In "37°"-Reportage

Carla Hinrichs berichtet von "unfassbaren psychischen Belastung"

20.06.2023, 09.48 Uhr
von Julian Weinberger

In einer neuen "37°"-Reportage berichten Aktivistinnen und Aktivisten der Letzten Generation von ihren Motiven. Carla Hinrichs etwa berichtet, sie leide unter der "unfassbaren psychischen Belastung". Große Pläne hat sie trotzdem. Zwischen Hoffnung, Hass und Verzweiflung...

Es sind nur wenige Zentimeter, die zwischen dem jungen Mann, der auf dem Boden einer viel befahrenen Straße sitzt, und dem erbosten Passanten über ihm liegen. "Mach Platz!", brüllt der Autofahrer. Daneben sitzt Carla Hinrichs, einer der wichtigsten Symbolfiguren der Letzten Generation, und schluchzt.

Szenen wie diese ereignen sich in Deutschland seit Frühjahr 2022 in regelmäßigen Abständen. Mit zivilem Ungehorsam zu Klimagerechtigkeit – und gegen alle gesellschaftlichen Widerstände: An den Aktionen der vom Boulevard "Klimakleber" getauften Aktivistinnen und Aktivisten spalten sich die Meinungen.

Motivation der Bewegung

Was die Menschen bewegt, die Kartoffelbrei auf Monet-Gemälde werfen oder Sitzblockaden auf Autobahnen veranstalten, zeigt nun die "37°"-Dokumentation "Radikal, gehasst, verzweifelt" (ab sofort in der ZDFmediathek und Dienstag, 20. Juni, 22.15 Uhr, ZDF). Freilich gelingt es der halbstündigen Doku nicht, das Phänomen der Letzten Generation und ihrer gesellschaftlichen Wirkung allumfassend zu skizzieren. Doch Filmemacher Broka Herrmann wirft erhellende Schlaglichter auf einige der Aktivistinnen und Aktivisten.

Carla Hinrichs spricht über "unfassbarer psychischer Belastung"

Da ist etwa Zimmermann Jakob. Seinen Job und seine bürgerliche Existenz setzt er immer wieder mit Straßenblockaden aufs Spiel. 30 Tage landete er deswegen schon im Gefängnis. "Wir möchten die Leute nicht in ihrem Alltag stören, aber es ist so, dass der Protest der vergangenen Jahre nicht annähernd ausreichende Maßnahmen gebracht hat", beschreibt er bei einer Straßenblockade seine Motive, räumt gegenüber dem Kamerateam aber auch ein. "Es ist für mich unangenehm, hier zu sein, mein Herz ist gerade am Rasen."

Ähnlich wie Jakob zweifelt auch Carla Hinrichs immer wieder an ihrem Engagement für die Letzte Generation. Doch "meine Angst vorm Klimanotfall ist so viel größer" als aufkeimende Zweifel, erklärt eine der prägenden Figuren der Widerständler. Dennoch: Ihr Engagement bedeute eine "unfassbare psychische Belastung", gesteht die 26-Jährige, die ihr Jura-Studium unterbrochen hat – dem Kampf gegen den Klimanotstand zuliebe. Sie wolle nicht einfach zusehen dabei, wie "das zerstört wird, was ich liebe".

Verständnis für die Aktionen der Letzten Generation ist oft Mangelware. Stattdessen schlagen Carla und ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern Abneigung und zuweilen offener Hass entgegen. Hinrichs' Mutter Susanne berichtet in der knapp halbstündigen ZDF-Reportage unter anderem von Morddrohungen gegen ihre Tochter: "Ich habe jeden Tag Angst um Carla, weil ich befürchte, dass irgendwann Dinge vielleicht wahr gemacht werden, die jetzt nur in den Twitter-Kommentaren auftauchen."

"Man braucht ein dickes Fell, um sich beschimpfen zu lassen"

Auch Solvig und ihre älteste Tochter Lina pendeln stetig zwischen zivilem Ungehorsam, Sorge und Angst. Gemeinsam gehören sie der Letzten Generation an, landeten für ihr Engagement schon gemeinsam im Gefängnis. "Man braucht ein dickes Fell, um sich beschimpfen, treten und bespucken zu lassen", berichtet Solvig. Gleiches bestätigt Jakob, der während der Haft live bei "Bild TV" verfolgen konnte, wie seine Wohnung durchsucht wurde. Seit er wieder auf freiem Fuß ist, fühle er sich "verfolgt", so der Zimmermann.

Obwohl die Hintergründe und Motive der Aktivistinnen und Aktivisten viel Raum in dem ZDF-Beitrag einnehmen, bilden die Macher auch teils die Argumente der Gegenseite ab. "Ich bin schwanger, ich muss ins Krankenhaus. Ich kriege mein Baby, ich muss hier durch", nimmt man einer Schwangeren ihren Ärger während einer Straßenblockade vollauf ab. Ein anderer Mann nennt das Verhalten der Demonstrierenden "allgemeinschädigend": "Wir würden uns doch alle wünschen, dass die Erderwärmung aufhört. Aber wenn sich hier Jugendliche auf die Straße setzen, erreichen sie damit leider nicht viel, und vor allem erhöhen sie nicht die Sympathien für den Klimaschutz."

Eines scheint jedoch auch nach ZDF-Reportage klar: Gesellschaft wie Politik werden sich weiterhin mit der Letzten Generation auseinandersetzen müssen. "Wenn wir uns angucken, was gerade in dieser Krisensituation passieren muss, ist es ein Innehalten der Gesellschaft, ein Stillstand", schildert Carla Hinrichs ihr Ziel. "Da führt kein Weg drumherum, diese Stadt (d. Red. Berlin) zum Erliegen zu bringen und so sehr zu stören, dass unsere Regierung sich überlegen muss, ob sie das hinnimmt oder ins Handeln kommt." Ob man dies als Drohung oder Versprechen versteht, hängt wohl ganz von der eigenen Sichtweise auf die Letzte Generation ab.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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