"Precht"-Talk

Forscherin warnt vor Zukunft mit KI: "Dann fliegt unsere Gesellschaft auseinander"

04.06.2023, 11.36 Uhr
von Julian Weinberger

In seiner ZDF-Talkshow "Precht" begrüßte Richard David Precht die Kulturwissenschaftlerin Mercedes Bunz. Die Forscherin erklärte die menschliche Angst vor Maschinen und warf einen Blick in die Zukunft mit KI. "Kann ich ChatGPT vertrauen?" – "Nein, auf keinen Fall."

Barack Obama und Angela Merkel beim gemeinsamen Strandausflug, der Papst in modischer Puffer-Jacke und Texte, die so scheinen, als würden sie sich von selbst schreiben: Künstliche Intelligenz und der Einsatz derselbigen ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen – spätestens, seit die Sprachsoftware ChatGPT seit November 2022 für die Öffentlichkeit zugänglich ist. Was einerseits lustige Bilder und unterhaltsame Texte generiert, hat aber auch eine ernste Komponente: Werden viele Jobs wegen KI bald überflüssig? Wie lässt sich eine Welle von Fake-News und -Bildern verhindern? Und wie lässt sich KI kontrollieren?

Um diese Fragen und mehr zu klären, begrüßte Richard David Precht in seiner ZDF-Talkshow "Precht" (ab sofort in der ZDFmediathek, Sonntag, 4. Juni, 23.45 Uhr, ZDF) die Kulturwissenschaftlerin Mercedes Bunz zum Gespräch unter dem Motto "Kein Platz mehr für den Menschen – Macht KI uns überflüssig?". "Ich glaube, die Angst, die wir vor den Maschinen haben, ist die Angst, dass wir uns in ihnen selber spiegeln", vermutete die Wissenschaftlerin. "Wir haben Angst, dass die sich so verhalten wie wir, also die Welt zu beherrschen." Doch es sei ein Trugschluss, die weitere Entwicklung der KI mit der Evolution von Menschen gleichzusetzen, sagte Bunz.

"Bitte auf keinen Fall als Suche benutzen, es ist nicht das nächste Google!"

Gastgeber Richard David Precht merkte derweil kritisch an, "dass wir in der Diskussion über die Möglichkeiten und Gefahren von KI ständig dabei sind, uns vor Geistern zu fürchten". Bunz schloss sich dem an und ergänzte: "Diese große Furcht ist absurderweise etwas, in dem sich die Menschen verstecken." Das mulmigste Gefühl habe sie im Hinblick auf die Menschen selbst, räumte die Wissenschaftlerin ein: "Diesen Willen der Menschen, doch gerne Sachen abzugeben und sich nicht mehr verantwortlich zu fühlen, halte ich bei Künstlicher Intelligenz für das größte Problem."

Zwar nannte sie ChatGPT eine "große Revolution", doch man dürfe nicht einer Fehlannahme verfallen: "Bei ChatGPT kann ich alle nur warnen: Bitte auf keinen Fall als Suche benutzen, es ist nicht das nächste Google!" Das liege schlichtweg daran, dass der Sprachgenerator nicht zwischen Fiktion und Fakten unterscheiden könne. Das führte Precht in der Konsequenz zur kritischen Nachfrage: "Kann ich ChatGPT vertrauen?" Mercedes Bunz entgegnete unmissverständlich: "Nein, auf keinen Fall."

Das Aufkommen einer "Kultur des Misstrauens"

Permanente Skepsis würde eine "Kultur des Misstrauens" befeuern, befürchtete der Philosoph. Das wiederum veranlasste den Gastgeber zu einem Gedankenspiel: "Wenn ich im Zeitalter der unendlichen Manipulierbarkeit lebe und eigentlich nichts mehr glaube und grundsätzlich nicht mehr vertraue, dann wage ich die Prognose, fliegt unsere Gesellschaft auseinander."

Daneben warf Precht die Frage auf, welche negativen Auswirkungen eine Verbesserung von Maschinen hinsichtlich der Texterstellung auf die Fähigkeiten von Menschen, Texte zu schreiben, habe. "Schreiben ist das, was uns von Tieren unterscheidet", betonte der 58-Jährige. Verkümmere diese Fähigkeit, würden ganz andere Konsequenzen drohen als etwa bei der Rechenfähigkeit, die zunehmend von Computern oder Taschenrechnern übernommen wird.

"Dass wir jetzt denken, der Effekt ist automatisch, dass der Mensch per se verkümmert, weil er das nicht mehr praktiziert, das denke ich nicht", hielt Bunz diesem düsteren Blick in die Zukunft entgegen. "Jeder, der einen inneren Erbsenzähler hat, hat eine sehr große Zukunft." Schließlich brauche es bei allen maschinell erstellten Texten einen Faktencheck – und den könne keine Künstliche Intelligenz übernehmen.

Expertin moniert fehlende "gesellschaftliche Vision" bei KI

Trotzdem übte auch die Wissenschaftlerin Kritik an Künstlicher Intelligenz beziehungsweise dem aktuellen menschlichen Gebrauch derselben. "Haben wir eigentlich eine Vision, Künstliche Intelligenz nicht nur für Business einzusetzen?", bemerkte sie und wies auf die in ihren Augen fehlende "gesellschaftliche Vision" hin. Dabei habe sich KI schon jetzt zu einer gesellschaftlichen Macht entwickelt, die mit der Tragweite politischer Entscheidungen vergleichbar sei. Umso besorgter war Bunz aufgrund "sehr langsam" entstehender Kontrollmechanismen.

Zum Abschluss der 45-minütigen Sendung wollte Richard David Precht von seinem Gast wissen: "Kann es sein, dass eine unglaublich moderne Technologie uns gleichzeitig gesellschaftlich aufhält, weil sie auf bekanntem Wissen beruht?" Das wollte Mercedes Bunz nicht so stehen lassen. "Wir sind hoffentlich so klug, die Maschine nur einzusetzen, wenn wir nichts Neues von ihr wollen", so die Expertin, die mit den Worten schloss: "Ich glaube nicht, dass wir uns mit Künstlicher Intelligenz langweilen werden, sie wird uns schon überraschen, aber sie wird uns nichts Neues bringen."


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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