Erinnert an finstere Zeiten

Deutschland unter Druck: Grünen-Politikerin Kaddor sieht "neue Dimension" von Antisemitismus

20.10.2023, 15.40 Uhr

Welche Auswirkungen hat der Krieg in Nahost auf das gesellschaftliche Klima in Deutschland? Zu dieser Frage stand am Donnerstag Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor (Grüne) im ZDF-"moma" Rede und Antwort. Kaddor richtete einen deutlichen Appell an die muslimische Gemeinschaft.

Nach den Angriffen der islamistischen Hamas auf Israel ist die Lage im Nahen Osten zum Krieg eskaliert. Dessen Auswirkungen sind längst auch hierzulande zu spüren – von pro-palästinensischen Demonstrationen bis zu Hauswänden, die mit dem Davidstern besprüht werden. Wie radikal die Stimmung in Deutschland mittlerweile ist, diskutierte die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor (Grüne) am Donnerstag mit Moderatorin Harriet von Waldenfels im "ZDF-Morgenagazin".

Kaddor beschrieb den aktuellen Zustand als "neue Dimension" von Antisemitismus – und das nicht nur für direkt Betroffene, sondern auch für "uns und unsere innenpolitische Situation". Die Politikerin betonte: "Im geopolitischen Gesamtkontext ist das definitiv nochmal eine Zäsur. Wenn Davidsterne auf Haustüren geschmiert werden, erinnert das an sehr finstere Zeiten." Dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ein Betätigungsverbot für die Hamas in Deutschland angekündigt hat, komme laut von Waldenfels daher zu spät.

Grünen-Politikerin Kaddor fordert "schonungslose Selbstreflexion"

Unionspolitiker forderten zuletzt rigorose Maßnahmen gegen Menschen mit antisemitischer Haltung in Deutschland. Unter anderem war aus den Reihen der Opposition zuletzt zu vernehmen, bei derlei Fällen den Flüchtlingsstatus abzuerkennen oder im Falle der doppelten Staatsangehörigkeit den deutschen Pass zu entziehen. Das sei rechtlich aber gar nicht so einfach, entgegnete Kaddor den Vorschlägen der Union und warnte davor, die aktive Beteiligung an terroristischen Aktionen mit dem Demonstrationsgeschehen gleichzusetzen.

Von Waldenfels verwies in diesem Zusammenhang auf Versäumnisse in der Vergangenheit. Antisemitische Vorfälle seien bislang häufig aus rechtsextremistischer Richtung gekommen. "Warum hat die Politik das nicht schärfer bekämpft?" Auf die Frage, ob auch die Grünen in Teilen blind gewesen seien, verwies Kaddor auf den Unterschied zwischen importiertem und hausgemachtem Antisemitismus.

Die Grünen hätten die Angelegenheit zwar durchaus nach oben adressiert, es aber teilweise in ihren Debatten auch verdrängt: "Wir führen zum Teil auch Entlastungsdebatten. Wir sagen, dann ist es der importierte Antisemitismus, wir haben eigentlich ja gar nichts damit zu tun." Lamya Kaddor forderte in diesem Zusammenhang eine "schonungslose Selbstreflexion". Es reiche nicht nur, Verbote auszusprechen. Man müsse die Demokratiebildung sowie Antirassismus-Trainings und Antisemitismus-Trainings monetär fördern.

Appell an muslimische Gemeinschaft: "Wir brauchen euch im Kampf gegen den Antisemitismus"

Kaddor engagiert sich sehr für das friedliche Zusammenleben von Muslimen und Juden in Deutschland und ist entsprechend rege im Austausch mit muslimischen Organisationen: "Viele haben inzwischen die Einsicht: Ja, wir haben uns nicht eindeutig genug positioniert." Ihre Forderung an die muslimische Gemeinschaft lautete deshalb: "Wir brauchen euch im Kampf gegen den Antisemitismus!" Diesen Aufruf nutzte Moderatorin von Waldenfels dazu, an die gesamte Gesellschaft zu appellieren. In diesen Tagen sei es enorm wichtig, zu differenzieren: "Nicht alle Palästinenser sind Hamas-Anhänger, und nicht alle Muslime sind Islamisten!"

Viele Menschen würden sich laut der Grünen-Politikerin hinter der folgenden Aussage verstecken: "Ich habe kein Problem mit Juden oder Jüdinnen, aber der Staat Israel ..." Man müsse aber gleichzeitig auch aufpassen, in diesem Diskurs nicht islamfeindlich zu handeln. Dass "alle möglichen Menschen" auf die Straße rennen, zeige laut Kaddor, wie der Nahost-Konflikt hierzulande überideologisiert wird. "Jeder hat gewisse Anteile und meint, das muss mich jetzt auf die Straße treiben. Auch da müssen wir für Aufklärung sorgen!"


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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