True-Crime-Sensation: Der Fall Amanda Knox als Serie






Als "Foxy Knoxy" oder – im deutschen Sprachraum – als "Engel mit den Eisaugen" wurde die Amerikanerin Amanda Knox jahrelang im Sinne einer klassischen Femme fatale dämonisiert. Als Austauschstudentin im italienischen Perugia soll die damals 20-Jährige ihre britische Mitbewohnerin Meredith Kercher ermordet haben. Mehrmals wurde die heute 38-Jährige schuldig gesprochen. Jedes Mal wurde das Urteil von einem höheren Gericht Italiens wieder kassiert. Die Berg- und Talfahrt des Falles, Prozesses und Lebens der Beteiligten am vielleicht spektakulärsten True Crime-Fall des Jahrtausends waren bereits Gegenstand mehrerer Filme und Doku-Serien. Nun arbeitet "The Twisted Tale of Amanda Knox" die Geschichte noch einmal fiktional bis ins Jahr 2022 auf. Grace van Patten ("Tell Me Lies") spielt die Hauptrolle, die achtteilige Serie startet bei Disney+ am Mittwoch, 20. August, mit einer Doppelfolge. Danach gibt es eine weitere neue Episode im Wochenrhythmus.
2015 spricht Italiens Kassationsgericht – der oberste Gerichtshof des Landes – die Amerikanerin Amanda Knox und ihren früheren italienischen Freund Raffale Sollecito (Giuseppe De Domenico) endgültig vom Vorwurf des Mordes an der britischen Studentin Meredith Kercher frei. Damit endet – juristisch betrachtet – das Bangen zweier Menschen, die eine lange Haftstrafe wegen Mordes verbüßen sollten. Immerhin vier Jahre saßen die beiden tatsächlich ein.
Schon 2016 widmete sich die Emmy-nominierte und sehenswerte Netflix-Doku "Amanda Knox" dem Fall – inklusive vieler Interviewpassagen mit Amanda Knox. Auch Michael Winterbottoms Kinofilm "The Face of an Angel" (deutscher Titel: "Die Augen des Engels") mit Daniel Brühl, Kate Beckinsale und Cara Delevingne griff die Ereignisse auf. Dazu kamen unzählige TV-Dokumentationen, Fernsehfilme, Podcasts, Bücher und immer wieder "Presseenthüllungen". Warum sollte man sich 18 Jahre nach der Tat also noch einmal dem Thema widmen?
Heute haben Amanda Knox und ihr Staatsanwalt privaten Kontakt
Produzentin K.J. Steinberg ("This Is Us – Das ist Leben") möchte in ihrem fast achtstündigen Epos (Regie: Michael Uppendahl) vor allem "die verheerenden Auswirkungen falscher Narrative" untersuchen und wie sie das Leben aller Beteiligten seit der Tat bestimmen. So wird Folge drei aus der Sicht des als Amanda Knox-"Jägers" berühmt gewordenen Staatsanwaltes Giuliano Mignini (Francesco Acquaroli) geschildert. Folge fünf nimmt indes die Perspektive des Mitangeklagten Raffaele Sollecito (Giuseppe De Domenico) ein. Die beiden letzten Folgen widmen sich dem Leben der Amanda Fox in Freiheit, als die junge Frau nach der Rückkehr in ihre Heimat Seattle versucht, sich ein neues Leben aufzubauen.
Wer die wahre Geschichte nicht oder nicht mehr verfolgt, wird sich über die kühne Konstruktion wundern, dass Amanda Knox sozusagen als Climax am Ende eine Wiederbegegnung mit "ihrem Verfolger", dem Staatsanwalt, in Perugia anstrebt. Was nach einer ganz miesen melodramatischen Filmidee klingt, ist aber – wie so vieles im Fall Amanda Knox – einfach nur kinoreife Realität. 2022 traf Amanda Knox jenen Mann, der sie über viele Jahre unbedingt hinter Gitter bringen wollte. Heute sind die beiden im Email- und WhatsApp-Kontakt, wie es heißt.
Niemand mag Amerikaner!
"The Twisted Tale of Amanda Knox" ist eine schauspielerisch und erzählerisch durchaus solide Serie mit Hang zum Melodramatischen, das der Geschichte allerdings auch innewohnt. Eine gewisse Monica Lewinsky (Alt Ending Productions) gehört ebenso zum Kreise der Serienmacher wie Amanda Knox und ihr heutiger Ehemann Chris Robinson (Knox Robinson Productions). Mit ihm hat sie mittlerweile zwei kleine Kinder und arbeitet weiter an der Aufarbeitung ihres Falles im Sinne eines warnenden Beispiels dafür, wie auf vagen Fakten basierende Narrative, die vielen Menschen ins Bild passen, plötzlich zur Realität werden. So zum Beispiel Geschichten über ruchlose schöne junge Frauen, entgleiste Drogen- und Sexspiele sowie der ewig währende Hass auf Amerika als arroganter Nation, die sich für unantastbar und etwas Besseres hält.
"Mein Gefängnis sind die falschen Geschichten über mich", sagt die fiktive Amanda Knox einmal in der Serie, als sie wieder in Seattle ist und Teile ihrer Familie nicht begreifen können, warum sie nicht abschließen kann mit ihrer Vergangenheit. Dass sie noch einmal nach Perugia zurückwill, jenem so ungemein italienischen Ort ihres Martyriums. Auch die Serie sitzt bei aller Mühe um Genauigkeit der Orte, Gesichter und Ereignisse dem ein oder anderen Klischee auf. Zum einen natürlich jenem des Melodrams. Obwohl Grace van Patten, die Tochter eines bekannten Serien-Regisseurs, die Rolle ordentlich spielt, neigt das Drehbuch zu sehr viel Emotionalität. Zum anderen wird die Rolle des Staatsanwalts und Italiens Justiz über weite Strecken arg dämonisiert.
Sicher, es wurden verheerende Fehler gemacht, aber die Personen hinter den Fehlern werden gerade in den ersten Folgen etwas eindimensional als Monster gezeigt. In einer Knast-Szene mit Amanda Knox wird einer Mitgefangenen ihr kleines Kind auf dem Gefängnishof entrissen. In Italien darf ein Kind nur bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres bei einer Gefangenen bleiben, danach kommt es ins Waisenhaus, hört man einen aufklärenden Kommentar.
Dass man sich heutzutage als Amerikaner wohl vor allem Sorgen über das eigene Justizsystem machen sollte, kann die Serie natürlich nicht auch noch leisten. Und doch wird auch in der Italien-Paranoia der vom US-Streamingdienst Hulu produzierten Serie auf gewisse Weise ein uraltes Narrativ bedient: Dass man den Amerikaner als solchen im Ausland nicht mag.
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Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH