Als am Stadtrand von Berlin eine verkohlte Leiche entdeckt wird, stoßen die Berliner "Tatort"-Kommissare Meret Becker und Mark Waschke auf ähnlich gelagerte frühere Fälle. Alle Opfer wurden in einer Kinderwunsch-Klinik erzeugt.
Das muss man auch erst einmal hinkriegen: nämlich die einst noch unerlaubte künstliche Befruchtung mittels Eizellentransplantation und die Umtriebe eines durchgeknallten Serienmörders miteinander in Einklang zu bringen. Dass so etwas nicht ganz ohne dramaturgische Schrammen abgehen kann, liegt auf der Hand. Der Berliner "Tatort: Dein Name sei Harbinger" aus der Feder des Autorenduos Michael Comtesse und Matthias Tuchmann, der 2016 mit 42 Jahren verstarb, schwankt zwischen frecher Pulp-Fiction und reißerischem Psychothriller. Dazwischen, irgendwo im Berliner U-Bahn-Untergrund, die schrägen Kommissare Meret Becker und Mark Waschke – warum auch nicht.
Einer rührt im U-Bahn-Untergrund die Trommel unaufhörlich, mädchenhaft bezopft und metrosexuell wirkend mit seinen schwarz geschminkten Augen. Ob er als Täter infrage kommen wird? Wohl kaum. Dann schon eher dieser Kerl, der im Teaser läuft und läuft – fast wie der Mensch im "Tatort"-Vorspann seit nunmehr 45 Jahren. Action ist jedenfalls versprochen.
Unterdessen leiden die Berliner Kommissare an privaten Schmerzen: Nina Rubin (Meret Becker) trägt einen Cut über dem Auge, den sie den ganzen Film über beibehalten wird. Angeblich wurde er ihr vom eigenen Sohn zugefügt, der allerdings bei seinen späteren Auftritten einen mehr als nur passablen Eindruck macht. Anna Feil, die engelhafte Praktikantin (Carolyn Genzkow), skypt indessen mit der Mutter in Argentinien, die ihr die Nachricht vom Tod des Vaters überbringt. Kollege Karow (Mark Waschke) fährt bei so viel beweinenswertem Elend scharf dazwischen und betont harsch, dass man doch wohl "keine Selbsthilfegruppe" sei.
Als man schon meinen könnte, alles würde sich so weiterziehen, wird am Stadtrand eine verkohlte Leiche in einem Transporter entdeckt. Dass der Herr von der Spurensicherung die Kommissare mit der unziemlichen Bemerkung begrüßt, sie seien wohl "ein Magnet für Horrorleichen", wirkt recht befremdlich. Als wäre es, nolens volens, nicht genau umgekehrt. Magnetische Eigenschaften scheinen die Kommissare allerdings im Verlauf ihrer Recherchen zu haben: Da fällt ihnen vieles leichthin zu, wofür die Kollegen andernorts Tage bräuchten. Hier ein Psychologe, dort ein Sozialarbeiter, der Auskunft über den möglichen Täter geben kann. Die Datenverarbeitung bringt ans Licht, dass es bereits vor Jahren drei weitere Morde mit gleichem Muster gab.
Der Zuschauer kennt den vermeintlichen Täter von Anfang an: Im labyrinthisch verschachtelten Büro eines Schlüsseldienstes im U-Bahn-Untergeschoss streicht dieser Mensch sorgfältig aufgelistete Namen durch und spricht dabei rätselhafte Sätze wie ein durchgeknallter Alien ins Diktaphon. Das kann, das muss der Serienmörder sein. Dass er irgendwann einem verlassenen Mädchen hilft oder einer Dame die von ihm verfertigten Schlüssel ohne Bezahlung überlässt, mindern die Zweifel nicht an dieser finsteren Gestalt.
Sehr bald treffen die Berliner Kommissare auf diesen von Christoph Bach durchgängig mit dämonischer Aura gespielten Kauz. Zudem wurden alle Opfer in einer "Kinderwunschklinik" mittels künstlicher Befruchtung gezeugt. Unser Mann vom Untergrund hatte vor Zeiten offensichtlich nicht nur im Sinne der Organisation Opus Dei vor der Klinik protestiert. Er hatte auch einen Autobombenanschlag auf die Klinikchefin im Schilde geführt. Das brachte ihm prompt den Aufenthalt in einer psychiatrischen Anstalt ein.
Die Verfolgung des Mannes, der sich Harbinger nennt, nimmt nun große Teile dieses "Tatorts" ein, und sie sind in U-Bahn-Röhren, Untergrund-Schächten und letztlich aufgelassenen Werkshallen vom Regisseur Florian Baxmeyer derart kühn verfilmt, dass man ihnen schon jetzt einen Platz auf den Berliner Locations-Rekordlisten einräumen darf. Manchmal wird dieser Tatort gar zur surrealen Szenerie – etwa, wenn Harbinger den von ihm eingefangenen Kommissar in eine Badewanne setzt und ihn mit der schönen Aussicht bedroht, er müsse später noch die eingelassene Laugenfüllung trinken.
Unklar bleibt indessen, warum sich die immer leicht verpeilt wirkende Kommissarin der Meret Becker bei der Aufdeckung der Kinderwunsch-Machenschaften gar so entrüstet gibt: "Sie haben wohl lieben Gott gespielt?" Ob solcher Vorwürfe weiß sich die von Eleonore Weisgerber gespielte lesbische Klinikchefin nur schwerlich zu erwehren. Tabletten schluckt sie, und ist am Ende dieses leichthin queeren Tatorts tot. So viel darf man verraten.