"Der König von Palma" im Interview

Henning Baum: "Gibt eine lange Historie der Lustfeindlichkeit in Deutschland"

23.02.2022, 15.39 Uhr

Im Sechsteiler "Der König von Palma" bei RTL+ spielt Henning Baum einen deutschen Abenteurer, der kurz nach der Wende zum Ballermann-Mogul aufsteigt. Wie steht er selbst zur Party-Meile?

Henning Baum, den vielleicht körperlichsten Schauspieler Deutschlands, kann man leicht unterschätzen. Sicher, der Mann aus dem Ruhrpott war einst der 80-er-Jahre Macho-Polizist in der SAT.1-Erfolgsserie "Der letzte Bulle". Und auch heute noch ist er begeisterter Kraftsportler. Aber Henning Baum ist eben auch ein Feingeist. Einer, der das Theater liebt, Philosophen studierte und seine freie Zeit lieber in der Natur und dort verbringt, wo es einsam ist und die Gedanken schweifen können. Mit anderen Worten: nicht am Ballermann.

Dort aber spielt die Serie "Der König von Palma", die am Donnerstag, 24. Februar, beim Streamingdienst RTL+ startet. Der 49-Jährige spielt darin einen vom bürgerlichen Leben gelangweilten Familienvater, der als Ballermann-Unternehmer kurz nach der deutschen Wende das Abenteuer im Rausch der Sinne sucht. Inklusive eines sagenhaften Aufstiegs als Party-Gastgeber und massiven Problemen mit dem organisierten Verbrechen vor Ort. Lesen Sie hier eine Serienkritik. Im Interview erklärt Henning Baum, warum gelegentlicher Kontrollverlust für die menschliche Seele so wichtig ist und warum ausgerechnet die Deutschen den Ballermann so brauchen.

prisma: Ist Ihr "Der König von Palma" fiktiv oder gab es diesen Mann wirklich?

Henning Baum: Die Figur ist fiktiv. Aber wir bewegen uns in einer konkreten Zeit und beschreiben Vorgänge, die der Realität von damals in etwa entsprechen.

prisma: Die Serie beschreibt den Aufstieg des Ballermanns, der sich praktisch zeitgleich mit der deutschen Wiedervereinigung vollzog. Ist der Ballermann gar ein Produkt der Wende?

Baum: Das weiß ich nicht. Ich bin kein Ballermann-Historiker. Allerdings bin ich mir sicher, den Namen Ballermann vor 1990 nie gehört zu haben. Danach aber immer öfter. Man hat sich dem Thema ja auch schon öfter filmisch-komödiantisch genähert. Wir tun es nun zum ersten Mal in dramatischer Form.

prisma: Hatten Sie sich den Ballermann zuvor schon privat angeschaut?

Baum: Nein, ich bin vor dem Seriendreh nie dort gewesen. Im Urlaub habe ich immer andere Erlebnisse gesucht. Man muss den Wunsch in sich tragen, sich am Ballermann zu verlieren. Nur dann macht es Sinn. Ich habe Freunde, die haben es getan, und ich möchte auch gar nichts dagegen sagen. Wer mit dem Ziel anreist, richtig die Kuh fliegen zu lassen, kann dort mit Sicherheit etwas für sich finden.

prisma: Was genau finden die Menschen dort?

Baum: Sie finden etwas sehr Wichtiges. Gerade, wenn man aus einer Kultur wie der deutschen kommt, die so stark reglementiert ist. Wir Menschen brauchen rauschhafte Erlebnisse. Und zwar nicht nur für uns alleine, sondern im Kollektiv. Der Ballermann ist auch deshalb so erfolgreich, weil man sich dort mit anderen Deutschen, die man nicht so gut kennt, zu einer rauschhaften Masse vereinigen kann. Würde man all diese Menschen gut kennen, wäre es sicher schwieriger.

prisma: Wo finden solche kollektiven Entladungen denn sonst noch statt?

Baum: Na ja, das Übliche: Volksfeste und natürlich der Karneval. Der ist sozusagen die institutionalisierte Entladung des Kollektivs.

prisma: Und was ist mit dem Fußballstadion?

Baum: Das geht für mich mehr in Richtung Kriegsersatz. Da messen sich zwei Gruppen im Kampf. Die auf dem Platz tun es ganz konkret, die Fans symbolisch mit Gesängen und Schreien. Manche verabreden sich darüber hinaus ganz konkret für eine Klopperei.

"Kann mich auch auf dem Münchener Oktoberfest verlieren"

prisma: Wenn der Ballermann nichts für Sie ist, gibt es andere "Räume", in denen Sie mal Ihre Kuh fliegen lassen?

Baum: Ich kann durchaus etwas mit Feiern anfangen. Der rauschhafte Zustand ist auch für mich als Künstler wichtig. Im Spannungsfeld zwischen dem Rauschhaften, also dem Dionysischen, und dem Klaren, dem Apollinischen, dem Harmonischen und Maßvollen, findet Kunst statt. Wer nur in dem einen oder anderen Modus unterwegs ist, kann meiner Meinung nach nichts Künstlerisches erschaffen.

prisma: Und wo mischt sich bei Ihnen das Dionysische mit dem Apollinischen?

