Fünfteilige ARD-Dokumentation

"Unparteiisch – Deutschlands Elite-Schiedsrichter": ARD-Doku deckt auf, was Schiris auf dem Platz sagen

09.08.2023, 16.31 Uhr
von Jürgen Winzer

Man kann sie hecheln hören, schimpfen, rufen, scherzen – näher dran war am deutschen Fußball-Schiedsrichter noch niemand! Die fünfteilige ARD-Dokumentation "Unparteiisch – Deutschlands Elite-Schiedsrichter" ist Fußball pur – und ein Pflichttermin für jeden Fußballfan.

"Leck mich am Ar...!", "Der Ball war abgefälscht, ohne Witz – wir sind ja nicht blöd!", "Hör mit dem Scheiß auf, sei ein Mann!" Alles O-Töne von deutschen Bundesliga-Schiedsrichtern. Aufgezeichnet wurden sie während der Fußballsaison 2022/23 für die fünfteilige Doku-Reihe "Unparteiisch – Deutschlands Elite-Schiedsrichter" von Tom Häussler. Die fünf je dreißigminütigen Folgen gibt es ab 11. August in der ARD-Mediathek zu sehen. Sie sollten Pflichtprogramm sein für jeden, der sich Fußballfan nennt.

Näher dran war noch niemand, näher geht nicht. Nicht nur, weil die Schiris bei ihren Einsätzen mit Mikro ausgestattet wurden und so jeder hören kann, was auf dem Platz gesprochen wird. Sondern auch wegen der Rundumbegleitung während einer Spielzeit, die es in sich hatte. Es gibt wirklich einmalige Einblicke in die Arbeit der Männer und Frauen in Schwarz, ihre Vorbereitung, ihre Anspannung. Ja, auch in die Angst vor Fehlern und die Ohnmacht über unberechtigte, teilweise sogar manipulierte Kritik.

Deniz Aytekin: "Da kommst du dir bescheuert vor"

In Teil vier sagt Bastian Dankert (43) nach dem Derby HSV gegen St. Pauli zu seinem Team im VAR-Keller: "Super Arbeit, Jungs, saubere Leistung." Dieses Kompliment kann man eins zu eins an die Doku-Macher weitergeben.

Die deutschen Elite-Schiedsrichter und -Schiedsrichterinnen wurden eine Saison lang begleitet. Man sieht sie im Lehrgang schwitzen, teils im Training, teils vor Nervosität, ob sie die Fitnesssprüfung bestehen. Man sieht sie relaxt bei der Vorbereitung auf Einsätze, ein bisschen angespannter unmittelbar vor Anpfiff – und echt "on fire", wenn sie auf dem Platz oder an dessen Seite agieren.

Deniz Aytekin (45) ist der Hauptakteur des Saisoneröffnungsspiels am 5. August 2022. Frankfurt gegen Bayern heißt's, und es ist gleichzeitig die 200. Bundesliga-Partie, die Aytekin pfeift. Er tut es konzentriert, aber locker. Weil Bayerns Juwel Jamal Musiala mault, er sei unfair attackiert worden, faltet ihn Aytekin kurzerhand zusammen: "Das ist viel zu wenig. Das ist doch kein Elfmeter! Spiel weiter! Das hast du nicht nötig."

Aber Respekt hat Aytekin vom Nachwuchsstar, wie er kurz darauf Thomas Müller offenbart: "Leck mich am Ar... Der Musiala ist brutal, der nimmt mir mit Ball 70 Meter ab bei einem 100-Meter-Sprint. Da kommst du dir bescheuert vor." Müller lacht. Aytekin auch. Das Spiel endet 6:1 für Bayern. Aytekin bekommt von Frankfurt sogar noch ein Jubiläumsgeschenk.

"Wir sind immer unparteiisch. Das ist unser höchstes Gut."

