Helmut Newton - The Bad and the Beautiful
16.12.2021 • 01:00 - 02:00 Uhr
Kultur, Künstlerporträt
Lesermeinung
Selbstporträt von Helmut Newton, Monte Carlo, 1993: Der Künstler und seine Frau, ebenfalls eine Fotografin, lebten im Sommer an der Côte d'Azur, im Winter dagegen in Los Angeles. Dort kam Newton 2004 bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Er wurde 83 Jahre alt.
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Typische Helmut Newton-Schönheit in Badekleidung: Arena, New York Times. Obwohl Newton einer jüdischen Berliner Familie entstammte, war sein Stil von Leni Riefenstahls Körper-Inszenierungen beeinflusst.
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Spannende Zeitzeugin, tolle Erzählerin: Nadja Auermann hat oft mit Helmut Newton gearbeitet.
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Claudia Schiffer erinnert sich an Foto-Sessions mit Helmut Newton.
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Helmut Newton posiert 1987 in Monte Carlo für die Kamera.
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Originaltitel
Helmut Newton: The Bad and the Beautiful
Produktionsland
D
Produktionsdatum
2020
Kultur, Künstlerporträt

Ein professioneller Voyeur

Von Eric Leimann

Im Kino-Dokumentarfilm von 2020 über den aus Nazi-Deutschland geflohenen Juden, der mit nackten, höchst provokanten Frauenporträts Weltkarriere machte, sorgte Regisseur Gero von Boehm für hohe Schauwerte – und viel weibliche Prominenz. Das ZDF zeigt eine um 30 MInuten gekürzte TV-Version.

Wie es Helmut Newton wohl heute in Zeiten von MeToo ergehen würde? 2004, im Alter von 83 Jahren, war der Fotograf bei einem profanen Verkehrsunfall in Los Angeles ums Leben gekommen. Kurz vor seinem 100. Geburtstag am 31. Oktober 2020 durfte sich Dokumentarfilmer Gero von Boehm über "uneingeschränkten und exklusiven Zugang zum Archiv der Helmut Newton-Stiftung" freuen, in dem viele private Film- und Fotodokumente des 1920 in Berlin geborenen Helmut Neustädters, so hieß er damals, lagen. Im Alter von 17 Jahren war der Sohn eines jüdischen Fabrikanten aus dem nationalsozialistischen Berlin geflohen.

Boehms Film wurde 2020 fürs Kino produziert. Zu nachtschlafender Zeit zeigt das ZDF eine von 90 auf 60 Minuten gekürzte Version, auch wenn sich der Sinn dieser Straffung für den Nachteinsatz und die Mediathek nicht wirklich erschließt. Im Film sprechen – bis auf Newton selbst – ausschließlich berühmte Frauen über den Fotografen. Viele von ihnen haben als Models unter Newton gearbeitet: Isabella Rossellini und Nadja Auermann, von denen nicht nur die meisten, sondern auch die klügsten Analysen zum Künstler und Menschen Newton kommen, außerdem Claudia Schiffer, Hanna Schygulla, Charlotte Rampling, Grace Jones, Marianne Faithfull, US-"Vogue"-Chefredakteurin Anna Wintour und natürlich Newtons jahrzehntelange Ehefrau June. Susan Sontag erscheint als – einsame – Newton-Kritikerin im Film über einen Mann, der fast ausschließlich als sympathischer Schlingel gezeichnet wird.

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Stichwort MeToo: Ein Ausnutzen seiner Machtposition, unangenehmen Druck oder gar Übergriffigkeiten wirft keine seiner ehemaligen Bild-Protagonistinnen dem Linsen-Maestro vor. Dabei waren dessen Bilder mit zwar meist als mächtig inszenierten, aber eben auch typische Männerfantasien bedienenden Frauen doch jene Art Bilddokument, die es heute ziemlich schwer hätte.