Baum: Nicht am Ballermann, sondern eher auf privaten Feiern. Ich kann mich aber auch auf dem Münchener Oktoberfest verlieren. Da war ich die letzten Jahre immer mal eingeladen und hatte vorher nie besondere Lust zu kommen. Aber dann ist es, wie es sein muss: Man trinkt eine Maß und schon übernimmt Dionysos. Die gemeinsame Droge wird rituell geteilt, die Kapelle spielt einen Tusch, man macht das Prosit – und dann geht es los. Nach zwei Maß hat man dermaßen die Lampe an, dann tanzt man mit auf den Tischen.

prisma: Aber ist es nicht so, dass man sich in Deutschland vor dem Kontrollverlust immer noch mehr fürchtet als in anderen Ländern?

Baum: Ja, das ist so. Es gibt eine lange Historie der Lustfeindlichkeit in Deutschland. Die kommt aus dem Pietistischen, der Frömmelei, auch aus dem Preußischen. Dem hat Deutschland ja generell viel zu verdanken, es hat aber auch bis heute darunter zu leiden. Die sogenannten Sekundärtugenden – Ordnung, Fleiß, Disziplin – alles hat seine Wurzeln im Preußischen. Die Deutschen sind per se kein Volk, das sofort losfeiert. Dafür sind wir zu erstarrt. Die Deutschen brauchen die Aufforderung eines Raumes, in dem ein imaginatives Schild steht: "Du darfst dich jetzt gehen lassen!".

prisma: Konnten Sie denn am echten Ballermann drehen?

Baum: Ja, zum Teil. Es ging, weil wir sehr früh angefangen haben. Im April ist dort noch nicht so viel los, es gibt kaum Touristen. Wir haben einen Teil der Serie in Can Picafort gedreht, wo es so ähnlich aussieht wie am Ballermann. Dort war ein Teil unseres Sets. Wir drehten aber auch in El Arenal am echten Ballermann. Sogar im Sommer, als es recht voll war. Wir konnten dann einfach absperren und erzählten den Leuten, was wir drehen. Ich habe mich auch mit vielen Touristen vor Ort darüber unterhalten.

"Es ist ein historisches Feiern"

prisma: Weil die Serie vor allem im Jahr 1990 spielt, konnte man aber wohl nicht spontan als Statist mitmachen, oder?

Baum: Nein, es ist ein historischer Stoff. Alle Darsteller und Statisten mussten eingekleidet und auch angeleitet werden. 1990 feierte man noch ganz anders Partys. Es ist ein historisches Feiern, was wir da zeigen. Ich habe mich mit Sandra Borgmann, die meine Frau spielt, viel über die Feierkultur und das damalige Party-Verständnis unserer Eltern unterhalten, so wie wir das damals erlebten. Auch ins Feiern von damals musste man sich reinfühlen. Man musste den richtigen Sound finden.

prisma: Lassen Sie uns über die Grundzüge der Geschichte sprechen. Sie spielen einen Mann, der bereit ist, ziemlich gewagte und verrückte Dinge zu tun, um erfolgreich zu sein.

Baum: Er kämpft dafür, sich in seinem Leben frei entfalten zu können – ohne Limit und ohne Kompromisse. Er kommt zwar aus einem Leben, das grundsätzlich komfortabel war, in dem er sich aber wie gelähmt fühlte. Dann merkt er, dass er mehr Kraft, Fantasie und Fähigkeiten besitzt, als ihm das bürgerliche Leben anbietet. Und da beginnt unsere Geschichte ...

prisma: Es ist aber keine klassische Gangstergeschichte, oder?

Baum: Nicht vonseiten meines Charakters aus betrachtet. Er ist aber ein Charakter, der den Kampf liebt. Er hatte schon in seinem Haus im Ruhrgebiet einen Sandsack im Keller hängen, den er bis zum Erbrechen malträtiert hat. Und egal, welche Hürden man ihm in den Weg stellt, er will drüber springen. Er ist sozusagen ein Verrückter, der der Mafia vor Ort gegenübertritt und keine Angst vor ihr hat.

prisma: Gab es denn Deutsche, an denen sich Ihre Figur orientiert?

Baum: Ja, die gibt es. Figuren aus den 80er und 90er-Jahren, die im Kollektiv Pate für diesen Charakter gestanden haben. Die bewegten sich in diesem Milieu, das haben die Autoren der Serie recherchiert.

prisma: Nun haben Sie während der Dreharbeiten den Ballermann gesehen, wie er heute ist. Inwieweit unterscheidet er sich von jenem Ballermann des Jahres 1990, den Sie in der Serie erschaffen?

Baum: Heute ist natürlich alles aufgeräumter, organisierter, kommerzialisierter. Es ist ja immer so: Alles Neue ist roher, spontaner und spannender als das, was dann später daraus wird. Egal, ob man sich nun die Hippie-Bewegung, Techno oder die ersten Rocker-Clubs in den 50er-Jahren ansieht. Am Anfang war in der Regel alles aufregender. Wer in der Zeit von "Out of Africa" auf Großwildjagd ging, hatte sicher ein anderes Erlebnis, als wenn man heute mit Neckermann im Bus eine Fotosafari macht.

prisma: Ist die Serie nach sechs Folgen definitiv abgeschlossen?

Baum: Nein, das ist nicht der Fall. Man könnte die Geschichte weitererzählen.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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