Vor einem Jahr starb die Rockröhre

Tina Turner: Ein Rückblick auf ein bewegtes Leben

24.05.2024, 15.27 Uhr
von Eric Leimann

Vor einem Jahr starb Tina Turner in der Schweiz. Ein Rückblick auf das Leben einer großen Rocklegende - ihre Karriere, ihre Erfolge und ihre persönlichen Kämpfe.

Energie wie ein Vulkan

Es war schon seit Jahren ruhig geworden um sie. Dann kam vor genau einem Jahr die Nachricht, die die Musikwelt erschütterte: Tina Turner ist tot. Am 24. Mai 2023 starb sie nach langer schwerer Krankheit im Alter von 83 Jahren in Küsnacht in ihrer Wahlheimat Schweiz, wo sie seit Jahrzehnten zu Hause war. Mit ihr verlor die Musikwelt eine ihrer größten Ikonen. Weltweit füllte sie Konzerthallen, zahllose Nummer-eins-Hits hat sie veröffentlicht. Ihre Stimme – rauchig, energisch, emotional wie keine andere ...

Seit 2013 war Tina Turner, eine der letzten großen amerikanischen Soul- und Rock-Sängerinnen, nicht einmal mehr Amerikanerin. Turner besaß die schweizerische Staatsbürgerschaft und hatte ihre alte abgegeben. Von dem, was ihr Berufsleben prägte – eine eiserne Arbeitsdisziplin, aus der sich die Wildheit ihrer Bühnen-Persona speiste -, verabschiedete sie sich im Rahmen ihrer "50th Anniversary Tour" mit 69 Jahren. Der letzte Auftritt als Sängerin, ein Nachholtermin im englischen Sheffield, fand am 5. Mai 2009 statt.

Einer Interviewerin der "New York Times", die sie noch kurz vor ihrem 80. Geburtstag am Zürichsee besuchte, sagte sie: "Ich habe meine gesamte Karriere damit verbracht, Frauen zuzusehen, die versuchten, Tina Turner zu sein." Was nach einem markigen Ego-Spruch klang, war eigentlich gar keiner. Die Tina-Turnermania ihrer ersten Karriere fand zwischen den Jahren 1958 und 1976 statt. Der damals schon bekannte Songschreiber und Bandleader Ike Turner hatte die damals 18-jährige Anna Mae Bullock kennengelernt und machte sie zur Background-Sängerin seiner Gruppe Kings of Rhythm. Schon 1960 wurde sie deren stimmgewaltige Frontfrau. Ike Turner gab Anna Mae ihren Künstlernamen Tina und taufte seine Band in Ike & Tina Turner um.

The Ikettes, die erste namentlich erwähnte Back-up-Group in der Geschichte des Rock'n'Roll, fast schon so eine Art Girlband, sollte bereits aus Tina-Turner-Look- und Act-Alikes bestehen. Also: wilde Stimmen und ebensolche Tänze, unbändige Haarpracht und die Energie eines Vulkans kurz vor seiner Explosion. Mit exzessiven Endlos-Tourneen und Hits wie "A Fool In Love" oder "It's Gonna Work Out Fine" wurden Ike & Tina Turner bald zur heißesten Nummer im amerikanischen R'n'B-Zirkus der 60er-Jahre.

Tina Turner auf der Flucht

Ike & Tina Turner agierten mit ihrem funkigen Sound und den exzessiven Bühnenshows an der Grenze dessen, was die sittliche Ästhetik der frühen und mittleren 60-er selbst schwarzen Künstlern erlaubte. In dieser Energie und dem Wagemut, vor allem in der bärenstarken Stimme Tina Turners, lag aber auch die Faszination der Band, deren Namensgeber längst auch privat ein Paar waren. Eine Liaison, von der man mittlerweile weiß, dass sie vor allem aus großem Unglück bestand. Ike Tuner, selbst traumatisiert durch den Tod seines Vaters, der von einem weißen Lynchmob so verletzt wurde, dass er später seinen Wunden erlag, war ein Despot und Gewalttäter. Nicht nur seine Band führte er mit roher Zero-Tolerance-Mentalität, auch privat musste alles genauso gemacht werden, wie Ike es wollte.

Wer nicht spurte, wurde geschlagen und eingesperrt. Darunter zu leiden hatten zwei Söhne Ikes aus einer vorherigen Beziehung, die Tina Turner später adoptierte, ein gemeinsamer Sohn und ein weiterer von Tina, den sie aus einer frühen Affäre mit einem Musiker mitgebracht hatte. Vor allem aber wurde Tina Turner selbst immer wieder von Ike krankenhausreif geprügelt. Auch im Tonstudio schlug der 2007 verstorbene Musiker aus Mississippi zu: Tina Turner sang ihre Hits teils mit gebrochenem Kiefer und mit blutverschmiertem Gesicht.

