TV-Drama mit Anne Ratte-Polle

"Mein Falke": Die Magie des Greifvogels

13.12.2023, 08.04 Uhr
von Eric Leimann

Die forensische Biologin Inga Ehrenberg (Anne Ratte-Polle) untersucht drei Todesfälle. Als sie geben wird, sich um die Aufzucht eines jungen Falken zu kümmern, bekommt ihr Leben einen neuen Sinn. Ein packendes Drama. 

ARD
Mein Falke
Drama • 13.12.2023 • 20:15 Uhr

Die forensische Biologin Inga Ehrenberg (Anne Ratte-Polle) scheint mit ihrem Job verheiratet. Im Rechtsmedizinischen Institut Wolfsburgs untersucht die Mittvierzigerin gleich drei Todesfälle: Ein älterer Mann ist beim Baden ertrunken – oder hat jemand nachgeholfen? Dann liegt da ein totes Baby in einem Waldstück. Was verraten die Körperspuren über sein Schicksal? Schließlich will eine holländische Familie die sterblichen Überreste ihres Vaters und Großvaters nach Hause holen. Der Mann ist als Zwangsarbeiter während des Zweiten Weltkrieges verstorben und liegt in einem Massengrab. Doch welche Gebeine sind seine?

Sperrig und ironisch

Wer nun glaubt, beim ARD-Mittwochsfilm "Mein Falke" handele es sich um einen weiteren Krimi mit Fokus auf die Rechtsmedizin – das gab es zuletzt sehr oft – liegt völlig daneben. Das Drehbuch der vielfach ausgezeichneten Autorin Beate Langmaack (fünf Grimme-Preise) und die Regie von Dominik Graf nehmen die Todesfälle und ihre Aufklärung durchaus ernst. Aber daraus ergibt sich ein völlig anderer Film als das, was im TV-Programm ansonsten rauf- und runterläuft. Zum Glück, möchte man sagen, denn der mit 105 Minuten ungewöhnlich lange Fernsehfilm fesselt in jeder Minute Spielzeit als Frauenporträt, in dem die großartige Anne Ratte-Polle ("Es gilt das gesprochene Wort") beinahe jede Szene zum Faszinosum macht.

Inga wirft sich rein in ihre Arbeit, sie scherzt, ist Meisterin der Ironie und behandelt ihre Kollegen mal süffisant kumpelhaft – oder lässt sie auch mal genervt auflaufen. Privat scheint sie Single zu sein. Bald erfährt man: Ihr Mann ist ausgezogen. Und dann gibt es da noch ihren Vater (stark: Jörg Gudzuhn), der ebenso sperrig wie Inga zu sein scheint und zu dem die Wissenschaftlerin ein eher schwieriges Verhältnis hat.

Absolut fessender Film 

Als Falkner Lars (Dennis Pörtner), der Inga von früheren Besuchen mit ihrem Ex-Mann kennt, sie um die Erziehung eines Nachwuchs-Greifvogels bittet, lässt sich die Alleinlebende auf das neue "Haustier" ein. Sie baut ihre Wohnung um und widmet dem Falken ihre gesamte Freizeit. Bald will aber auch ein neuer Mensch etwas von ihr: Die junge Charlie (Olga von Luckwald) behauptet, sie wäre ihre Halbschwester.

Ganz schön viele Dinge des Lebens reißen plötzlich an Inga. Dinge, die schwer kontrollierbar scheinen. Etwas, das die Biologin gar nicht mag. Sie bevorzugt es, ihnen im Labor schweigend und akribisch auf den Grund zu gehen. Doch das Leben ist offenbar kein kontrollierbares Versuchsfeld.

"Mein Falke" ist die zweite Zusammenarbeit Beate Landmaacks mit Dominik Graf nach "Hanne". Das Drama mit Iris Berben war ein ebenso grandioses Frauenporträt, wie nun "Mein Falke" eines ist. In "Hanne" lässt sich eine reife Frau im Angesicht einer möglichen Krebsdiagnose durch ein Wochenende treiben. 2020 gab es für Langmaack, Graf und Berben den Grimme-Preis. Auch wenn es ein wenig unoriginell klingt: "Mein Falke" müsste die künstlerisch wichtigste Auszeichnung des deutschen Fernsehens nun auch gewinnen.

Selten klebte man so angenehm formatbefreit vor dem Bildschirm und schaute derart fasziniert Menschen beim Leben zu. Vor allem natürlich Inga, aber auch die Nebenfiguren wirken allesamt greifbar echt. Jede kleine Begegnung dieses Films ist ein Fest. Es gibt skurrile Alltagssituationen, angenehm seltsame Dialoge und kluge Gespräche zwischen spöttelnder Ablehnung und wunderbarer Alltagswärme.

"Der Tod dient dazu, Erkenntnisse über das Leben zu gewinnen"

Erst wenn man so etwas Seltenes wie "Mein Falke" gesehen hat, erkennt man, wie stromlinienförmig Filme und Serien heutzutage geworden sind. Wie erwartbar Plots gewoben und Dialoge geschrieben sind. Hier ist im Gegensatz zum "Formatfernsehen" alles Überraschung und Geheimnis. Tatsächlich könnte im Leben von Inga alles passieren – oder nichts.

Ihre Beziehung zum Falken, die symbolhaft für Liebe, Bindungsangst und Verlust steht, ist da nur einer von mehreren Erzählsträngen, bei denen man nie weiß, wie sie ausgehen werden – was spannender als jeder Krimi ist. Mit jenem Genre hat Beate Langmaack übrigens durchaus Erfahrungen. Ihre "Tatorte" wie "Tiere der Großstadt" (Berlin) oder "Das Recht sich zu sorgen" (Franken) gehören zu den besten und ungewöhnlichsten Folgen der Reihe in den letzten Jahren.

Über "Mein Falke" sagt sie nun: "Der Tod dient dazu, Erkenntnisse über das Leben zu gewinnen. Durch seine Existenz begreifen wir, wie kostbar das Leben ist. Davon erzähle ich in meinen Geschichten." Ob sie das nun im Krimi, einem faszinierenden Frauenporträt oder wie hier in einem wundersamen Mix aus beidem aufschreibt, ist eigentlich egal. Wie schön wäre es, es gäbe mehr Filme, die so viel Freiheit atmen wie "Mein Falke".

Mein Falke – Mi. 13.12. – ARD: 20.15 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

Das könnte Sie auch interessieren