Ulrich Matthes im Interview: "Ich bekam auch schon Hassnachrichten"
Ulrich Matthes ist in der neuen ARD-Dramedy "Winterwalzer" zu sehen. Im Interview spricht der Schauspieler über seine Tanzkünste, sein öffentliches Outing und weshalb ihm das politische Klima und insbesondere der Aufstieg der AfD große Sorge bereitet.
Schwere Stoffe, komplexe Charaktere, tiefsinnige Dialoge: So kennt das Fernsehpublikum den Schauspieler Ulrich Matthes, der vom Einsiedler bis zum Obernazi wirklich alles zu spielen vermag. Aber Humorvolles? Das gab es für den 64-Jährigen bisher fast ausschließlich auf der Bühne – etwa am ehrwürdigen Deutschen Theater, wohin der vielfach prämierte Darsteller zum Interview geladen hat. "Richtig glücklich" sei er gewesen, nun endlich mal in einer Filmkomödie zu spielen, gesteht der Berliner und wirkt fast erleichtert darüber. "Winterwalzer" heißt sein neuer ARD-Film (Freitag, 8 Dezember, 20.15 Uhr), und Matthes verkörpert in diesem Mix aus Weihnachtsromanze, Dramedy und Tanzfilm dann natürlich doch wieder eine anfangs schwermütige Figur – einen verwitweten und depressiven Ex-Tanzlehrer, den nur Kollegin Nina Kunzendorf als Undercover-Therapeutin beim Tanz aus seiner Lethargie holen kann.
prisma: Herr Matthes, waren Sie froh darüber, endlich mal in einer Komödie spielen zu dürfen?
Matthes: Sehr! Weil es mir – zumindest vor der Kamera, im Theater war das immer anders – quasi nie angeboten wird. Richtig glücklich war ich!
prisma: Weil Sie sonst immer die schweren Stoffe spielen?
Matthes: Ich habe Goebbels und Hitler gespielt und alle möglichen komplexen Charaktere. Und jetzt eine anrührende Weihnachtskomödie zur besten Sendezeit im Advent! Eine Art Rolle, die früher vielleicht Hugh Grant oder Jack Lemmon gespielt hätten. Es ist berührend, es gibt aber auch Slapstick, Humor. Schön, dass man mir so was auch zutraut!
prisma: Und Sie tanzen mit Ihrer Partnerin Nina Kunzendorf ziemlich professionell! Konnten Sie das schon?
Matthes: In den 80er-Jahren bin ich dreimal die Woche ausgegangen, in dem Alter hat man ja noch Kondition: Da ging's bis halb vier, aber um zehn war ich auf der Probe. Als Kind habe ich zur Freude der Verwandtschaft spontane Fantasietänze gemacht, so mit elf meldeten mich meine Eltern auf einer Tanzschule an. Sogar ein kleines Turnier gab es da.
prisma: Wie ging das aus?
Matthes: Wir wurden Siebter – von sieben Paaren (lacht). Meine Eltern fanden's trotzdem gut, aber ich hatte sofort keine Lust mehr. Ein bisschen Samba-Rumba-Chachacha hatte ich beim Dreh aber noch immer in den Beinen.
prisma: Konnten Sie Ihre Fähigkeiten auffrischen?
Matthes: Wir hatten einen freundlichen Tanzlehrer aus Kreuzberg, der mir die Schritte beibrachte – sogar bei mir im Wohnzimmer. Ich hab' trotzdem dafür gesorgt, dass die Erwähnung eines Europameistertitels im Drehbuch gestrichen wurde. Too much für meine Fähigkeiten (lacht)!
prisma: Also würden Sie auch nicht bei "Let's Dance" mitmachen?
Matthes: Nee! Aber ich schaue es ab und zu sehr gerne.
prisma: Ihre Tanzszenen mit Nina Kunzendorf in "Winterwalzer" wirken jedenfalls ziemlich spontan und echt ...
Matthes: Nina und ich verstanden uns wirklich sehr gut. Wenn's gut läuft, entsteht ja immer eine Art Erotik, im weiteren Sinne.
prisma: Das müssen Sie ausführen!
