Kultur, Krawall und Klassiker: So hat "aspekte" die Medienwelt geprägt





Seit 60 Jahren ist "aspekte" das kulturelle Flaggschiff des ZDF – immer nah dran an Kunst, Literatur, Musik und gesellschaftlichen Debatten. Die Sendung begleitet das Kulturgeschehen und setzt Impulse. Mit legendären Formaten wie Das Literarische Quartett hat "aspekte" Pionierarbeit geleistet, mit dem Wechsel vom Studio zur Reportage neue Wege beschritten. Die Jubiläums-Doku "Kultur, Krawall und Klassiker – das Beste aus 60 Jahren aspekte" lässt nun die Zeit Revue passieren. Das ZDF hält die launige Jubiläumsfolge ab Donnerstag, 25. September, im ZDF-Stream bereit, am Freitag, 3. Oktober, ist sie um 0.35 Uhr, im ZDF-Hauptprogramm zu sehen.
Moderatorin Katty Salié bringt gemeinsam mit Jo Schück und Salwa Houmsi unter dem Titel aspekte Kultur und Reportage zusammen. Dabei trifft sie auf Kulturschaffende aus Kunst und Musik, blickt auf die Welt der Literatur, des Kinos sowie des Theaters und findet heraus, was die Gesellschaft bewegt. Im Interview spricht sie über sechs Jahrzehnte Kulturgeschichte: über das Publikum, über Veränderungen im Format und darüber, warum Kultur für sie nicht nur Leidenschaft, sondern ein gesellschaftlicher Auftrag ist.
prisma: 60 Jahre aspekte – wie fühlt sich das an?
Katty Salié: Für mich ist es tatsächlich ein doppeltes Jubiläumsjahr: Ich selbst bin im Mai 50 geworden, und "aspekte" feiert nun seinen 60. Geburtstag. Das heißt, das Format war schon auf Sendung, lange bevor ich überhaupt geboren wurde – eine beeindruckende Kontinuität.
prisma: Die Welt hat sich inzwischen gewandelt. Heute konkurriert ein Format wie "aspekte" mit Podcasts, Streaming und Social Media. Wie behauptet sich die Sendung in dieser neuen Medienwelt?
Salié: Ich glaube, Leidenschaft, Herzblut und Stetigkeit sind unsere größten Stärken. Wir bieten im linearen Programm eine Dreiviertelstunde Kultur – das ist ein echtes Pfund. Unser Vorteil ist, dass wir als monothematische Kulturreportage tief in Themen eintauchen können. Dabei ist die Kunst, trotzdem zu unterhalten, und das schaffen wir.
prisma: Was ist das Erfolgsrezept?
Salié: Wir passen unser Format immer wieder an den Zeitgeist an und erreichen durch unser Streamingangebot ein zusätzliches Publikum. Parallel entstehen in der Kulturredaktion ständig neue Formate wie beispielswese "13 Fragen", ein Debattenformat von ZDFkultur, das eine jüngere Zielgruppe anspricht.
"Wir haben natürlich einen Bildungsauftrag"
prisma: Im Moderatorenteam von "aspekte" arbeiten mehrere Generationen zusammen. Wie wirkt sich das aus?
Salié: Es ist sehr bereichernd. Salwa Houmsi ist die Jüngste in unserem Moderatoren-Team. Aber auch hinter der Kamera sind mehrere Generationen vertreten. In der Kulturredaktion Berlin, die neben "aspekte" auch andere Formate wie "Kulturzeit" für 3sat beliefert, arbeiten etwa 20 bis 25 feste Kolleginnen und Kollegen, ergänzt durch freie Produktionsfirmen oder Mitarbeitende. Gemeinsam strukturieren wir die Dramaturgie, fahren zu Drehs und entwickeln so eine klare Handschrift. Bei genauem Hinsehen kann man die individuellen Stile erkennen.
prisma: Welche Funktion hat eine solche Kultursendung in der heutigen Zeit?
Salié: Wir haben natürlich einen Bildungsauftrag, denn Kultur gehört definitiv zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk dazu. Ich persönlich finde, sie ragt in jedes Leben. Man muss nur offen dafür bleiben, was die Menschen unter Kultur verstehen. Dementsprechend haben wir einen recht weit gefassten Kulturbegriff, und das finde ich sehr schön. Wir behandeln oft gesellschaftliche Fragen, nehmen Diskurse auf, stoßen sie aber auch gerne an. Wir wollen ein bisschen wie Trüffelschweine in der Kulturlandschaft sein, die Neues entdecken und vielleicht auch einen Trend erspüren und somit eine Art Impulsgeber sein.
prisma: Wie wählen Sie die Themen für Ihre Sendung aus?
Salié: Am Jahresende planen wir in großen Themenkonferenzen voraus. Dabei geht es nicht nur um Jubiläen und Jahrestage in der Kulturszene – es ist weit mehr als das. Wir setzen selbstständig Akzente und bewegen uns am Puls der Zeit. Auf diese Weise bleiben wir flexibel und können auf aktuelle Entwicklungen reagieren. Diese Kombination aus Relevanz und Zeitgeist lässt uns dann manchmal sogar zum Vorreiter werden. Wir hatten jetzt zum Beispiel das Thema "Der Mensch und die KI – Wer beherrscht hier wen?". In dieser Episode ging es um die Entwicklung im Bereich der Künstlichen Intelligenz, die extrem schnell fortschreitet. Die neuen Techniken kommen auch in sozialen Bereichen zum Einsatz. Unter anderem haben wir hierfür in einem Berliner Pflegeheim gedreht und einen Sozialroboter bei der Arbeit begleitet. Kurz danach ging das Thema dann durch andere große Medien. Das finde ich immer wieder beeindruckend.
"Wir suchen auch nicht den schnellen Quotenknall"
prisma: Bekommen Sie viel Feedback vom Publikum?
Salié: Ja, auf mehreren Ebenen. Ein Indikator ist natürlich die Quote. Sie bleibt stabil, auch wenn wir immer später am Abend ausgestrahlt werden. Des Weiteren sprechen uns viele Menschen direkt bei Drehs oder Kulturveranstaltungen an, loben die Sendung und fügen fast immer hinzu: "Wenn sie nur nicht so spät liefe." Dieses direkte Feedback finde ich sehr erfrischend.
prisma: Unter anderem hat Helge Schneider zum Sendungsjubiläum gratuliert und dabei augenzwinkernd gesagt, dass "aspekte" die Sendung sei, die er seit 60 Jahren nicht ansehe, weil er sie nicht verstehe. Wie gehen Sie mit solchen Kommentaren um?
Salié: Ich nehme das mit Humor. Helge kokettiert natürlich gern. Ich bin sicher, er würde heute vieles verstehen und vielleicht sogar spannend finden. Solche Aussagen gehören zum Spiel – und zeigen, dass "aspekte" durchaus polarisiert, ohne beliebig zu sein.
prisma: Welches Publikum erreichen Sie heute?
Salié: Ich weiß ziemlich sicher, dass wir nicht in erster Linie die 20-Jährigen ansprechen. Unser Kernpublikum ist eher zwischen 35 und 55 Jahre alt – Menschen, die sich wirklich für Kultur interessieren, die sich begeistern lassen, die neugierig bleiben wollen. Ich denke dabei an ein Publikum, das offen ist, sich auf Themen einzulassen, und das uns mit derselben Leidenschaft folgt, mit der wir diese Sendung machen.
prisma: Dann gibt es keinen typischen "aspekte"-Zuschauer?
Salié: Einen klaren "typischen Zuschauer" gibt es nicht. Es sind kulturbegeisterte, offene und interessierte Menschen, die gerne in Themen eintauchen und daran glauben, dass Kunst uns gesellschaftlich reflektieren und verändern kann. Für mich sind "aspekte"-Zuschauer Menschen, die es lieben, Neues zu entdecken – wie ich auch.
prisma: Eine monothematische Dreiviertelstunde ist ein anspruchsvolles Format. Wie schaffen Sie es, dass die Sendung lebendig bleibt?
Salié: Ich glaube, das gelingt uns, weil wir jede Sendung aus ganz verschiedenen Blickwinkeln gestalten. Es geht nicht darum, ein Thema nur linear abzuhandeln, sondern darum, Facetten sichtbar zu machen. Wir holen die Zuschauer von Anfang an ab und bauen dramaturgisch Spannung auf, ohne dabei den Tiefgang zu verlieren. Natürlich vergleichen wir uns nicht mit Unterhaltungsformaten wie dem Dschungelcamp – das ist eine völlig andere Welt. Wir suchen auch nicht den schnellen Quotenknall, sondern ein Publikum, das sich einlässt, das durch die Sendung vielleicht inspiriert wird und ins Theater geht oder durch das Format neue Musik entdeckt.
prisma: Geht es also weniger um Reichweite als um Haltung?
Salié: Genau. Wir unterwerfen uns nicht dem Massengeschmack. Natürlich wollen wir Menschen erreichen – aber solche, die Kultur wertschätzen und etwas mitnehmen wollen. Wenn Zuschauerinnen und Zuschauer nach der Sendung sagen: "Das wusste ich noch nicht, das hat mich neugierig gemacht", dann ist das das schönste Feedback.
"Ich habe schon immer am liebsten als Reporterin gearbeitet"
prisma: Ihre Zeit bei aspekte hat 2012 begonnen. Damals war es noch ein reines Studioformat, inzwischen geht es als Reportage auf Sendung. Wie haben sie den Wechsel erlebt?
Salié: Ich habe beide Formate sehr gemocht, obwohl sie kaum vergleichbar sind. Im Studio gab es einen unmittelbaren Kontakt zum Publikum – das war ein schönes Gefühl. Man stand mittendrin, konnte reagieren, konnte spielen. Besonders genossen habe ich Studiogespräche mit Gästen, weil das die Momente waren, in denen echte Tiefe möglich wurde. Mein persönliches Highlight war ein Gespräch mit Salman Rushdie – 15 Minuten lang, ein Geschenk, weil man sonst oft nach acht Minuten schon zum Ende gedrängt wurde.
prisma: Und wie fühlt es sich heute an, als Reporterin mitten in die Themen einzutauchen?
Salié: Für mich ist das ein großer Gewinn. Ich habe schon immer am liebsten als Reporterin gearbeitet, und jetzt können wir uns in unserer monothematischen Kulturreportage viel intensiver mit einem Thema auseinandersetzen. Wir treffen mehr Menschen, beleuchten mehr Perspektiven und haben noch mehr Zeit, wirklich tief zu graben. Natürlich verlieren wir ein Stück Flexibilität – früher konnten wir bei der wöchentlichen Studiosendung schneller auf aktuelle Ereignisse reagieren. Aber dafür gewinnen wir an inhaltlicher Substanz. Ich empfinde das als eine sehr wertvolle Entwicklung.
prisma: Was motiviert Sie persönlich, sich so intensiv mit Kunst und Kultur zu beschäftigen?
Salié: Für mich ist Kunst zweierlei: Sie macht das Leben schöner, man kann in ihr aufgehen, sie kann trösten und begeistern. Gleichzeitig legt sie den Finger in die Wunde, spürt gesellschaftliche Entwicklungen auf, noch bevor sie offensichtlich werden. Künstlerinnen und Künstler sind oft Seismographen ihrer Zeit. Theater, Bühne, Ausstellungen – all das sind Orte, an denen man den Status quo hinterfragen und Utopien entwerfen kann. Man kann spielerisch erleben, wie die Welt sonst noch sein könnte, und manchmal werden solche Visionen Wirklichkeit. Diese Mischung aus Schönheit und Erkenntnis fasziniert mich sehr.
prisma: Wenn Sie zehn Jahre in die Zukunft blicken – wie könnte "aspekte" dann aussehen?
Salié: Das ist schwer vorherzusagen. Hätte mir jemand vor zwölf Jahren gesagt, wie sich die Sendung und die Welt entwickeln würden, hätte ich es nicht geglaubt. Die Technik, neue Plattformen, KI – das alles beeinflusst unsere Arbeit massiv. Ich wage keine Prognose, außer dieser: Kultur hat weiterhin ihren festen Platz im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Da bin ich optimistisch – ich kann mir gar nicht vorstellen, dass es anders kommt.
prisma: Wenn Sie auf Ihre bisherige Zeit bei "aspekte" zurückblicken – welche Worte beschreiben sie am besten?
Salié: Berauschend. Inspirierend. Aufklärend. Bunt. Vielfältig. Überraschend. Neugierig machend und zutiefst befriedigend. Jede Sendung, jedes Gespräch, jede Begegnung hat mich persönlich bereichert – und genau deshalb liebe ich diesen Job.
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Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH