Im Frankfurter "Tatort: Unter Kriegern" offenbart sich aufgewühlten Ermittlern die dunkle Seite des Leistungssports – und der Ekel einer empathielosen Elite.
Von den gesellschaftlichen Verhältnissen zugerichtet sind nicht nur die Abgehängten des Prekariats. Gerade die Gewinner und sogenannten "Leistungsträger" des Systems bewegen sich nicht selten am Rand der psychosozialen Verkommenheit – Filme wie "American Psycho" haben das eindrücklich zugespitzt. Nun nähert sich auch der aktuelle Frankfurter "Tatort: Unter Kriegern" einer empathielosen Elite, die sich selbst und ihre Kinder durch narzisstischen Leistungsfetisch zu Monstern macht. Nebenher blicken die aufgewühlten Kommissare Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch) bei mitreißenden Ermittlungen zum Mord an einem Kind auf unterdrückte Frauen ohne Ausweg, fragwürdige Therapiemethoden und das dunkle Management des Leitungssports.
Der neue "Tatort" beginnt für die Zuschauer mit dem heimlichen Drang, ein Kind zu würgen. Denn der Bengel, der da zu sehen ist, drangsaliert seine Mitschüler, erpresst den Lehrer nach einer besseren Note und ignoriert am Boden liegende alte Damen. Felix heißt der Junge, ein klassischer Bully, fantastisch herzlos verkörpert vom Nachwuchsschauspieler Juri Winkler. Dass der Apfel indes nicht weit vom Stamm fällt, merkt man schnell: Der Stiefvater des Balgs, Joachim Voss (gelungener Manager-Psycho: Golo Euler), bringt Felix genau jenes Verhalten bei, einen ekelhaften Narzissmus, nur auf Leistung und den eigenen Erfolg ausgerichtet: "Gibst du auf? – Niemals!".
Gepaart wird das empathielose Gemisch mit einer Menge Sadismus, den der "Tatort" brillant wie erschreckend darstellt: Er trifft vor allem die Frau und Mutter Meike, auf die Sohn und Mann gleichermaßen eindreschen. Die laufende Erniedrigung äußert sich vor allem in Worten: "Wenn sie wenigstens die Wohnung sauberhalten würde", sagt Voss, und: "Du bist schlicht nicht vorzeigbar"; "Ey, wir haben Hunger, Mann!" wird sie vom Sohn angeschrien. Kein Wunder, dass sie sich, als Häufchen Elend von Lina Beckmann denkwürdig gespielt, über Giftspritzen informiert und den Mord an ihrem Mann fantasiert. Die Wut frisst sich hinein.
Dass man den Gedanken, dem Arschlochkind wehzutun, bald verdrängt, liegt am tatsächlichen Mordfall, in dem die Frankfurter Kommissare ermitteln: Im Keller eines Sportleistungszentrums findet man ein totes Kind. Malte Rahmani (Ilyes Raoul Moutaoukkil) wurde getötet, indem man ihn einsperrte und verhungern ließ. Janneke und Brix sprechen zunächst mit dem Leiter des Zentrums – genau jener Joachim Voss, der Felix zum Monster erzieht und als Chef ebenso erbarmungslos agiert. Schließlich will er bald auf einem wichtigen Posten als Sportfunktionär landen.
Der tote Junge, zumal Kind von Migranten, kommt ihm dabei gar nicht gelegen. So wie er seinen Sohn und seine Frau manipuliert, so will er auch in seiner Karriere ausnahmslos alles in der Hand halten. Die Ermittlungen kommen ihm entgegen: Die Kommissare erfahren, dass der Hausmeister des Sportzentrums sich öfter mit Malte traf. Der Mörder ist immer der Hausmeister? Zumindest weist alles, etwas klischeehaft, darauf hin: Sven Brunner (Paraderolle für Stefan Konarske) hat den Schlüssel, ist aggressiv ("Bullenarsch"), zudem Ex-Hooligan, rastet im Verhör laufend aus.
In einer eigentlich nicht notwendigen Nebenhandlung geht der "Tatort" auf die fragwürdige Therapieform ein, der sich Brunner unterzieht. Im "Verein für soziale Neuorientierung", geleitet von einem abermals psychopathisch wirkenden Charakter namens Kristof Waldner (Marek Harloff), leben die Patienten ihre Aggressionen aus, beschimpfen und beleidigen sich. Ja, dieser "Tatort" ist durchzogen von Figuren am psychischen Abgrund.
Der "German Psycho"-Manager ("Immer ein Beweger bleiben"), sein ebenso brutaler Ziehsohn ("Ich sauf dein Blut, Hure!"), die völlig kaputte Mutter ("Du bist ein Teufel!"), dazu der Verdächtige, der mit Aggroblick herumschreit, sowie sein "Therapeut", der Gewalt mit Gewalt beantworten will – sie mögen stereotyp gezeichnet wirken. Man wünscht es sich, aber ahnt insgeheim, wie viel Wahrheit in diesen Charakterdarstellungen steckt.
Fast beruhigt es, nebenher zu sehen, wie ein vom Fall aufgewühlter Kommissar angesichts der ekelhaften Elitetypen wütend wird, billige Wortspiele bringt ("Mit 20 war er Judokader – heute legt er andere mit Investments aufs Kreuz") und sich auf dem schwierigen Frankfurter Wohnungsmarkt eine neue Bleibe suchen lässt. Endlich ein normaler Mensch.