1976, als die Drogensucht Ike Turner immer wieder zusetzte, nutzte Tina auf einem Tournee-Stop in Dallas die Gelegenheit zur Flucht. Blutend und mit weniger als 50 Cent in der Tasche, heißt es in der Überlieferung, bat sie in einem Hotel der Stadt um Asyl. Eine Szene, die auch in dem 1993 erschienenen Biopic "Tina – What's Love Got To Do With It" vorkam, durch den Turner mit Schauspielerin Angela Bassett einer weiteren Frau zusehen konnte, die versuchte, Tina Turner zu sein.

Eine unvergessene, einzigartige Stimme

Tina Turner selbst soll den Film erst sehr viel später gesehen haben. Zu schmerzlich seien die Erinnerungen an die Horror-Jahre mit Ike gewesen, denen jedoch Alltime-Hits wie das von Phil Spector produzierte Stück "River Deep Mountain High" (1966), "Proud Mary" (1971) und das autobiografische Lied "Nutbush City Limits" (1973) entstammen.

Der Trennung von Ike folgte für Tina Turner erneut eine harte Zeit. Die Söhne blieben zunächst bei ihm, erst einige Monate später zogen sie zur Mutter, die allerdings nur mit härtestem Einsatz ihre Familie durchbringen konnte. Regress-Forderungen wegen der abgesagten Shows von Ike & Tina Turner und dazu eine Sängerin, die auf die 40 zuging: Beides klang Ende der 70-er Jahre nicht unbedingt nach einem guten Geschäft. Zwei Solo-Alben Turners floppten. In dieser Zeit sang sie vor wenigen hundert Besuchern und bei Kaufhaus-Eröffnungen.

Schließlich hatte ihr australischer Manager Roger Davies jene zündende Idee, die zur zweiten, noch größeren Karriere Tina Turners führte. Die Coverversion des Al-Green-Songs "Let's Stay Together", produziert im sparsamen Synthie-Elektro-Sound der frühen 80-er, aber eben mit der unwiderstehlichen Stimmkraft Turners im Gepäck, war vor allem in Europa ein Hit. Und er wurde zum Argument für die Produktion eines neuen Albums in ähnlichem Stil.

Blues-, Jazz- und Soul-Urgestein Tina Turner, auf den Baumwoll-Feldern Tennessees und im schwarzen Kirchenchor sozialisiert, war selbst eher skeptisch, was die Qualität ihrer neuen Produktionen betraf. Doch sie irrte, und das Comeback-Album "Private Dancer" (1984) wurde zu einem der erfolgreichsten der Popgeschichte. Es folgten Jahre mit nicht abreißen wollenden Erfolgen: Hits ohne Ende, Grammys, ein Filmauftritt in "Mad Max – Jenseits der Donnerkuppel" (1985) – der Vorgänger, "Mad Max II", war einer der erklärten Lieblingsfilme der Sängerin – und 1995 der Ritterschlag einer jeden Weltstar-Sängerin, ein James-Bond-Titelsong namens "Goldeneye".

Tina Turner, scheinbar alterslos und später eher respektvoll denn despektierlich als "Rock-Oma" verehrt, hatte ihr Schicksal, das 1939 als ungewolltes Kind einer kaputten Beziehung im Süden der USA begann, am Ende in einen Triumph verwandelt. Über 180 Millionen Tonträger hat sie verkauft. Privat fand Turner mit dem Kölner Musikmanager Erwin Bach einen liebevollen und treuen Partner. In ihren dunklen Jahren, aber auch danach, gab ihr der buddhistische Glaube Halt. Dass sie nicht nur die Rock'n'Soul-Röhre war, als die sie bewundert, aber auch "wegsortiert" wurde, beweisen Aufnahmen wie die wunderbar sensible Coverversion von "Edith And The Kingpin", die sie 2008 mit Herbie Hancock für dessen Joni-Mitchell-Coveralbum aufnahm.

Tina Turner wurde – und in Zeiten der Biopic- und Musical-Verklärung wurde es nicht besser – stets als Symbol wahrgenommen. Ein Fleisch-und-Blut-Wahrzeichen für Sex, Kraft, Selbstermächtigung und Feminismus. In Interviews hat sie indes stets klargemacht: Sie stand für keinerlei Agenda. Tina Turner hatte in jüngerer Vergangenheit vermehrt mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen (2016 erkrankte sie an Darmkrebs), lebte jedoch immer ein Leben, das weitgehend frei von Alkohol, Drogen, Zigaretten oder sexuellen Exzessen stattfand. Sie war vor allem ein Disziplin-Monster mit dem Talent einer künstlerischen Wildheit und einer großen Stimme. Einer einzigartigen Stimme, die man noch in Jahrzehnten hören wird.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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