ARD-Talkshow mit Anne Will

Energieökonomin rechnet mit vier mal so hohen Gaspreisen

27.06.2022, 08.18 Uhr
Claudia Kemfert stellte die Zuschauer von Anne Will auf noch deutlich höhere Gaspreise ein.
Claudia Kemfert stellte die Zuschauer von Anne Will auf noch deutlich höhere Gaspreise ein.  Fotoquelle: picture alliance / Eventpress | Eventpress Stauffenberg

Die Gaskrise wird die deutsche Bevölkerung weiter hart treffen. Bis zum nächsten Winter rechnet Energieökonomin Kemfert mit einer Vervierfachung der Gaspreise.

Bei Anne Will stehen viele Fragen im Raum: Was erwartet die Bürger und Industrie? Wo wirken die Entlastungen und, vor allem, welche Alternativen gibt es, wenn kein Gas mehr fließt? Im Studio zu Gast sind SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert, der stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP Johannes Vogel, Abteilungsleiterin Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Claudia Kemfert, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU Jens Spahn und Anna Mayr, Hauptstadtkorrespondentin "Die Zeit".

Nach Russlands Drosselung der Gaslieferung durch die Pipeline "Nord Stream 1" rief Wirtschaftsminister Robert Habeck die zweite Alarmstufe des "Notfallplan Gas" aus und machte damit deutlich: Gas sei nun ein knappes Gut und die Gaskrise real. Und in der Ökonomie weiß man, knappe Güter haben hohe Preise.

Claudia Kemfert, Abteilungsleiterin Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung hält eine Vervierfachung der Gaspreise für möglich. Ein noch verschärfteres Szenario der Gaspreisentwicklung als es ohnehin schon die Bundesnetzagentur erst kürzlich veröffentlichte. Bei Anne Will weist Kemfert darauf hin, dass es wahrscheinlich erst im nächsten Winter so brutal kommen wird. Sie empfiehlt den Haushalten deshalb jetzt schon um die 1.000 – 2.000€ extra beiseite zu legen. Eine Chance, dass die Energiepreise kurzfristig nicht weiter steigen, sieht die Energieökonomin nicht. Trotzdem seien jetzt viele Aktionen nötig, um langfristig die Gaspreise wieder bezahlbar zu machen. Ein wichtiger und eindeutiger Schritt sei, aus der fossilen Energie herauszukommen, auch wenn dies Zeit benötige. Auch der Ausbau der erneuerbaren Energien werde helfen, die Preise perspektivisch zu senken. Letztendlich muss jeder, sowohl Haushalte als auch Industrie, Gas sparen: "Je weniger man verbraucht, desto niedriger entwickeln sich die Gaspreise", so Kemfert.

Kevin Kühnert: Keine Maßnahmen mehr, um Besserverdiener zu entlasten

Nichtsdestotrotz sind gestiegene Gaspreise und die hohe Inflation so real, dass die Bevölkerung jetzt entlastet werden muss. Das von der Bundesregierung beschlossene Energie-Entlastungspaket hat daher zum Ziel, besonders schnell die Bürgerinnen und Bürger finanziell zu unterstützen, worunter allerdings die Zielgenauigkeit gelitten habe, so SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert. Die interessante Phase beginne jedoch nach dem Auslaufen der Pakete, wenn es darum gehe, mit Maßnahmen gezielt die kleinen und mittleren Einkommen zu entlasten. Der Sozialdemokrat drück sich deutlich aus: "Ich möchte keinen Maßnahmen mehr zustimmen, die Besserverdiener mit entlasten." Das "Geld verteilen mit der Gießkanne" müsse in Zukunft aufhören. Trotzdem sei das Entlastungspaket in dieser Situation schnell notwendig gewesen.

Eine weitere Frage beschäftigt die Gäste bei Anne Will. Was, wenn Gas aus Russland in Zukunft nicht nur knapp, sondern nicht mehr vorhanden sein wird? Die aktuellen Gasspeicher sind zu 60% gefüllt. Im Juli wird die Gaspipeline "Nord Steam 1" wegen Wartungsarbeiten vorübergehend kein Gas aus Russland weiterleiten. Nach 10 Tagen Wartung, so vermuten viele, könnte Putin den Gashahn geschlossen lassen. Dieses Datum ist erschreckend nah. SPD-Politiker Kühnert ist daher nicht der einzige, der die Notwendigkeit sieht, die Kohlekraftwerke vorübergehend wieder anzuschalten. Aus klimapolitischer Sicht eine schwere Entscheidung. Auch FDP-Politiker Vogel teilt die Ansicht und sagt, dass Verstromung von Gas sofort aufhören müsse, um die Speicher zu füllen. Gleichzeitig soll über alle weiteren Optionen geredet werden, wie zum Beispiel die AKW-Laufzeiten zu strecken.

Was ist mit Fracking?

"Gas Fracking", eine Technik der Erdgasförderung die bereits in den USA angewandt wird, sieht Energieökonomin Kemfert als keine Lösung für Deutschland. Man müsse in Deutschland dafür sehr tief gehen, viel Wasser und Chemikalien verbrauchen. In einem dichtbesiedelten Land wie Deutschland bewertet sie diese Technik sogar als "hochriskant". Nichtsdestotrotz bleibt laut Kemfert eine lange Liste an Möglichkeiten, die der Industrie als Alternativen zu Gas langfristig zur Verfügung stehen. Gesellschaftlich und politisch müsse man jedoch von den "Horrorszenarien" loskommen und begreifen, dass vor allem der russische Angriffskrieg in der Ukraine die Preise in die Höhe getrieben habe. Was es jetzt braucht, um die lange Liste der alternativen Möglichkeiten anzugehen, seien Anreizprogramme.

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