Dass so weitläufig Friede, Freude, Eierkuchen herrscht, wenn abgepfiffen wurde, ist seltener geworden. Kritik gab es schon immer, aber sie habe ein neues Level erreicht. Das hat auch mit den sozialen Medien zu tun. Bei Twitter erschienen Todeslisten mit Schiedsrichternamen. Sascha Stegemann (38) erhielt nach einem nicht gegebenen Elfmeter für den BVB in Bochum Morddrohungen, sodass bei ihm daheim die Polizei nach dem Rechten schaute. "Beim Abendessen. Die Kinder waren da. Die fragten, ob die Polizisten mich mitnähmen, weil ich Ärger auf Arbeit hatte."

Man wünschte sich, dass gerade die am emotionalsten (und nicht immer in vernünftigem Rahmen) mitfiebernden Fans diese Dokus sähen. Sie könnten die Leute, deren Köpfe sie oft fordern, mal aus einer völlig anderen Perspektive sehen. Eigentlich sind nämlich die Schiris die wahren Fußball-Fans. "Wir sind immer unparteiisch, das ist unser höchstes Gut. Für uns spielt immer nur A gegen B", sagt Sven Jablonksi (33), dem wurde vorgeworfen, er würde beim Lokalderby HSV gegen St. Pauli eine Fehlbesetzung sein – weil er Bremer ist.

Wut, Frustration und Ohnmacht wegen Hetzjagd gegen Schiri

Schlimmer ging es Robert Hartmann, dem unglücklichen Video Assistant (VA), der bei Bochum gegen Dortmund nicht einschritt, weil er keinen elfmeterreifen Kontakt sah. Der wurde übelst beschimpft von den Fans. Und die Medien schürten deren Wut. Es wurde ein Foto gedruckt, auf dem er ein Bayern-Geschenk entgegennahm. Er wurde damit in die Rolle eines Bayern-Fans gerückt, der mit den Nicht-Elfer für Dortmund deren Konkurrenten, die Bayern, im Meisterrennen halten wolle. Hartmann: "Das Foto war uralt. Ich hatte als Schiedsrichter lediglich in Bayern Schiedsrichter aus unteren Klassen besucht und mit ihnen geredet, um ihre Leistungen zu würdigen."

Das Foto wurde komplett aus dem Zusammenhang gerissen und Hartmann verspürte "eine große Wut, Frustration und Ohnmacht gegenüber den manipulativen Medien". Hartmann: "Ich würde nie im Leben absichtlich eine Fehlentscheidung treffen."

Erkenntnis als Zugabe: Ohne Schiri geht es nicht!

Aber alle im "Team Schiedsrichter" (Patrick Ittrich, 44: "Die Schiedsrichterei ist eine eigene Sportart!") wissen: Fehler passieren. Und sie werden weiter passieren. Das gilt auf dem Platz, nicht nur beim Thema "Handspiel, ja, nein oder doch?", und es gilt auch im Kölner VAR-Keller, für Fans beinahe ein größeres Feindbild als die FIFA-WM im Winter. Dort stehen zwar bis zu 30 Kameraeinstellungen zur Check-Verfügung um den "Point of Conntact" bei einem möglichen Foul genau zu prüfen. Aber letztlich, egal, wie oft man sich eine strittige Szene anschaut: Es ist kein Roboter, der auswertet, sondern ein Mensch, der schaut, interpretiert und entscheidet. Zwar so objektiv wie möglich – aber letztlich menschlich. Und deshalb: nicht absolut fehlerlos.

Diese 150 Minuten lohnen sich. Am 26. August (ab 22.00 Uhr) und am, 12. September (ab 23.30 Uhr) sind sie auch im Ersten zu sehen. Sie schildern die Arbeit der Unparteiischen auf bislang einzigartige Weise. Sie bringen sie dem Fan näher. Und sie zeigen ganz subtil auch auf: Ohne sie würde es einfach nicht laufen. Diese Doku zeigt wahrlich ganz großen Sport. Nämlich den derer, die das Ballgeschubse leiten.

Und wenn wieder mal ein Fan sich über einen Pfiff ärgert, ein Trainer an der Außenlinie ausrastet wie der verbal tiefst schlagende Nagelsmann ("Weichgespültes Pack!"), dann sei ihm das gesagt, was Daniel Siebert im DFB-Pokalfinale 2023 dem Leipziger Willi Orban zurief: "Hör auf mit dem Scheiß. Mach weiter. Sei ein Mann."


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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