Film im Ersten

"Honecker und der Pastor": Ein Sozialist beim Tischgebet

21.03.2022, 08.08 Uhr
von Maximilian Haase

Kaum zu glauben, aber dieser Film basiert auf einer wahren Geschichte: Nach dem Mauerfall nahm ein Pastor Erich und Margot Honecker bei sich auf - aus reiner Nächstenliebe. Jan Josef Liefers hat die skurrile Anekdote verfilmt.

ZDF
Honecker und der Pastor
Dramedy • 21.03.2022 • 20:15 Uhr

Es ist eine der bemerkenswertesten Episoden der Wendezeit – und war bislang doch weitgehend unbekannt: Nachdem der Mauerfall 1989 das Ende der DDR besiegelt hatte, fanden sich der ehemalige Machthaber Erich Honecker und seine Frau Margot plötzlich auf der Straße wieder. Die Funktionärssiedlung in Wandlitz war aufgelöst, die SED-Genossen um Hans Modrow wollten dem Ehepaar keine sichere Unterkunft bereitstellen. Nur einer zeigte Erbarmen, wortwörtlich: Ausgerechnet ein evangelischer Pastor gewährte im Januar 1990 jenen Unterkunft, die jahrzehntelang auch für die Unterdrückung der Kirche verantwortlich waren. Wie die gläubige Familie die überzeugten Sozialisten im brandenburgischen Pfarrhaus aufnahm und damit vor dem weltgeschichtlichen Chaos draußen beschützte, hat kein Geringerer als Jan Josef Liefers nun in "Honecker und der Pastor" verfilmt.

"Wie ein Märchen" sei ihm die Episode erschienen, lässt sich der "Tatort"-Star zitieren, der in der Produktion für ARTE und das ZDF Regie führte. Und ein wenig märchenhaft hat Liefers seinen Film auch inszeniert: als unterhaltsames wie informatives Kammerspiel, das in seinen komischen Momenten als Familien-Dramedy und in seinen düsteren als historischer Thriller funktioniert.

Den großen Umbruch im Kleinen spiegeln zu lassen, ist alles andere als einfach. Dass "Honecker und der Pastor" diese Herausforderung meistert, liegt einerseits am eindrücklich recherchierten Drehbuch von Historien- und Krimimeister Fred Breinersdorfer ("Elser"), der neben anderen Zeitzeugen auch den echten Pfarrer Uwe Holmer befragte – was allein schon deshalb bemerkenswert ist, weil dieser eigentlich keine Interviews mehr zu geben pflegt. Zum anderen entpuppt sich die Besetzung als überaus dankbar: Edgar Selge verkörpert einen glaubhaften Honecker, den er bis ins Detail studiert zu haben scheint und nur an den richtigen Stellen überzeichnet – es hätte sogar ein wenig mehr saarländischer Singsang sein können. Immer, wenn der Film ins Karikaturhafte abzugleiten droht, bekommt er wieder die Kurve.

Herausragend auch Barbara Schnitzler als Margot Honecker, deren gefürchtete Resolutheit und Strenge den Zuschauer bisweilen zittern lässt. "Erich, du musst jetzt mal die Gusche halten, wenn ich dir den Blutdruck messe", weist sie an einer Stelle ihren schon sehr kranken Gatten zurecht. An der schmalen Grenze zwischen Ehe-Humor und historischer Korrektheit wird illustriert, welche gewichtige Rolle die ehemalige DDR-Bildungsministerin im "Arbeiter- und Bauernstaat" einnahm.

Gegensätze sorgen für beste Film-Unterhaltung

All das funktioniert auch deshalb so gut, weil die Kontraste film- und unterhaltungsgerechter kaum sein könnten: Die gescheiterten Machthaber am Abendbrottisch des (übrigens im Studio komplett nachgebauten) Pfarrhauses im Örtchen Lobetal im Norden von Berlin; die strammen Sozialisten, die dem Gebet des Pastors beiwohnen müssen; die Spaziergänge am einsamen See vor der Christusstatue, bei denen über Politik, Moral, Schuld und die Verhältnisse in der DDR diskutiert wird.

Hans-Uwe Bauer gibt einen zweifelnden und doch von seinem Handeln überzeugten Pfarrer Holmer, den tatsächlich vor allem eines angetrieben zu haben schien: "Wenn wir Barmherzigkeit predigen, müssen wir sie auch leben." Das nimmt man ihm übel: Der Film zeigt, wie nicht nur die internationale und Springer-Presse das Haus belagert, sondern auch, wie der Pastor Morddrohungen erhält; wie sich vor dem Pfarrhaus ein Mob formiert, der mit Fackeln erst Knast für die Ex-Machthaber fordert – und bald auch: "Honecker an die Wand!" "Ihr schützt einen Verbrecher", schreit eine der Demonstrantinnen. "Wir nehmen ihn als Menschen auf, nicht als Verbrecher", versucht sich Holmer an einer Rechtfertigung.

"Honecker und der Pastor" zeichnet, auch das ist gewagt, ein ziemlich differenziertes Bild der geschassten und verhassten Machthaber. Dämonisiert wird kaum, bisweilen menschelt es sehr. So lässt Liefers seine Margot Honecker nicht nur davon berichten, wie es denn so war, als einzige Frau in der ansonsten rein männlichen Machtriege ("Ich musste kämpfen, jeden Tag"), sondern auch davon, wie ihr Vater einst im Konzentrationslager litt und wie ihr jüngstes Enkelkind aufgrund eines Virus ums Leben kam. Auch begegnet man Tochter Sonja (Pauline Knof) und dem in Chile geborenen Enkel Roberto (Levi Eisenblätter), die Besuche im Pfarrhaus abstatten, von den neuesten Honecker-Witzen berichten und sich schließlich gen Südamerika verabschieden, wohin ihnen das Diktatorenpaar bald folgen sollte.

Nervös kreisende Kameras kontrastieren die bisweilen heitere Kammerspielszenerie, in der die Honeckers mal den Pfarrerssöhnen im Handtuch auf dem Flur begegnen, mal angespannt Fernsehreportagen über sich selbst schauen. Außen sieht man ein etwas verzanktes Paar, "in ihren Köpfen aber tobt ein Krieg, da geht es auf zum letzten Gefecht", wie es Regisseur Liefers ausdrückt.

Mitleid ist nicht angebracht

Immer, wenn beim Zuschauer so etwas wie Mitleid aufkommt mit den "Ausgestoßenen", die es ja vielleicht doch alles nur gut gemeint haben, ruft der Film in Erinnerung, welches Leid sie zu verantworten hatten: "Wegen Ihnen konnte keiner meiner Geschwister Abitur machen", sagt eines der Pfarrerskinder zu den ungebetenen Gästen.

Besonders eindrücklich auch der bewegende Monolog einer jungen Frau, die den Pastor in einer Talkshow damit konfrontiert, wie sie in einem sogenannten Jugendwerkshof in der DDR gedemütigt und entmündigt wurde. Vielleicht habe Honecker von derlei Grausamkeiten ja nichts gewusst, spielt der Film auf eine gern kolportierte Verteidigung des Staatsoberen an – hätte der nicht sonst alles sofort verändert? "Ich war bestens informiert", entkräftet der Film-Honecker diese Legende. "Wer nichts zu verbergen hatte, hatte auch nichts zu befürchten", sagt er einen weiteren typischen und bis heute weitverbreiteten Satz. Ob es denn gar nichts zu zu bereuen gäbe, wird Honecker in einer Szene gefragt. Seine Antwort: "Fehler werden überall gemacht."

"Honecker und der Pastor", aus Sicht des jüngsten Sohnes Kornelius (Ilja Bultmann) erzählt, der heute ebenfalls als Pfarrer in Bamberg lebt, spielt mit der Fallhöhe, die das insgesamt zehnwöchige Asyl der Honeckers im Pfarrhaus mit sich bringt. Und erlaubt sich dabei einige Spielereien: Das Innenleben der Honeckers, geprägt von einer paranoiden Psyche, zeigt sich nicht nur in pointierten Dialogen, sondern auch in wahnhaften Visionen.

Prahl, Loos und Krömer spielen kleinere Rollen

Derweil wird die Außenwelt oft komödiantisch nähergebracht: Für die Rolle des (in Sachen Handlung allerdings fast überflüssigen) "Herrn Schimke", Bewohner eines Heims für geistig behinderte Menschen in Lobetal, konnte Liefers seinen "Tatort"-Partner Axel Prahl gewinnen. Wie er den sensationsgeilen West-Reportern für eine Schachtel Kippen intime Details verspricht, ist wohl auflockernd gemeint, wirkt aber bisweilen fehl am Platz. Liefers' Partnerin Anna Loos gibt dagegen die herrlich übertrieben und wohl dadurch erst realistisch gezeichnete Konsumverkäuferin, die mit ihrem Kollegen (nicht minder genial: Kurt Krömer) über die Honeckers lästert.

Zwischen Familiendrama, historischem Thriller und einer angemessenen Portion Humor gibt sich "Honecker und der Pastor" an den meisten Stellen klug und informiert, klare Gewissheiten bekommt man indes nur selten vorgesetzt. Liefers und Breinersdorfer beweisen mit ihrem Film, dass man über 30 Jahre nach der Wiedervereinigung auch im Fiktionalen weitaus differenziertere Diskurse abbilden kann, als dies bei bundesrepublikanischen DDR-Stoffen sonst Usus ist. Vor allem aber auch, dass das höchst charmant und unterhaltsam geschehen kann.

Premiere feiert die sehenswerte History-Family-Dramedy vor der ZDF-Ausstrahlung bereits am Freitag, 18.3., 20.15 Uhr bei ARTE. Aam Sonntag, 20.3., zeigt das ZDF um 23.45 Uhr Fred Breinersdorfers Film "Honecker und der Pastor – Die Dokumentation", der die wahren Ereignisse näher beleuchtet.

Honecker und der Pastor – Mo. 21.03. – ZDF: 20.15 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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