Fünfteilige Doku-Serie

"Capital B – Wem gehört Berlin?": Welten prallen aufeinander

03.10.2023, 10.21 Uhr
von Wilfried Geldner

Spätestens seit dem Fall der Mauer und der folgenden Wahl zur deutschen Hauptstadt wollte Berlin auch wieder "Weltstadt" sein. Emsige und ehrgeizige Politiker und Banker griffen nach dem Großstadt-Schnäppchen. Die fünfteilige Serie "Capital B – Wem gehört Berlin?" lässt Kritiker, Ex-Politiker und Investoren im neuen Berlin aufeinanderprallen.

ARTE
Capital B – Wem gehört Berlin?
Dokuserie • 03.10.2023 • 20:15 Uhr

Spätestens nach dem Mauerfall, als sich Berlin urplötzlich verdoppelte, hatten viele wieder den Weltstadt-Gedanken im Kopf. Wer an der Regierung war, der kaufte und ließ kühne Pläne entwerfen. Andere wiederum, besonders die aus dem Osten, wollten eine neue Lebensqualität für die Menschen. Brachen und Abrissbauten boten ihnen da eine neue Chance. Doch allzu oft prallten die verschiedenen Interessen hart aufeinander. Die fünfteilige Dokuserie "Capital B – Wem gehört Berlin?" des mehrfachen Grimme-Preisträgers Florian Opitz (ARTE am 03. und 04. Oktober, jeweils 20.15 Uhr) macht genau das in Statements und aufwendig gelisteten Archivaufnahmen der Stadt nachvollziehbar. Hier die einen, die nach dem Mauerfall die Chance für neue Lebensqualitäten sahen mit möglichst menschlicher Dimension, und dort die anderen, die für Berlin den Status der Weltstadt witterten, den sie mit viel Geld und erstaunlich wenigen Ideen erreichen wollten. Zurück blieben Korruptionsskandale und Milliardenschulden, für die der Steuerzahler eintreten muss.

"Größenwahn", "Absturz" und "Die Stadt als Beute" sind denn auch einzelne Folgen betitelt. – Es lässt schon mal nichts Gutes ahnen. Auch der Titel des großflächigen Opus' selbst nimmt einiges vorweg "Capital B" dürfte auf Bankgeschäfte und tollkühnes Investment verweisen. Zum Intro singt der HipHopper Peter Fox denn auch in jeder Folge die Berlin-Hymne "Schwarz zu blau", die beim morgendlichen Absturz behauptet: "Guten Morgen Berlin, du kannst so hässlich sein, so schrecklich und grau ..."

Pfitzmann-Sakko mit Krähenfüßen

Teil eins, "Der Aufbruch", lässt noch einmal die Hoffnungen miterleben, die es nach dem Fall der Mauer gab. Während die Archivkamera die alten Hausfassaden und Brachen abfährt, berichten Dabeigewesene davon, wie das damals war. Sehr unterhaltsam übrigens, weil sie, wie der Clubbesitzer Johnnie Stieler oder der Hausbesetzer Sandy Kaltenborn, auch sehr spontan und witzig sind. Kritisiert wird das Pathos des BBC-Sprechers, der das Wort "Freiheit" beim Mauerfall in seinem Einspieler gefühlte 15-mal pro Minute benutzt. Der spätere Hausbesetzer warf da einfach mal seinen Fernseher aus dem Fenster, während Johnnie Stieler die Provinzialität Berlins mit den "gelben Pfitzmann-Sakkos" samt Krähenfüßen erklärt. Schade eigentlich, dass immer wieder Politiker mit ihrer heutigen Sicht auf das Damals dazwischengehen. Allerdings: Renate Künast (AL / Die Grünen), eine wiederkehrende Hauptzeugin der fünf Teile, ist ja auch nicht auf den Mund gefallen. Gegner von damals kommen bei ihr nicht gut weg. Im Rückblick genießt sie jedoch "die turbulenteste Zeit meines Lebens".

Die "Explosion von Freundlichkeit und Kreativität", die in der Hausbesetzer- und HipHop-Szene vor allem im Osten der Stadt entstand, fand ein abruptes Ende, als der Senat die besetzten Häuser räumen ließ – mit Panzern und Wasserwerfern. 3.000 Polizisten bereinigten das despektierliche Bild, das in den Augen der Regierenden draußen in der Welt entstanden war. Es gab bürgerkriegsähnliche Szenen, bevor sich mit der Großen Koalition 1991 nach der ersten Gesamtberliner Wahl (Ablösung Walter Mompers durch Bernhard Diepgen) laut Künast "wieder dieser Mehltau" auf die Stadt gelegt hat.

Arm, aber sexy

"Wie kann man diese Stadt lebenswert machen?", wäre in der gesamtdeutschen Gründerzeit die richtige Frage für die Zukunft gewesen, sagt einer der Zeugen, und nicht: "Wie erscheint sie im internationalen Vergleich?" – Die Politiker der Großen Koalition peilten jedoch ein neues Wirtschaftswunder an. Bauten munter drauflos und träumten von der Heimholung früherer in Berlin ansässiger Firmen, die aber dann nicht kamen. Der Bau-Projektentwickler Roland Ernst bekennt im Film, in Berlin 2,6 Milliarden Euro, insgesamt im Osten Deutschlands 14 Milliarden mithilfe der Banken investiert zu haben. Eine ganz neue "Stadtentwicklung" war geplant. Viel Stoff für einen Krimi ist da enthalten.

Viel lieber lauscht man da den Erinnerungen des Technofreaks Johnnie Stieler und seiner Standortsuche für den Ostberliner Club im Keller – "Die Luft war 40 Jahre alt!". Ein anschauliches Abenteuer im Berliner Untergrund-Areal. Das alles mündet später, während noch der Berlin-Chor aus vollen Kehlen für die Bewerbung um Olympia 2.000 singt, in die Anstrengungen der Eventagentur derer von Hardenberg ein, die in den Neunzigern das Berlin-Image aufzumöbeln versuchte. Genauso viel hat sicher der nach der Diepgen-Ablösung ab 2001 regierende Klaus Wowereit mit dem viralen Slogan "Berlin ist arm, aber sexy" für dessen weltoffenes Image getan. Bis jüngst dann mit dem "Weltstadt"-Slogan "Welt.Stadt.Berlin" aufs Neue der SPD-Mann Michael Müller rüberkam. Die schwierige Gegenwart Berlins kommt bei alldem etwas zu kurz. Es ist viel Nostalgie und Vergangenheitskritik im Spiel. Aktuell sind recht eigentlich nur die Politiker-Statements und ihre Erinnerungen an eine zunächst hoffnungsvolle, dann zunehmend von Lähmung und Skandalen – etwa um den Banker und CDU-Politiker Klaus-Rüdiger Landowsky – bestimmte Neuzeit in Berlin. Aus der fünfteiligen Serie hätte – weniger breit – sicher ein spannender Doku-Krimi werden können. So aber wurde weniger eine "epische Geschichte" daraus, wie sie Opitz laut Begleitinterview vorhatte, als ein etwas breit geratenes Lehrstück über Idealismus und Größenwahn, Kapitalismus und Verdrängung der Schwächeren daraus. Die Politiker, die Bürgermeister hätten ihm fast "leid getan", sagt Opitz über seinen Film. Man könne auch "wirklich nur alles falsch machen" in dieser Stadt, die Boomtown sei und unregierbar zugleich.

Capital B – Wem gehört Berlin? – Di. 03.10. – ARTE: 20.15 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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