, dass das noch nicht passiert ist.

"Gerade bei Kindern: Wir merken doch, dass sie viel mehr Bewegung brauchen"

prisma: Hat sich Ihre Sicht auf Themen wie Selbstentfaltung und gesellschaftliche Verantwortung verändert, seit Sie selbst Mutter sind?

Cult: Nein, das war schon immer meine Ansicht. Ich denke schon lange darüber nach, warum das alles eigentlich so veraltet ist – da könnte ich ewig drüber reden. Gerade bei Kindern: Wir merken doch, dass sie viel mehr Bewegung brauchen. Und dass sie vieles nicht nur theoretisch lernen können, sondern durchs Machen.

prisma: Wie finden Sie selbst zwischen Karriere und Familie auch noch Zeit für sich, Ihren Ausgleich?

Cult: Ich stricke und häkle tatsächlich total gerne in meiner Freizeit. Das schiebe ich immer mal dazwischen – ich nehme mir was zur Hand und kann ein bisschen für mich sein. Im Moment bleibt natürlich nicht viel Zeit, mein Kind ist erst ein paar Monate alt. Jetzt, wo ich auch wieder drehe, wäre das wahrscheinlich utopisch. Aber ich bin mit einem ganz wundervollen Mann verheiratet, und wir teilen uns alles sehr gleichberechtigt. Wir sind ein gutes Team – deshalb klappt's auch mal, dass ich ein kleines Minütchen für mich habe.

prisma: Sie haben sich bewusst für einen achtsamen Lebensstil entschieden und sind trotzdem immer in Bewegung. Was hat Ihren Sinn für Gerechtigkeit und gesellschaftliche Verantwortung geprägt?

Cult: Ich glaube, das ist mir irgendwie angeboren. Es gibt ein Zeugnis aus der ersten Klasse – oder sogar noch davor -, da hat meine Lehrerin schon reingeschrieben, dass ich einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn habe.

"Kein Erfolg oder Besitz bringt echtes Glück – das beginnt in uns selbst"

prisma: Was wollen die Macher mit der Storyline von Gerechtigkeit, Mobbing und Erfolg bezwecken? Immerhin werden die Beiträge der ZDF-Reihe als "wütende Filme" beworben ...

Cult: Ich glaube, Wut bekommt in dieser Reihe endlich die Bedeutung, die sie verdient. Sie ist ein Gefühl der Abgrenzung und gehört zu uns – da gibt's nichts zu verurteilen. Die Natur hat uns mit allem ausgestattet, was wir zum Überleben brauchen – dazu gehört auch Wut. Und gerade Frauen haben genauso ein Recht darauf, wütend und laut zu sein. Ich bin müde von diesem klassischen Frauenbild, wie sie am besten sein sollten. Mel trifft nicht immer moralisch perfekte Entscheidungen, aber sie sind realistisch. Das regt zum Nachdenken an: Warum ärgert mich das eigentlich? Und was sagt das über mich aus?

prisma: Ist etwa eine egoistische und laute Macherin wie Mel ein Vorbild für junge Frauen?

Cult: Ich würde sie nicht per se als egoistisch beschreiben, sondern als eine Frau, die ihr Bestes gibt, um mit ihren Kindheitstraumata umzugehen. Sie hat sich eine starke Schutzmauer aufgebaut, um nie wieder so verletzt zu werden – und deshalb fällt es ihr schwer, sich infrage zu stellen. Ich glaube, sie hat noch nicht erkannt, dass sie nicht für immer Opfer ihrer Geschichte bleiben muss. Die Kraft, ein entspannteres Mindset zu entwickeln und zu verstehen, dass die Macht bei ihr selbst liegt, fehlt ihr noch. Aber genau deshalb trifft sie die Entscheidungen, die sie trifft – um zu wachsen. Und das ist doch vorbildlich.

prisma: Was möchten Sie, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer aus "Mels Block" mitnehmen?

Cult: Das Thema Mobbing auf jeden Fall – und was das anrichten kann. Ich glaube, es wird gut gezeigt, dass sich die Täter oft gar nicht bewusst sind, was sie tun. Und die Quintessenz ist wahrscheinlich: Wir finden unseren Seelenfrieden nicht im Außen. Kein Erfolg oder Besitz bringt echtes Glück – das beginnt in uns selbst. Irgendwann geht's darum, Verantwortung zu übernehmen für das, was uns wirklich glücklich macht.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

Das könnte dich auch interessieren