ARTE-Reportage

"Unter Deutschen – Zwangsarbeit im Dritten Reich": Vergessen und verschwiegen

02.05.2023, 08.07 Uhr
von Wilfried Geldner

Trotz immer weiterer Gedenkstätten ist das Zwangsarbeiter-Schicksal während des Dritten Reichs ein zunächst verdrängtes, später vergessenes Kapitel der deutschen Geschichte. 13 Millionen Menschen aus den besetzten Ländern mussten bis Kriegsende vor allem die Rüstungsindustrie am Laufen halten.

ARTE
Unter Deutschen – Zwangsarbeit im Dritten Reich
Doku • 02.05.2023 • 20:15 Uhr

Zehn Milliarden D-Mark wurden 1999, 54 Jahre nach Kriegsende, mithilfe einer eigens eingerichteten Stiftung unter den noch lebenden Zwangsarbeitern verteilt. "Es geht hier um eine freiwillige Leistung", betonte der Anwalt der Regierung, und Otto Graf Lambsdorff erklärte, dies sei "ein abschließender Betrag". Wie wenig man über die insgesamt 13 Millionen Deportierten weiß, die in der Rüstungsindustrie und bei anderen bis heute existierenden Konzernen schufteten, aber auch auf den Feldern oder in deutschen Haushalten, macht der Dreiteler von Matthias Schmidt (ARTE mit MDR und CT, Tschechien) deutlich. Enkel, Söhne und Töchter berichten in "Unter Deutschen – Zwangsarbeit im Dritten Reich" vom Schicksal ihrer Eltern und Großeltern. Dass dabei auch die Nachfahren der Täter zu Wort kommen und so das "laute Schweigen" zu durchbrechen versuchen, ist bemerkenswert, aber nicht ganz unkompliziert.

So geht der erste Teil das zeitgeschichtlichen Dreimal-50-Minuten-Triptychons, der ab 25. April in der Mediathek verfügbar ist, von einem jüdischen Arzt und Mikrobiologen aus, der Auschwitz überlebte. Andererseits baut ein Nazi-Karrierist im Osten und am Obersalzberg Straßen und überwacht in Flossenbürg die Arbeiten im Steinbruch. Die Enkelin, die ein Buch über den NS-Großvater schrieb, versucht zu begreifen, wo es womöglich nichts zu begreifen gibt.

Auch die ehemaligen Zwangsarbeiter sprachen nicht über die Vergangenheit

Das ist mehr als die übliche Abrechnung der Nachgeborenen, die kein gutes Haar an ihren Vätern lassen. Die standen, wie ein Sohn es anschaulich schildert, groß und stumm im Raum. Über ihre Vergangenheit schwiegen sie und doch war sie am Esstisch jederzeit dabei. Aber auch die zur Zwangsarbeit aus halb Europa Deportierten schwiegen nach dem Krieg über das in tausenden Lagern Erlebte – nicht nur in Auschwitz mit seinen Nebenlagern berühmter deutscher Firmen, sondern in so vielen weiteren Arbeitslagern, auch in Großstädten wie Leipzig, Hamburg oder Berlin.

Auch nach ihrer Befreiung kamen sie als Displaced Persons abermals in Lager. Sie sprachen kein Deutsch, im Kalten Krieg galten sie, weil aus dem Osten kommend, gar als Feind – die Fronten wurden ja nun neu gezogen. Sie in jungen Jahren, mit 19, 20 oder 21, deportiert – der jüdische Arzt aus Rotterdam, die Volksschullehrerin aus Wien, der Schusterlehring aus Tschechien. Den Erinnerungen an die Mütter und Väter sind deren Porträtfotos, aber auch historische Archivfilme unterlegt. Zwischendrin noch einmal Goebbels in seiner Sportpalastrede, diesmal mit dem Akzent auf der totalen Arbeitsfront. "Wir werden das Kriegspotenzial der uns zur Verfügung stehenden Teile Europas ausschöpfen!" brüllt er da. 1943 töten britische und amerikanische Bomber auch zahlreiche Zwangsarbeiter. Und Zwangsarbeiter waren die Ersten, die in deutschen Städten die Leichen aus den Trümmern ziehen mussten. Im Osten klagte der Leiter der "Reichswerbekommission" zuvor über die "Vernichtung wertvoller Arbeitskräfte" durch die Morde der Einsatzkommandos der SS.

"Es gab damals Zwangsarbeit"

Der Rest gehört den Überlebenden: dem Arzt, der Auschwitz überlebte und eine neue Familie gründete; dem Schuster, der als Zwangsarbeiter im norwegischen U-Boothafen arbeitete und einen Urlaub zur Flucht beutzte, den Polen, der sich in die Tochter des Ortsgruppenführers verliebt und mit ihr fünf Kinder zeugt. Er bleibt in Deutschland und bestellt "Muttererde aus Polen" auf sein Grab. Die Wiener Lehrerin trifft sich nach dem KZ mit anderen Ravensbrückerinnen, als sei nichts gewesen, so berichtet der Sohn sarkastisch.

Zwei Millionen Zwangsarbeiter starben, grob geschätzt. Fast könnte man sie vergessen bei dieser Wendung zum Happyend. Wie sagt jedoch die Autorin Natascha Wodin, Tochter einer Zwangsarbeiterin, im Film? – "Es gab damals Zwangsarbeit. Das musste gesagt werden." Im ARTE-Dreiteiler wird es gesagt, wenn auch durchaus etwas kompliziert verpackt.

Unter Deutschen – Zwangsarbeit im Dritten Reich – Di. 02.05. – ARTE: 20.15 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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