Bei "Markus Lanz"

Jürgen Trittin warnt vor weiterem Hass gegen Grünen: "Da tobt sich blanker Rassismus aus"

02.03.2024, 09.36 Uhr
von Natascha Wittmann

Die Zahl der Straftaten gegen Politiker steigt weiter an. Besonders die Grünen stehen im Fokus. Am Donnerstagabend warnte Jürgen Trittin vor dieser Hass-Entwicklung. Zudem wurde über die Rede von Hubert Aiwanger in Erding und dessen Folgen diskutiert. 

Die Wut auf die Grünen steigt scheinbar immer weiter an. Wie die Bundesregierung vor Kurzem eröffnete, registrierte die Polizei im vergangenen Jahr knapp 2.800 Straftaten gegen Politikerinnen und Politiker. Davon sollen sich alleine 1.200 Straftaten gegen Vertreter der Grünen gerichtet haben.

Markus Lanz wollte daher von Politiker Jürgen Trittin, der im Dezember nach 25 Jahren seinen Abschied aus der Grünen-Partei verkündete, wissen: "Wie befreit fühlen Sie sich?" Trittin reagierte jedoch nüchtern und sagte lediglich: "Ich hatte mir das gut überlegt." Ganz glauben wollte ihm das jedoch niemand in der Runde.

Trittin: Die Demokratie habe ein Problem und nicht die Grünen

Journalistin Kerstin Münstermann erklärte beispielsweise, dass man einen Abschied in der Mitte der Legislaturperiode nicht einfach "so wegwischen" könne. "Ist das nicht auch eine Flucht in der Halbzeit einer Regierung, wo man ja als Grüner schon frustriert sein muss?", wollte sie wissen. Kerstin Münstermann ergänzte mit Blick auf Trittin: "Jetzt sind Sie endlich dort, wo sie hinwollten, nämlich an der Macht (...) in einer Wunsch-Koalition vielleicht. Und dann läuft es so schief." Ihr erster Gedanke sei daher gewesen: "Huch, da geht jetzt einer von Bord." Trittin dementierte dies jedoch prompt und sagte: "Ich habe 25 Jahre auf beiden Seiten, Opposition und Regierung gearbeitet."

In Bezug auf den Gegenwind, den die Grünen momentan aushalten müssen, sagte er, dass "diese Demokratie ein Problem" habe "und nicht die Grünen". Trotzdem konnte es Trittin nicht von der Hand weisen, dass mehrere Grünen-Politiker öffentlich von wütenden Bürgern angegangen wurden und der politische Aschermittwoch in Biberach sogar jüngst wegen Ausschreitungen abgesagt werden musste.

Trittin ergänzte dazu: "Ich glaube, dass wir vor einer Situation stehen, wo die Demokratie sich fragen muss, ob sie die Wehrhaftigkeit hat, die sie braucht, um gegen solche Gewalttäter vorzugehen."

Historiker bezeichnet diese Art von Protest als "völlig inakzeptabel"

Trittin selbst ergänzte, dass er jahrelang ohne Personenschutz Wahlkampf machen konnte, "aber ich habe nie die Situation gehabt, dass wir sozusagen physisch in dieser Form bedroht worden sind, was heute Ricarda Lang, Omid Nouripour, Cem Özdemir" erleben müssen. "Da tobt sich wirklich blanker Rassismus aus", bemerkte Trittin streng. Historiker Andreas Rödder stimmte zunächst zu: "Diese Proteste, dass also eine Veranstaltung der Grünen nicht stattfinden kann, ist völlig inakzeptabel. Und das ist einer der Punkte, wo wir mit allen rechtsstaatlichen Mitteln durchgreifen müssen."

Gleichzeitig sagte er jedoch, dass die Grünen Mitschuld an der aufgeheizten Stimmung im Land hätten: "Das Problem der Grünen (...), das ist die Moralisierung, die in die politische Debatte getragen wird." In Bezug auf Hubert Aiwangers viel zitierte Rede in Erding im Juni 2023 sagte Rödder daher: "Erding war ikonisch."

Laut des Historikers habe Aiwanger auf der Demonstration gegen das Heizungsgesetzt "nichts anderes getan, als das anzusprechen, (...) dass eine zunehmende Zahl der Menschen den Eindruck hat, sie können ihre Meinung nicht mehr frei äußern."

Sorge über Polarisierung der Gesellschaft

Dem widersprach unter anderem Kerstin Münstermann vehement. "'Wir müssen uns die Demokratie zurückholen' – wo sind wir denn? Ich finde, da war was ikonisch, aber das war ikonisch schlecht." Der Auftritt in Erding habe laut der Journalistin deutlich "gezeigt, dass was kippt, was nicht hätte kippen sollen". Auch Jürgen Trittin kritisierte mit Blick auf Rödder: "Ich teile ja Ihre Einschätzung, dass es ikonisch war. (...) Man hat genau das genommen, das man für sich beansprucht hat: den wahren Volkswillen gegen die gewählten Institutionen zu mobilisieren – und dieses aus der Mitte einer Staatsregierung heraus." Dies habe laut zur "Einleitung eines Prozesses zur Enthemmung des politischen Diskurses" geführt.

Der Historiker versuchte zunächst, einzulenken und gab zu, dass dieser "neue Ton, diese Polarisierung in unserer Gesellschaft" ihn auch umtreibe. Dennoch sagte er in Bezug auf Aiwanger: "Er hat diesen Nerv getroffen, dass demoskopisch gemessen mehr und mehr Menschen in diesem Land den Eindruck haben, dass sie ihre Meinung nicht mehr offen sagen können."

Rödder über "Ausgrenzungsmechnanismen"

Als Trittin wütend klarstellte, dass man in Deutschland doch alles sagen dürfe, wetterte Rödder zurück: "Natürlich dürfen Sie alles sagen! (...) Es geht nicht darum, ob man etwas sagen darf, oder nicht. Sondern die Frage ist: Darf ich etwas sagen und kriege dafür vielleicht Widerspruch, oder darf ich etwas sagen und ich werde dafür als Nazi, als Menschenfeind, als Klimaleugner, als transphob oder als Rassist etikettiert?"

In diesem Zusammenhang sprach Rödder von "Ausgrenzungsmechnanismen". Außerdem fügte er hinzu: "Und mehr und mehr Menschen fühlen sich ausgegrenzt durch diese Art der Moralisierung. Und das ist das, was die Stimmung insgesamt so anheizt."


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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