ARD-Dokumentation "Mein Italien unter Meloni"

"Es gibt noch viele Faschisten": Zamperoni-Doku zeigt, wie gespalten Italien wirklich ist

19.09.2023, 15.13 Uhr
von Franziska Wenzlick

Was hat sich seit Giorgia Melonis Wahl zur Ministerpräsidentin geändert? Ist die italienische Demokratie gefährdet? Und wie weit klaffen die Meinungen in der Bevölkerung auseinander? – In einer neuen Reisereportage suchte Ingo Zamperoni nach Antworten. Dafür traf er Familienmitglieder, Freunde und alten Bekannte.

Jahr für Jahr verbringen Millionen deutscher Touristen ihren Sommer in Italien. Für Ingo Zamperoni hingegen ist der Stiefel Europas weitaus mehr als ein bloßes Urlaubsziel: Der "Tagesthemen"-Anchor und Sohn eines Italieners fühlt sich eng mit Italien verbunden, auch, weil ein großer Teil seiner Familie dort lebt.

Seit vergangenem Jahr blickt der 49-Jährige jedoch mit gewachsener Sorge auf das Geburtsland seines Vaters: Im Oktober 2022 gewann Giorgia Meloni nach dem Rücktritt ihres Vorgängers Mario Draghi die Parlamentswahl. Fast ein Jahr ist vergangen, seit die Vorsitzende der landläufig als "postfaschistisch" eingestuften Partei Fratelli d'Italia als Ministerpräsidentin vereidigt wurde.

Seither bilden die "Brüder Italiens" gemeinsam mit der rechtskonservativen Lega sowie der Forza Italia des kürzlich verstorbenen Silvio Berlusconi die Regierung. Um herauszufinden, wie die Bevölkerung das erste Jahr unter Meloni erlebt hat, reiste Zamperoni für die am Montagabend gesendete ARD-Dokumentation "Mein Italien unter Meloni" quer durch das gesamte Land.

Diese Italien-Wahl war eine "Zäsur"

"Ich möchte verstehen, woher dieser Rechtsruck kommt, welche Auswirkungen er mit sich bringt und wie die Menschen in Italien damit umgehen", sagt der Journalist, der in Wiesbaden geboren wurde und sowohl die deutsche als auch die italienische Staatsbürgerschaft besitzt.

Zamperonis "sehr persönliche filmische Reise durch Italien" beginnt am Lago Maggiore. Dort spricht er mit seinem Vater Gianni. "Die Fratelli d'Italia sind einfach rechts positioniert", erklärt dieser – so "faschistisch", wie man in Deutschland annehme, sei die Partei jedoch nicht unbedingt. Nichtsdestotrotz stimmt Gianni Zamperoni der Aussage seines Sohnes zu, die Wahl sei eine "Zäsur" gewesen.

Anders sieht dies Zamperonis Cousine Paola. Sie lebt in Venezien, einer der wohlhabendsten Regionen Italiens, und war dort in der Vergangenheit sogar Gemeinderätin für die Lega. "Es gibt eine ideologische Rechte. Das kann einen zu Recht beunruhigen. Und dann gibt es eine wirtschaftliche Rechte. Letztere hat diese Regierung gewollt", erklärt Paola. "Das sind vor allem Handwerksbetriebe, Selbstständige. Hier haben sie haushoch gewonnen. Wir sind zutiefst konservativ."

"Ich glaube sehr an die neue Regierung"

Mit den Wahlergebnissen im Vorjahr sei sie zufrieden gewesen, Giorgia Meloni nehme sie gerne in Kauf. "Es gibt ein altes Sprichwort: Wer die Brücke überqueren will, muss manchmal mit dem Teufel gehen", fährt die überzeugte Lega-Anhängerin fort: "Wir wollten an die Macht." Nun müsse jedoch auch etwas passieren – denn "unserem Land", findet Paola, "geht es nicht gut".

Und tatsächlich: Italien, so erfuhr man am Montagabend in der 45-minütigen Reportage, hat unter anderem mit hoher Staatsverschuldung, niedrigen Geburtenraten und zunehmender Jugendarbeitslosigkeit zu kämpfen. Viele Bürgerinnen und Bürger glauben, Meloni könne all diese Probleme beheben.

Auch Antonio Brugnatti, Betreiber eines Strandbads an der Adria und alter Bekannter der Familie Zamperoni, hat Meloni gewählt – aus Überzeugung: "Ich glaube sehr an die neue Regierung. Weil ich Veränderungen sehe, auch für uns Strandbadbetreiber." Vor allem die Rhetorik der Ministerpräsidentin sage ihm zu. "Wenn Meloni spricht, gibt sie einem das Gefühl, dass eines Tages wirklich Gutes passiert", erklärt Brugnatti.

Ingo Zamperoni trifft auf Meloni-Gegner und -Anhänger

Nicht alle teilen diese Einschätzung. Zamperonis Kindheitsfreundin Stefania etwa hält nicht viel von Meloni. In ihrer Heimatstadt Bologna teilt sie ihre Sorgen mit dem Journalisten: "Ich möchte an einem Ort leben, an dem ich anders sein darf, an dem Toleranz herrscht. Das sehe ich bei denen nicht. Ihre Art zu denken macht mir Angst."

Während Zamperoni selbst immer wieder die fehlende Erinnerungskultur und mangelnde Auseinandersetzung mit der faschistischen Vergangenheit Italiens als möglichen Grund für Melonis Wahl in den Raum stellt, sieht Stefania die Ursachen für den Rechtsrutsch an anderer Stelle: "Für mich lag es an der Linken. Denn sie haben aufgehört, mit den Menschen zu sprechen."

Der Journalist Aldo Cazzullo hingegen bestätigt die These des Moderators: "Es ist nicht so, dass die Mehrheit der Italiener Mussolini nachtrauert. Aber es gibt noch viele Faschisten und viele, meiner Meinung nach die Mehrheit, die kein negatives Bild vom Faschismus haben." Die Ministerpräsidentin will Cazzullo trotzdem nicht in eine Reihe mit Mussolini stellen: "Das ginge eindeutig zu weit und wäre unfair. Dass sie gewählt wurde, liegt nicht daran, dass sie postfaschistisch wäre."

Vielmehr sei derzeit eine "Revolte gegen die Eliten, das Establishment, das System" zu beobachten – von rechts. Dies sei auch in Ländern wie den USA oder Großbritannien der Fall. Grund zur Sorge gebe die politische Lage in Italien laut Cazzullo zwar durchaus. Dennoch stellt er klar: "Im Moment gibt es in Italien keine Gefahr, dass der Faschismus wiederkommt. Dinge wiederholen sich nie auf die gleiche Weise."

"Mein Italien unter Meloni" ist in der ARD Mediathek abrufbar. Der Film, der in Zusammenarbeit mit der italienisch-deutschen Dokumentarfilmerin Daniela Agostini entstand, ist nach "Trump, meine amerikanische Familie und ich" (2020) und "Trump, Biden, meine US-Familie und ich" (2022) bereits die dritte, abermals äußerst private Auslandsreportage Zamperonis.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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