Bei "Hart aber fair"

Debatte um Rammstein und Männlichkeit: "Wir haben die Männer nun einmal. Wir können sie nicht schreddern"

20.06.2023, 09.14 Uhr
von Doris Neubauer

Der aktuelle Skandal um die Band Rammstein veranlasste die Sendung "Hart aber fair" zu dem Thema "Männer, seid Ihr wirklich noch nicht weiter?". Zu Gast waren unter anderem Rita Süssmuth und der ehemalige Musikmanager Thomas Stein.

Originelles Verteidigungsargument in der Causa Rammstein: "Waren Sie schon einmal bei einem Rammstein-Konzert? Wie der" – gemeint ist Sänger Till Lindemann "mit 60 Jahren über die Bühne rennt, da soll der plötzlich runtergehen und jemanden beglücken? Da muss er ins Museum, das ist eine Kraft, die kannst du gar nicht aufbringen."

Auch wenn den ehemaligen Musikmanager Thomas Stein "heute gar nichts mehr überrascht", zeigt er sich bei der letzten "Hart aber fair"-Ausgabe vor der Sommerpause doch verwundert über die Vorwürfe von Machtmissbrauch gegen Rammstein-Frontmann Till Lindemann. Eine Straftat gehöre rigoros bestraft, aber "in dieser Mutmaßungstherapie (...) etwas einfach so in den Raum zu stellen, das ist eine Riesengefahr", meint der frühere "Deutschland sucht den Superstar"-Juror. Stein: "Hier wird jemand wirklich extremst vorverurteilt."

"Die gab es schon immer – bei Heino, bei Roberto Blanco und bei Rammstein"

Sorgen macht sich auch die Journalistin Stefanie Lohaus. Allerdings um die "Dutzenden von Frauen" wie die Irin Shelby Lynn, die mit ihrer öffentlichen Behauptung den Skandal ins Rollen gebracht hat. "Es ist risikoreich für die Frauen, verklagt zu werden. Das hat nichts mit Selbstdarstellung zu tun", schließt die Projektleiterin "Gemeinsam gegen Sexismus" aus, dass sich diese "auf dem Rücken eines Rockstars für fünf Minuten Ruhm verschaffen" möchten, wie Lindemann-Ex Sophia Thomalla Medienberichten zufolge vermutete.

Stein überzeugt das nicht. "Es sind zwölf Leute", macht er eine (sofort widersprochene) Rechnung auf, "bei den Konzerten sind 300.000 Zuschauer." Außerdem sei das Vorhandensein einer sogenannten "Row Zero" für "Hardcore-Fans" nichts Neues. "Die gab es schon immer – bei Heino, bei Roberto Blanco und bei Rammstein", meint er.

CDU-Politikerin mit Vorurteilen

Die erste Reihe gibt es auch bei Andreas Gabalier, weiß die 22-jährige CDU-Kommunalpolitikerin Lisa Schäfer aus Erfahrung. "Ich wurde zum Glück noch nie körperlich belästigt", zählt sie einer Straßenumfrage aus dem Freistaat Sachsen zufolge zu einer Minderheit. Dabei gaben 87 Prozent der Frauen an, mindestens einmal im Leben ungewollten Körperkontakt zu haben.

"Als unangenehm empfinde ich aber, wenn ich durch Brennpunktstraßen in größeren Städten laufe und mir junge Männer, deren Sprache ich oft nicht verstehe, Sprüche hinterherrufen. Da entsteht ein Gefühl der Unsicherheit", argumentiert sie und erntet dafür nicht nur von Louis Klamroth ("Sprechen Sie kein Englisch?") Unverständnis.

"Ich lebe in Berlin Neukölln, mir geht es so auf dem Oktoberfest", kontert Stefanie Lohaus. Bevor aber – zum wiederholten Mal an diesem Abend – zwischen der Jungpolitikerin und der Journalistin zwei Welten wortgewaltig aufeinandertreffen, lenkt Letztere ein: "Wichtig ist, von Einzelpersonen wegzukommen und hin zu einer gesamtgesellschaftlichen Debatte. Wie können wir damit umgehen, dass es so etwas gibt?"