"Helmut war nicht einfach ein Macho"

Anna Wintour bezeichnet Newton als Fotografen, den man engagierte, um im Heft "Stopper" zu erzeugen, also Bilder, die man sich anschauen muss, bei denen man auf keinen Fall weiterblättern konnte. Warum? Weil Newton in seinen Fotos Geschichten erzählte, weil er verstörte oder zumindest erregte: Nadja Auermann fotografierte er mit derangierten Körperteilen und Accessoires von Behinderten. Auch die Foto-Session mit Bulgari-Schmuck an Frauenhänden, die blutige Hühnchenteile in der Küche präparierten, waren nicht jedermanns Sache. Der Kunde, so hört man, war damals ziemlich entsetzt. Doch einem Helmut Newton ließ man so etwas trotzdem durchgehen.

Ohnehin, so die Damen im Film, konnte man ihm nichts übelnehmen. "Helmi", wie seine australische Ehefrau ihn nannte, war stets offen, zugänglich und ein Filou von großer Zugewandtheit. Ein Menschenfänger. Seine (Foto)frauen waren stark, groß gewachsen, oft blond. Unverkennbare Newton-Frauen, wie Wintertour bestätigt – sie waren durchaus von der Ästhetik Leni Riefenstahls beeinflusst, die Newton als Heranwachsender im Berlin der 30-er erlebt hatte. Und das, obwohl er Jude war.

"Er erzählte auch viel über Männer", sagt Schauspielerin und Ex-Model Isabella Rossellini. Newtons Bilder schienen stets zu sagen: "Ich mag dich, aber das sollte ich nicht, denn du bist gefährlich", sagt sie. "Helmut war nicht einfach ein Macho, es war komplizierter. Er sah Frauen als Sexobjekte, er fand sie anziehend, aber gleichzeitig hegte er auch einen Groll gegen sie. Das ist schon sehr machohaft: Männer, die sich von Frauen angezogen fühlen, ihnen das aber übel nehmen, weil es sie verwundbar macht. Aber es gibt diese Kultur – und gleichzeitig gibt es Künstler, der ihr Ausdruck verleihen."

Wie kann man eine Seele fotografieren?

Insofern seziert Newtons schlau arrangierte, gewissermaßen aber auch naive Fotokunst klassische Männerfantasien, weil sich der Künstler traut, zu ihnen zu stehen. Auf einem seiner berühmtesten Bilder sieht man ein Krokodil, das eine langbeinige Schönheit bereits zur Hälfte verschluckt hat. Nur noch Hintern und Beine schauen aus dem Maul heraus. "Seine Fantasien sind ungeheuerlich, so etwas gibt es nicht ein zweites Mal" erregt sich Schriftstellerin Susan Sontag in einer französischen Talkshow. Ihr Gegenüber, der echte Helmut Newton, nimmt die Kritik gelassen. "Aber ich liebe und verehre Frauen sehr." "Eben so argumentieren fast alle Machos", setzt es die Replik. Sontag bleibt im Prinzip die einzige Kritikerin der Newton-Ästhetik in diesem Film.

Gero von Boehms "Helmut Newton – The Bad and the Beautiful" ist über 93 Minuten überaus unterhaltsam. Dafür sorgen allein die tollen Fotos und gut aufgelegten Gesprächspartner. Eine besondere Tiefe darf man von diesem Film, der 2020 fürs Kino produziert wurde, nicht erwarten, dafür war Newton selbst zu sehr einer, der Tiefe ablehnte. "Ich bin ein professioneller Voyeur, aber die Leute, die ich fotografiere, interessieren mich überhaupt nicht", sagte er einmal. "Was mich interessiert, ist das draußen, was meine Kamera sieht. Die Leute sagen immer zu mir: Du fotografierst keine Seele. Aber, wie fotografiert man eine Seele? Ich fotografiere einen Körper, ein Gesicht. Mich interessieren der Busen, die Beine – aber ... Seele, das verstehe ich nicht." Newton sagt an einer Stelle des Films, für ihn gebe es zwei "dreckige Worte" – wohl in Bezug auf seine Arbeit. Eines lautet Kunst, das andere: guter Geschmack. Dennoch sind Newtons Werke zumindest optisch "großes Kino" – weshalb es Sinn ergibt, seine Bilder nun noch einmal auf möglichst großen Bildschirmen zu betrachten.

Helmut Newton – The Bad and the Beautiful – Mi. 15.12. – ZDF: 01.00 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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