Neu in der ARD-Mediathek

Dokuserien "Echt – Unsere Jugend" und "Die VIVA Story": Zurück in die 90er Jahre

23.11.2023, 12.56 Uhr
von Eric Leimann

Mit der hautnahen Band-Dokumentation "Echt – Unsere Jugend" (23.11.) und "Die VIVA Story – zu geil für diese Welt!" (1.12.) kommen zwei bemerkenswert authentische und kluge Filmbeiträge über das Heranwachsen in den 90-ern in die ARD-Mediathek. Eine besondere Zeit?

Es ist schon ein Glück, dass fünf Flensburger Jungs, die in den 90-ern eine Band hatten, verrückt nach Videofilmerei waren. Denn so haben sie ihre Geschichte von innen betrachtet und ausführlich dokumentiert der Nachwelt hinterlassen. Kim Frank, damals Sänger der Band und mittlerweile Grimme-Preis nominierter Regisseur, hat aus Tonnen von Bewegtbild den etwa dreistündigen Dokumentarfilm "Echt – Unsere Jugend" zusammengeschnitten, der als Dreiteiler ab Donnerstag, 23. November, in der ARD Mediathek zu sehen ist. Echt war nicht irgendeine Band. Im jugendlichen, ja minderjährigen Alter schaffte man es 1999 mit "Freischwimmer" auf Platz eins der deutschen Albumcharts. Gleichzeitig war die Band aber auch so "gewöhnlich" im Sinne von natürlich, dass die Langzeitbeobachtung aus erster Hand heute wie ein Zeitporträt wirkt.

Es ist die Geschichte eines Erwachsenwerdens im Rampenlicht. Daueranfragen des Bravo-Magazins oder des Musiksenders VIVA, die kreischenden Fans vor Hotels – das erlebt natürlich nicht jeder Jugendliche aus der Provinz. Echt begannen ihre Karriere als Schulband. Ab dem 14. Lebensjahr von Sänger Kim Frank wurde man professionell gemanagt. Songs wie "Weinst du", "Du trägst keine Liebe in dir" oder "Junimond" als Titelsong des Films "Crazy" schrieben erst mal andere.

Später wollte man sich mit dem dritten Album "Recorder" (2001) als erwachsene Band mit eigener Handschrift etablierten, doch da war die Band – trotz guter Kritiken fürs neue Album – schon von innen und außen betrachtet auf dem absteigenden Ast. Für die Dokumentation "Echt – Unsere Jugend" bringt Kim Frank nicht nur fürs Finale des Films die alten Bandmitglieder wieder zusammen, die sich zum Teil jahrzehntelang nicht mehr gesehen haben. Er erzählt auch in einfachen, aber fast schmerzhaft offenen Worten eine Coming-of-Age-Geschichte inklusive ersten großen Lieben, Drogenrausch, gelebter und zerbrechender Freundschaft, Euphorie, Scham und Depression.

Man durfte Quatsch erzählen, scheitern und ziemlich normal sein

Wer sich auf die drei Stunden über Aufstieg und Fall einer Band einlässt und ein paar Längen mit Teenager-Nonsense übersteht oder gar genießt, sieht einen sehr anrührenden Film über ein paar Pop-Jahre in Deutschland, in denen alles möglich schien. Der Musiksender VIVA hatte am 1. Dezember 1993 seinen Sendebetrieb aufgenommen, um dem "cooleren" MTV ein deutsch moderiertes, nahbares Kumpelprogramm für Heranwachsende entgegenzustellen. Echt verdanken VIVA ihren Karrierestart, denn der Kölner Sender begleitete die Band intensiv und war einer der Hauptfaktoren, warum Echt überhaupt bekannt wurden.

Praktischerweise findet sich zum 30. Geburtstag des Ende 2018 nach langem Siechtum eingestellten Musiksenders ab Freitag, 1. Dezember, noch eine weitere Dokumentation in der ARD Mediathek, die ebenso empfehlenswert ist: "Die VIVA Story – zu geil für diese Welt!". Für diese, eher klassische Dokumentation, hat man viele jener Talente gemeinsam zurück vor die Kamera geholt, die in der Erfolgszeit des Senders während der 90-er die Gesichter der Kölner Popstation waren: Nilz Bokelberg, Markus Kavka, Mola Adebisi und Aleksandra Bechtel. Später dann Oliver Pocher, Gülcan Kamps, Matthias Opdenhövel, Tyron Ricketts, Collien Ulmen-Fernandes oder Klaas Heufer-Umlauf.

"Die durchschnittliche Dauer vom Praktikanten zum Redakteur lag in den frühen Tage des Senders bei 14 Tagen", erinnert sich einer der Macher des Senders, der im damaligen Deutschland in eine sperrangelweite Marktlücke stieß: Pop- Musik- und Jugendprogramme gab es kaum – außer MTV, wo man Englisch sprach und edel war, aber auch cool distanziert. Bei VIVA moderierten junge Menschen für andere junge Menschen. Man durfte Quatsch erzählen, scheitern und ziemlich normal sein. Normal, das hieß zuweilen auch überdreht. Die 90-er waren schließlich ein Aufbruchs-Jahrzehnt, in dem nicht nur junge Menschen dachten, das Leben und die Welt würden immer besser werden.

Die Mauer war gefallen, der Osten Europas wurde demokratisch. Neue und aufregende Jugendkulturen wie HipHop und Techno drangen in den Mainstream ein, "Alternative" wurde mit Nirvana und Grunge zum Massengeschmack – alles vermischte sich irgendwie, alles ging.

Das Ende einer über Medien vermittelten Musikultur

Natürlich ist der optimistische, ja euphorische Blick aufs Leben, das Rebellische, Verrückte, Grenzerweiternde auch ein bisschen Jugendkultur an sich. Etwas, das sich von Generation zu Generation wiederholt – zumindest außerhalb schlimmer Krisenzeiten – unter sich leicht abwandelnden Vorzeichen. Dennoch zeigen beide ARD-Dokus auf unterschiedliche Art, wie viel Spaß es gemacht haben mag, in den 90-ern jung gewesen zu sein.

Der große Kater beim Musiksender VIVA kam um den Jahrtausendwechsel mit einbrechenden Umsätzen der Musikindustrie. Als das Internet illegale Musik-Downloads ermöglichte und schon ein bisschen früher, als Alben über CD-Brenner einfach kostenlos kopiert wurden. Dann folgte der 11. September 2001 – übrigens in beiden Filmen als Wendepunkt ausgemacht – und die Welt war danach eine andere, irgendwie sorgenvoller. Später sorgten YouTube und Social Media für das Ende einer über Medien vermittelten Musikkultur, wie man sie bis Anfang der Nullerjahre noch kannte.

Während die jungen VIVA-Gesichter von damals heute fast alle Karriere gemacht haben, ist die Band Echt, das Teenie-Massenphänomen von einst, weitgehend ins bürgerliche Glied zurückgekehrt. Drei Mitglieder haben nicht mal einen Wikipedia-Eintrag, sie gehen bürgerlichen Berufen nach. Sänger Kim Frank ist Filmemacher geworden. Der ehemalige Schlagzeuger und Texter Florian Sump lernte zunächst Erzieher und gründete später die erfolgreiche Kinder-HipHop-Band Deine Freunde. Einer der meistgehörten Sätze in beiden Dokus aus dem Mund der älter gewordenen Protagonisten lautet: "Wir dachten, es würde ewig so weiter gehen." Doch wie fast immer im Leben traf diese Prophezeiung dann doch nicht ein. Umso schöner ist es, wenn zwei so gut gemachte, ja sensible Doku-Serie an die aufregenden 90-er erinnern.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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