"Wir haben die Männer nun einmal. Wir können sie nicht schreddern."

Zu "so etwas" zählen nicht nur sexistische Sprüche, Küsse oder Begrapscht-Werden durch Männer, sondern auch das – ebenso ungewollte – Empfangen eines Dick-Pics. "Schämen Sie sich für die Männerwelt?", lautet die plakative Frage von Louis Klamroth an Thomas Haberl, Journalist beim Magazin der "Süddeutschen Zeitung". "Ich schäme mich sehr oft für die Männerwelt", gesteht dieser und fügt – ungefragt – hinzu, noch nie ein Dick-Pic verschickt zu haben. Bekommen übrigens auch nicht.

In seinem Buch "Der gekränkte Mann" verteidige er dennoch nach eigener Auskunft "sehr tastend und differenziert" Männer und die Männerwelt. "Wir haben die Männer nun einmal, wie müssen mit ihnen umgehen. Wir können sie nicht schreddern wie wir das mit männlichen Küken jahrelang getan haben", zeichnet er ein drastisches Bild, "wir müssen Konzepte finden, die nicht nur darauf beruhen, mit dem Finger darauf zu zeigen, uns zu empören und uns immer wieder darüber zu freuen, dass wir bestätigt werden, dass Männer gewalttätig seien." Es sei Aufgabe der gesamten Gesellschaft, dass Männer nicht gewalttätig werden. Eine politische Verordnung über Nacht würde jedenfalls nicht gelingen.

Die Grenzen politischer Verordnungen zeigt auch die Diskussion zur beschlossenen Frauenquote der Union. "Junge Frauen wie Sie haben sich dagegen eingesetzt. Warum wollen Sie das nicht?', richtet Louis Klamroth die Frage an Lisa Schäfer. "Die Quote grenzt aus und ich bin Fan des Leistungsprinzips", begründet die junge Kommunalpolitikerin ihre Skepsis. Ein Argument, bei dem sich Stefanie Lohaus die Hände vors Gesicht schlägt: "Quoten wirken, sie wirken sehr, sehr gut, deshalb stoßen sie auf Widerstand", betont sie, "sie sind natürlich eine Zwangsmaßnahme (...) aber sie beschleunigen den Prozess. Sie sind eine Maßnahme. Es braucht aber auch viele andere Maßnahmen zum Beispiel eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie."

Rita Süssmuth: "Wir können es nur gemeinsam schaffen"

Das ist ganz im Sinn von Ex-Bundesfamilienministerin und Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth von der CDU, die in der zweiten Halbzeit das Panel bereichert. Nur eines hat die die "Feministin der ersten Stunde", wie Louis Klamroth die 86-Jährige vorstellt, zu ergänzen: "Wir brauchen Verbindlichkeit", fügt sie hinzu, "ohne Verbindlichkeit kommen wir nicht weiter. Ich bin auch für die Überwindung der Quote. Es geht um die Umsetzung unseres Grundgesetzes. Um die Armutsbekämpfung von Frauen und Kindern. Es geht nicht nur um die Verbindlichkeit, die Zahlen zu schaffen, sondern um neue Pläne zu haben, wie wir im Parlament Themen einbringen, die Frauen kräftig behandeln."

Für Louis Klamroth ist das das Stichwort, um zuletzt noch den Gender-Pay-Gap und die Tatsache anzusprechen, dass Frauen in MINT-Berufen, also Berufen aus Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, weiterhin unterrepräsentiert sein. Auch wenn sich seit den 80er-Jahren viel getan habe, sei es ein zäher und langsamer Prozess, sind sich die Diskussionsteilnehmenden einig.

Zu langsam, meint Rita Süssmuth und plädiert für Aktion: "Wartet nicht wieder 100 Jahre, sondern handelt!", spricht sie sich für eine wertschätzende, respektvolle Zusammenarbeit zwischen Männern und Frauen aus. "Wir können es nur gemeinsam schaffen." Das Panel hat sie bereits überzeugt, stellt Louis Klamroth fest und verabschiedet sich damit bis August in die Sommerpause.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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