David Crosby im Interview

"Entscheidend ist, was ich mit meiner Zeit mache"

09.08.2021, 07.15 Uhr
von Felix Förster
David Crosby möchte auf der Zielgerade seines Lebens noch so viel Kunst wie möglich kreieren.
David Crosby möchte auf der Zielgerade seines Lebens noch so viel Kunst wie möglich kreieren.  Fotoquelle: Henry Diltz

David Crosby wird am 14. August 80 Jahre alt. Passend zu diesem runden Geburtstag hat die Rock- und Folk-Legende (The Byrds, Crosby, Stills and Nash) mit "For Free" ein von der Kritik gepriesenes, neues Album veröffentlicht. prisma hat mit dem US-Amerikaner über Musik, das Alter, Kollaborationen, Twitter und natürlich sein neues Album gesprochen.

Wie viele andere Künstler haben auch Sie wegen Covid nicht auftreten können. Sie beschrieben es so: "Ich konnte nicht arbeiten". Wie haben Sie Corona erlebt?

David Crosby: Wir waren nicht in der Lage, zu arbeiten. Es ist so einfach: Wir haben als Musiker zwei Einnahmequellen: Platten und Touren. Streaming bezahlt uns die Platten nicht mehr, das nahm mir die Hälfte meiner Einnahmen weg. Die einzige Sache, die mir geblieben ist, um meine Miete zu zahlen, mein Leben zu finanzieren, mich um meine Familie zu kümmern, war live zu spielen. Und dann kam Covid und wir konnten nicht mehr live spielen. Deshalb habe ich kürzlich auch die Veröffentlichungsrechte meiner Songs verkauft. Ich hatte da keine andere Wahl.

Sie haben sich zuletzt kritisch zu Streaming-Diensten wie Spotify geäußert...

David Crosby: Es würde mir ja nichts ausmachen, wenn diese Unternehmen auch mit der Situation kämpfen müssten. Aber, schauen Sie, die machen Milliarden Dollar an Umsätzen. Und sie leiten kaum etwas an die Musiker weiter. Es ist so als würden Sie Ihren Job für einen Monat machen und dann einen Nickel (Fünf-Cent-Münze, Anm. der Redaktion) dafür bekommen. Dann wären Sie doch auch irritiert. Deshalb sind wir Musiker erbost, weil sie uns keinen gerechten Anteil zahlen. Wir sind diejenigen, von denen die Musik kommt, und wir bekommen kein Geld dafür. Das ist einfach nicht okay.

In den USA sind die Regeln für Liveauftritte gelockert worden. Werden Sie in naher Zukunft wieder live auftreten? Sind Konzerte geplant?

David Crosby: Jeder geht wieder zurück an die Arbeit, ich aber nicht.

Sie wollen die neuen Songs also nicht live aufführen?

David Crosby: Natürlich würde ich das gerne, aber ich bin mittlerweile 80 Jahre alt. Ich werde nicht mehr auf Tour gehen.

Seit Ihrem erfolgreichen Comeback-Album „Croz“ 2014 haben Sie in einer für Sie ungewöhnlichen Regelmäßigkeit Alben veröffentlicht, fünf in sieben Jahren. Woher kommt dieser kreative Schub, was ist der Grund dafür?

David Crosby: Ganz einfach: Songs! Ich kann mich wirklich glücklich schätzen, die passenden Partner für das Schreiben von Songs zu haben. Ich mag es sehr, mit anderen zu schreiben, das war schon immer so. Wir entwickeln diese Songs gemeinsam, und das ist natürlich der Schlüssel zu allem anderen. Was wir machen, hat nichts mit Ruhm zu tun, nichts mit Berühmtheit, nichts mit Geld. Alles basiert strenggenommen nur auf den Songs. Durch sie sind wir einfach in der Lage, Platten aufzunehmen.

2014, 2016, 2017, 2018 und jetzt 2021 – das sind die Jahre, in denen ein neue Alben von Ihnen auf den Markt kamen.

David Crosby: Ich kenne auch sonst kaum jemanden, der in den letzten sechs, sieben Jahren fünf Alben aufgenommen hat. Es ist einfach so, weil die Songs da sind. Ich muss niemandem mehr etwas beweisen, ich habe einfach nicht mehr viel Zeit. Ich weiß nicht, ob ich noch zwei Wochen habe, oder noch zehn Jahre. Aber entscheidend ist gar nicht, wie viel Zeit ich noch habe, sondern was ich mit dieser Zeit mache. Und das ist, so viel Kunst wie möglich zu kreieren. Die Art wie ich auf all das schaue, und das werden Sie bestimmt lustig finden, ist sehr „Hippie-mäßig“. Viele Leute haben momentan eine harte Zeit, und Musik ist eine Möglichkeit, sie aufzuheitern. Sie macht die Dinge besser, hilft den Menschen, sich besser zu fühlen. Das mag ich sehr. Mein Job ist es, wie James Taylor so treffend singt, to „shed a little light“, ein wenig Licht zu bringen. Und ich glaube, das gelingt mir ganz gut.

Nach den Alben "Croz" und "Sky Trails" ist dies das dritte Album nach Ihrem Comeback, auf dem Sie mit Ihrem Sohn James Raymond zusammen arbeiten. Diese Kooperation ist sehr fruchtbar. Wie fühlt sich das an, mit Ihrem Sohn zu arbeiten?

David Crosby: James ist ein sehr guter Produzent, aber noch viel wichtiger ist, dass er ein brillanter Musiker, Sänger und vor allem Songwriter ist. Der beste Song auf dem neuen Album ist der letzte, der "I Won't Stay For Long" heißt. James hat ihn geschrieben, und Sie können sich vorstellen, wie stolz ich bin. Ich habe Freunde, die mich angerufen haben und – das ist die Wahrheit – geweint haben, nachdem sie dieses Album gehört haben. Und das ist alles, was ich will. Wenn ich die Hörer zum Weinen bringe oder zum Lachen, sie auf eine emotionale Reise mitnehme, dann habe ich alles erreicht. Und dieses Abschlusslied auf dem neuen Album spiegelt das wider. Ich könnte nicht glücklicher darüber sein, dass mein Sohn es geschrieben hat.

Der Titelsong Ihres neuen Albums "For Free" stammt von Joni Mitchell. Er handelt von einem Straßenmusiker. Was verbindet Sie mit diesem Song?

David Crosby: Ich liebe die Botschaft dieses Songs. Ich habe den Song bisher dreimal aufgenommen, denn ich bin ein großer Fan von Joni Mitchell. Für mich ist sie ohne Frage die beste Songwriterin aller Zeiten. Die Geschichte von "For Free" ist interessant. Ich habe dieses Mädel Sarah Jarosz (eine junge Americana-Sängerin, Anm. der Redaktion) gehört. Sie hat ein Album namens "World On The Ground" veröffentlicht, das mich einfach gepackt hat. Es ist ein wunderbares Album. Also habe ich sie angerufen und gesagt "Hör zu, ich möchte gerne mit Dir singen. Mir ist es egal, wofür, warum, worauf oder wo es veröffentlicht wird. Ich möchte einfach mit Dir singen." Daraufhin sagte sie "Oh God, I love to" (lacht). Wir hatten also keinen Grund, kein Projekt geplant, wir haben es einfach zum Spaß gemacht. Und ich sagte: "Was ist mit For Free? Es ist ein kleiner Country-Waltz, ein ganz einfacher Song, und ich liebe ihn, liebe, was er aussagt." Sie sagte: "Ich liebe diesen Song auch". Also ging ich zu James und bat ihn darum, dem Song ein ganz neues Gefühl zu geben. Und er hörte sich Jonis Arrangement an und entwickelte daraufhin ein Pianostück, das so evokativ, so wunderschön, so lyrisch ist, dass es mich dazu brachte, den Song anders und besser zu singen als je zuvor. Und so haben wir ihn an Sarah geschickt, und sie ergänzte dann diesen Harmoniegesang, und das ist wirklich wie eine Anleitung, wie man Harmonie singt (lacht). Das Mädchen ist ein Genie darin. Es war einfach spektakulär.

Aber sind Sie nicht der "Meister des Harmoniegesangs"?

David Crosby (lacht): Ich bin gut darin, aber sie ist auch sehr gut. Also rief ich sie zurück und sagte „Sarah, das ist atemberaubend, darf ich das auf mein Album nehmen?“ Und sie sagte, sie fühle sich geehrt, auf meinem Album zu sein.

Ich finde Ihr neues Album sehr poetisch, es hat bisweilen einen fast religiösen Anstrich. Woher kommt diese Gelassenheit?

David Crosby: Ich bin ziemlich glücklich. Ich habe das Geld vom Verkauf meiner Songs genutzt, um mein Haus abzubezahlen. Das ist ein großartiges Gefühl. Ich bin momentan relativ gesund, und das ist verrückt, denn man wartet in meinem Alter immer darauf, dass etwas passiert (lacht). Es ist eben, wie es ist.

Dennoch ist "For Free" auch politisch. Besonders der Song „Shot At Me“ ist wirklich erstaunlich. Es geht darin um den Mittleren Osten, und Sie klagen darin niemanden an, sondern beschreiben einfach die Situation aus Sicht eines Betroffenen. Welche Geschichte verbirgt sich dahinter?

David Crosby: Die Geschichte ist über die Jungs, die aus den Krisengebieten zurückkommen. Ich habe einen Kerl in einer Bar getroffen, der sehr unglücklich wirkte und immer betrunkener wurde. Ich fragte ihn, was los sei. Und er sagte, er fühle sich so schlecht. Er erzählte mir, er wäre drüben gewesen, in Afghanistan, und sie wären auf Patrouille in diesem Dorf gewesen, als sie unter Feuer gerieten. Sie schossen zurück, es gab ein Feuergefecht. Und es wurde immer schlimmer. Dann wurde ihnen gesagt, sich zurückzuziehen. Bevor sie das taten, hat er noch auf einen Typen geschossen, der etwa 200 Meter entfernt war. Er sagte, das wäre der beste Schuss gewesen, den er je abgegeben hätte, und er war ziemlich stolz darauf. Also ging er rüber, um nach dem Mann zu sehen, und erkannte, dass er einen 12-jährigen Jungen erschossen hatte. Diese Bilder bekäme er nicht mehr aus seinem Kopf. Und der Ausdruck in seinen Augen war nicht gut. Das war ein gehetzter, ein gebrochener Mann. Auf dieser Geschichte beruht der Song.

Das ist eine sehr traurige Geschichte.

David Crosby: So ist Krieg. Auf jeden Soldat, der stirbt, kommen 100 Personen, die einfach zur falschen Zeit am falschen Ort sind und nie jemandem etwas getan haben. Sie waren einfach nur da und wurden getötet.

Auf dem neuen Album kooperieren Sie mit auch mit Michael McDonald und Donald Fagen von Steely Dan. Wie funktioniert das? Ruft David Crosby seine Buddies an und man arbeitet dann zusammen?

David Crosby: Steely Dan ist schon ewig meine Lieblingsband, davor waren es die Beatles. Bestes Songwriting, beste Umsetzung, beste Produktion, bester Gesang, beste Platten, sie haben alles. "Aja" und "Gaucho" sind beide in meinen Top 10 der besten Alben. Ich bewundere Donald Fagen enorm und bat ihn: "Bitte, bitte, können wir nicht etwas zusammen schreiben?" Und er schickte uns ein paar Wörter, um die wir dann den Song "Rodriguez For A Night" geschrieben haben. Ich bin sehr glücklich damit.

Sie haben es schon erwähnt, Sie sind mittlerweile 80 Jahre alt. Ihre Stimme klingt dabei immer noch genauso umwerfend wie immer. Trainieren Sie regelmäßig oder ist sie eine Art Geschenk?

David Crosby: Ich weiß es nicht, ich kann es einfach nicht erklären. Ich kann Ihnen aber eines sagen: Ich habe nie Zigaretten geraucht. Niemals und das ist wahrscheinlich das einzige, das ich nicht getan habe (lacht).

Meine erste Begegnung mit Ihnen war im Jahr 1989, als Sie auf Phil Collins' Erfolgsalbum "But Seriously" auf "Another Day In Paradise" und "That's The Way It Is" den Harmoniegesang beigesteuert und beide Songs so einzigartig gemacht haben. Wie kam das damals zustande?

David Crosby: Wir sind Freunde, das sind die einzigen Leute, mit denen ich singe (lacht). Dann und wann habe ich immer noch Kontakt mit Phil. Er lebt ja meistens an der Ostküste in Florida, ich hier in Kalifornien und deshalb sehen wir uns nicht häufig. Aber wir stehen in Kontakt.

In den vergangenen Jahren haben Sie als eifriger Twitter-Nutzer für Aufsehen gesorgt. Hat das einen Grund?

David Crosby: Es macht mir einfach Spaß. Die Leute sind interessant und höllisch faszinierend. Ich habe viele gute Gespräche dort und genieße dies sehr. Außerdem kann ich die Trolls, die sich mit mir streiten wollen, einfach löschen. Das mache ich dann. Jeder, der mit mir einen Streit anfangen möchte, wird von mir gelöscht.

Twitter ist ein sehr vereinfachter Weg, mit Menschen zu kommunizieren, und gerade deshalb so beliebt. Sind Sie mit den Reaktionen auf Ihre Tweets zufrieden?

David Crosby: Ich habe eine Menge Spaß damit.

Ich kann natürlich kein Interview mit Ihnen beenden, ohne nach Crosby, Stills, Nash and Young zu fragen. Gibt es irgendwelche Chancen, dass Sie jemals wieder mit Graham Nash, Stephen Stills und Neil Young kooperieren oder wenigstens wieder mit ihnen sprechen?

David Crosby: Was die Gespräche anbelangt, kann ich das nicht sagen. Aber Sie werden die Band definitiv nicht mehr zusammen sehen.

Bildunterschrift: David Crosby möchte auf der Zielgerade seines Lebens noch so viel Kunst wie möglich kreieren. Foto: Henry Diltz

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