Doku "Europa glüht"

Europa am Hitzekollaps: ARTE-Doku warnt vor apokalyptischen Zuständen

01.06.2024, 09.19 Uhr

In der neuen ARTE-Doku 'Europa glüht' sprechen Wissenschaftler über die dramatischen Folgen des Klimawandels. Sie zeichnen ein düsteres Bild der Zukunft Europas, geprägt von extremen Hitzewellen und apokalyptischen Zuständen in unseren Städten.

Die Welt wird eine andere sein

Wenn wir demnächst wieder ächzen werden unter einer Hitzeglocke, die sich quälend lang über unser Dasein legt, wird manch einer vielleicht die Worte des Umweltwissenschaftlers Fernando Valladares im Ohr haben. "Dieser Sommer", sagt der Spanier in einer aktuellen TV-Dokumentation, "ist höchstwahrscheinlich der kühlste unseres restlichen Lebens". Eine Verheißung ist das natürlich nicht.

"Europa glüht. Wie Hitzewellen unser Leben verändern" heißt der Film der HR-Journalisten Mike Plitt und Petra Thurn, den ARTE am späten Samstagabend (1. Juni, 22.40 Uhr) ausstrahlt. Er zeigt recht schonungslos auf, was auch die Mitteleuropäer erwartet, je nachdem ob und wann es gelingt, die Klimaerwärmung zu stoppen. Zum cool bleiben eignen sich die von Fachleuten erörterten Szenarien kaum.

Wichtig zu verstehen sei, "dass Hitzewellen nicht linear mit der Erwärmung zunehmen, sondern stark überproportional", warnt im Film der Schweizer Klimaphysiker Erich Fischer von der ETH Zürich. Sollten die Pariser Klimaziele verpasst werden, ergeben sich daraus katastrophale Hitze-Prognosen. Temperaturen bis 50 Grad seien in Mitteleuropa bis Mitte des Jahrhunderts möglich. Schon jetzt sei Westeuropa weltweit betrachtet der Ort, "an dem die Hitzewellen in den letzten 30, 40 Jahren am stärksten zugenommen haben".

Hitzesommer 2003: "Es spielten sich kriegsähnliche Szenen in Paris ab"

Den Einwohnerinnen und Einwohnern von Paris dürfte erstmals vor gut 20 gedämmert haben, was das bedeuten kann. "Man konnte nachts kaum schlafen, es gab mehr Tote als sonst, aber es hielt sich im Rahmen", erinnert sich François Michael Néraird, ehemaliger Direktor der Pariser Bestattungsdienste, an den Hitzesommer 2003. "Dann passierte etwas absolut Unglaubliches: Sterben normalerweise 38 Menschen an einem August-Tag, waren es innerhalb von nur drei Tagen 650 Tote – das entspricht in etwa drei Flugzeugabstürzen. So etwas hatten wir noch nie erlebt."

Die meisten Toten habe es unter Zinkdächern im sechsten oder siebten Stock gegeben – die Wohnungen seien zu regelrechten Öfen geworden. Leichen wurden in Kühltransportern gelagert. Der damalige Bestattungsdienste-Direktor: "Es spielten sich kriegsähnliche Szenen in Paris ab." Entsprechend sorgenvoll blickt er in die Zukunft: "Ich wage nicht, mir Paris bei 50 Grad vorzustellen. Es wäre unbewohnbar."

Aber was ist mit der viel beschworenen Anpassungsfähigkeit der Menschen? War sie nicht schon immer ein Überlebensgarant unserer Spezies? Biologisch betrachtet gibt es Anlass zu großer Skepsis. Die Forschung weiß längst: Bei Hitze neigen Menschen zu Fehlern, Ungeduld und Aggression.

Etlichen Gebieten der Erde droht die Unbewohnbarkeit

Noch genauer wollte es die Amsterdamer Humanphysiologin Lisa Klous wissen. Sie setzte Testpersonen in eine Klimakammer. Das Ergebnis: Akklimatisierung funktioniert nur bei trockener Hitze und auch nur in Grenzen. Bei schwüler Hitze bleibt der Kühlungseffekt des Schwitzens aus und die sogenannte Körperkerntemperatur steigt an. "Dann wird's richtig gefährlich."

Die Folge: Etlichen Gebieten der Erde droht die Unbewohnbarkeit. Etwa Teilen der Karibik, Mexikos und der Vereinigten Staaten. Die Temperaturen "werden noch viel problematischer in Ländern wie Pakistan, Indien, im tropischen Asien, wo die tödlichen Schwellenwerte der Menschen bereits erreicht sind", mahnt der spanische Umweltwissenschaftler Valladares. "Diese Bedingungen treiben Millionen von Menschen in die Migration." Bis Ende des Jahrhunderts könnten seinen Berechnungen zufolge 1,5 Milliarden Menschen alleine in Südasien gezwungen sein, ihre Heimat zu verlassen.

In Europa tut der nicht mehr zeitgemäße Städtebau ein übriges – auch in Sachen sozialer Klima-Ungerechtigkeit. Valladares: "Es sind die Ärmsten der Gesellschaft, die dort leben, wo es am wenigsten Bäume gibt und der Beton besonders heiß ist."

Zahlreiche Menschen sehen die kommende Gefahr nicht

"Unsere Großstädte sind regelrechte Hitzefallen", hat auch der französische Physiker Roland Pellenq erkannt. Paris ist eine einzige Wärmeinsel. Der Grund sei die städtische Dichte, aber auch die Architektur: "Wir haben überall die gleichen fünfstöckigen Gebäude mit der gleichen Straßenbreite." Unter solchen Bedingungen greife eine verheerende "thermische Kopplung". Bereits jetzt gibt es in Paris ein umweltfreundliches Kraftwerk zur Kälteversorgung. Ein 90 Kilometer langes Netz kühlt Museen, Einkaufszentren und Hotels und soll weiter anwachsen. Demgegenüber ist eine gewachsene Städtearchitektur nicht leicht zu korrigieren.

Das sind die Folgen immer neuer Hitzerekorde auch nicht. Ein spanischer Olivenbauer spricht vor der Kamera von existenzbedrohenden Ernteausfällen. Die Ozeanografin Karina von Schuckmann erläutert, wie marine Hitzewellen das Ökosystem der Meere gefährden. Die durch die Aufnahme von CO2 erzeugte Erwärmung sei "für Tausende Jahre unumkehrbar". Auch der Zusammenhang von Hitzewellen und Überschwemmungen wird anschaulich erklärt.

Da verwundert die Gelassenheit, mit der viele auf die unheilvolle Entwicklung zu blicken scheinen. "Wir neigen dazu zu denken, dass wir vor ihnen weglaufen könnten oder dass sie uns nicht betreffen", genau das mache Hitzewellen so gefährlich, hat Umweltwissenschaftler Fernando Valladares erkannt. Der Forscher gesteht: Als Mensch gerate er manchmal in Panik und müsse kämpfen, um optimistisch zu bleiben. Er sage sich dann: "Es ist nicht sicher, dass es eine Apokalypse geben wird. Wir müssen diese kleine Chance wahren, die zwar immer kleiner wird, aber die noch nicht bei null liegt."


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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