Matthes: Ja? Im besten Fall entsteht Erotik am Set, oder auf einer Probe am Theater, auch mit der Regie. Unabhängig von deren Geschlecht. Mit Sexualität hat das nix zu tun.
"Ich bekam auch schon Hassnachrichten"
prisma: Braucht es in politisch herausfordernden Zeiten wie diesen leichte Weihnachts- und Tanzkomödien, damit wir uns von Krieg und Krisen ablenken können?
Matthes: Ich bin ein politischer Mensch. Die Situation nach dem Massaker der Hamas im Nahen Osten, der Ukrainekrieg, den wir fatalerweise zu vergessen drohen, die Umfragewerte der AfD und nicht zuletzt die drohende Klimakatastrophe – all das überfordert sehr viele. Mich auch. Angesichts dieser Überforderung ist es eine Wohltat, wenn man zwischendurch mal entlastet wird. Ich mein's nicht wichtigtuerisch, aber ein Film, der ein Happy End hat und die Menschen auffordert, eher ans Gelingen als ans Misslingen zu glauben, hat ja fast schon eine politische Botschaft heutzutage.
prisma: Benötigen schwere politische Stoffe manchmal leichtes Entertainment?
Matthes: Das schließt sich überhaupt nicht aus. Es ist wichtig, dass sich fiktive Formate auch unterhaltsam und populär – und nicht nur im Arthouse-Format – der aktuellen politischen Themen annehmen. Beides ist möglich. Die dämliche Unterscheidung zwischen E und U hierzulande ist Quatsch.
prisma: Sie äußerten sich in den letzten Jahren immer wieder explizit politisch. Denken Sie dabei über mögliche negative Reaktionen nach – sei es online oder im echten Leben?
Matthes: Nach wie vor bin ich eisern in keinem sozialen Netzwerk. Aber jeder Mensch, der sich heutzutage öffentlich politisch äußert, muss damit rechnen, aufs Dach zu kriegen. Ich bekam auch schon Hassnachrichten – die ich aber ignoriert habe. Ich dachte, das ist irgendein Verzweifelter, der sich an seinem Computer über mich erregt und irgendwas Böses rausschickt. Das bekommt dann meine arme Agentur.
prisma: Hatten Sie keine Angst?
Matthes: Wenn dieser Mensch mir von Angesicht zu Angesicht gegenüberträte, würden wir uns wahrscheinlich etwas aufgeregt unterhalten. Aber man würde zumindest miteinander reden.
prisma: Hat sich diese Art der Aggression in den vergangenen Jahren zugespitzt, vielleicht auch durch die vielzitierte gesellschaftliche Spaltung im Zuge von Pandemie, Kriegen und Krisen?
Matthes: Man merkt an den Umfragewerten für die AfD, dass das demokratische Bewusstsein erodiert. Das ist ja keine Neuigkeit. Es scheint bei vielen Leuten der Glaube daran verloren gegangen zu sein, dass die etablierten Parteien mittels Kompromissen im mühsamen demokratischen Alltagsgeschäft zu Entscheidungen gelangen, die mal etwas mehr, mal etwas weniger zum Wohle dieses Volkes sind. Ich glaube daran nach wie vor – unbeirrt. Aber ich sehe, dass dies in immer größeren Teilen der Gesellschaft nicht der Fall ist. Dieses entsetzliche Wort "Altparteien"! Die ganze perfide Sprache der AfD ...
"Die ganzen Schlussstrich-Debatten finde ich grundfalsch"
prisma: Wie hat sich der gesellschaftliche Diskurs in den letzten Jahren verändert?
Matthes: Es gibt ein zunehmendes Misstrauen gegenüber "denen da oben". Als würden sich nicht sehr viele Politiker täglich den Arsch aufreißen in einem wirklich harten Job und sich darüber Gedanken machen, wie wir das Land verbessern können. Auch die vielkritisierte Ampelkoalition macht sich darüber Gedanken. Sie irrt, macht Sachen nicht gut, kommuniziert falsch oder zu wenig – das ist ja klar und auch zu kritisieren! Aber dieses pauschale "die da oben wissen doch gar nicht mehr ..." ist völliger Quatsch. Das ist populistisches Bla Bla.
prisma: Kann man dieser zunehmenden Spaltung etwas entgegnen?
Matthes: Wie kriegt man es hin, dass die Leute wieder miteinander ins Gespräch kommen? Ich weiß es auch nicht. Die Antwort auf all die Krisen kann jedenfalls nicht sein, dass man den Populisten von rechts und neuerdings bald auch von links nachläuft.
prisma: Sie warnen schon seit Jahren ...
Matthes: Die Beschäftigung mit dem Dritten Reich ist ein Lebensthema von mir. Unabhängig von meinen Rollen habe ich schon als Pubertist angefangen, mich damit auseinanderzusetzen. Jetzt bin ich 64 und beschäftige mich immer noch damit. Die ganzen Schlussstrich-Debatten finde ich grundfalsch und entsetzlich. Als die AfD hochkam und man sah, dass es jenseits des professoralen Anti-Euro-Kurses eine rechte Partei war, dachte ich: Wehret den Anfängen. Die AfD ist nicht nur eine "Schlechte-Laune-Partei", sondern wirklich irre gefährlich. Sie bedroht unsere Demokratie. Als Bürger dieses Landes fühle ich mich aufgerufen, mein bisschen Prominenz zu nutzen, um davor zu warnen.
prisma: Sind Sie mit Blick auf die Umfragewerte dennoch überrascht, wie viel Potenzial in der Partei steckt?
Matthes: Nein, ich hab' das schon damals geahnt. Überrascht und entsetzt und verzweifelt bin ich über die Aussage, dass 85 Prozent der AfD-Wähler in Bayern sagen, es wäre ihnen egal, dass die Partei rechtsextrem ist. Das sickert in die bürgerliche Mitte ein – in einer Weise, wie es dann doch nicht für möglich gehalten hätte.
"Manchmal juckt es mich, meinen Senf irgendwo dazuzugeben"
prisma: Was glauben Sie: Ist der Rechtsextremismus einfach schon immer da gewesen respektive geblieben – oder musste er wieder erstarken in Deutschland?
Matthes: Ich gehöre zu einer Generation, die noch mit der Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus groß geworden ist. Ich hatte immer den Eindruck, dass rechtes Denken seit den 70er- und frühen 80er-Jahren in der BRD nicht so verbreitet war. Vielleicht wünsche ich mir das auch nur, aber nach den Auschwitz-Prozessen, Beate Klarsfelds Ohrfeige, nach Willy Brandts Kniefall, der Weizäcker-Rede, auch nach der "Holocaust"-Serie im Fernsehen gab es einen großen gesellschaftlichen Konsens bezüglich der Nazizeit. Man war sich einig, dass die Shoah ein ungeheures Menschheitsverbrechen war. Die Gesellschaft konnte sich innerlich und emotional darauf verständigen.
prisma: Wann änderte sich das Ihrer Ansicht nach wieder?
Matthes: Nach der Wiedervereinigung und diesem "Wir sind wieder wer" kam das langsam wieder hoch. Mein Vater war Redakteur beim "Tagesspiegel". Nach der Wende bekam er die rechtsextremen Briefe, die vorher anonym waren, mit vollem Namen samt Doktortitel. Er meinte damals, dass der braune Bodensatz durch die Wiedervereinigung wieder selbstbewusst geworden sei. Damals gab es keine so starke Partei wie die AfD, die Republikaner waren schwach. Man wählte teils CDU/CSU und FDP, manchmal SPD – war aber stramm rechts. Hinzu kamen die Menschen aus dem Osten, die – ich sage das ohne Vorwurf – die Demokratie erst erlernen mussten.
prisma: Haben Sie, politisch gesehen, Angst, vor dem was kommt?
Matthes: Angst hebe ich mir für andere Situationen auf. Ich habe große Sorge. Aber man muss es ernst nehmen, wenn jetzt wieder Jüdinnen und Juden in Deutschland sagen: "Ich habe Angst". Ich finde das furchtbar. Traurig.
prisma: Würden Sie sich gern öffentlich mehr politisch einbringen?
Matthes: Manchmal juckt es mich, meinen Senf irgendwo dazuzugeben. Dann denke ich aber wirklich, und das meine ich nicht kokett: Wer interessiert sich denn jetzt für mein kleines Stimmchen? Werde ich bei einem Interview gefragt, dann sage ich, was ich denke. Aber ich habe nicht täglich den Ehrgeiz, meine Meinung kundzutun.
prisma: Bis 2022 waren Sie Präsident der Filmakademie. Hatten Sie in dieser öffentlichen Funktion mehr das Gefühl, sich öffentlich positionieren zu müssen?
Matthes: Ja, das brachte das Amt so mit sich.
"Vielleicht lebe ich in einer Blase der Vernunft, der Demokraten"
prisma: Hatten Sie eigentlich Bedenken, bevor Sie Ihr privates Leben im Rahmen der Aktion "ActOut" gewissermaßen politisch öffentlich machten?
Matthes: Tatsächlich habe ich zunächst abgesagt. Damals redete ich mit einem der Initiatoren drei Stunden bei mir zu Hause. Und ich dachte: Für mich ist das Thema Sexualität total selbstverständlich, für jeden in meinem Umfeld auch.
prisma: Auch für Ihre Eltern?
Matthes: Als ich mit 19 Jahren meinen Eltern erzählte, dass ich mich in einen Mann verliebt hatte, haben sie erst mal geschluckt. Meine Mutter fand es gut, dass ich glücklich war, aber mein Vater hat schon ein paar Tage daran geknabbert. Und ich war natürlich erst mal aufgeregt. Aber dann war das auch okay. Ich hatte ein wirklich liberales Elternhaus – auch politisch. Mein erster Freund wurde zu Hause wie ein weiterer Sohn in die Familie integriert. Ich bin jetzt nicht so der Queer-Aktivist. Andere sind das – das ist gut, denn nur so entwickelt sich etwas!
prisma: Was bewog Sie schließlich zum Umdenken?
Matthes: Ich hab' nachgedacht. Das ist ja oft ganz gut (lacht). Wenn es selbst in der vermeintlich supertoleranten Filmbranche noch immer Ressentiments gibt, muss ich solidarisch sein. Auch mit den 22-Jährigen, die jetzt erst anfangen. Und dann hab' ich unterschrieben.
prisma: Es gab auch kritische Reaktionen ...
Matthes: Ich habe nicht verstanden, dass man uns unterstellte, es sei so eine PR-Nummer und Wichtigtuerei. Man hätte ja noch mal nachfragen können. Aber die pampigen Artikel mit dem Subtext "Haben die das nötig?" empfand ich als kränkend.
prisma: Sie konnten das nicht einfach ignorieren?
Matthes: Nein. Dafür war es mit 185 Leuten eine zu große Nummer. Und natürlich ist die Sexualität eines Menschen etwas Existenzielles. Aber eben nicht so abendfüllend, dass ich damit hausieren gehen wollte. Also, naja, an manchen Abenden ist sie schon abendfüllend ... (lacht) Das Private ist meist Privatsache – aber manchmal eben doch politisch. Dann muss man Farbe bekennen.
prisma: Verstehen Sie Leute, die Schauspieler als Teil einer abgehobenen Elite sehen?
Matthes: Ich glaube nicht, dass ich Teil einer Blase bin. Dafür ist auch mein Freundeskreis viel zu verschieden. Es wäre ja fürchterlich, wenn ich nur Theater- oder Filmfreunde hätte. Für AfD-Wähler bin ich aber bestimmt Teil einer linksgrün-versifften Blase. Kann ich ooch nicht ändern. Vielleicht lebe ich in einer Blase der Vernunft, der Demokraten.
prisma: Sehen Sie sich auch in einer Vorbildfunktion?
Matthes: Nein. Wer mich mag, der wird sich dafür interessieren, was ich denke. Und wer nicht, der nicht. Das ist dann halt so. Auch okay.
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH