Doppelkopf mit Boerne und Thiel: Die Münsteraner Ermittler sind Zielscheibe einer Rachemission. Sie müssen lernen: Ganz so einzigartig wie gedacht sind sie wohl doch nicht.
Über 30 aufgeklärte Mordfälle in 17 Jahren. Und das bei Einschaltquoten, die an Wahlergebnisse der CSU zu Franz Josef Strauß' Zeiten erinnern. Wirklich einzigartig, die Münsteraner "Tatort"-Ermittler Boerne (Jan Josef Liefers) und Thiel (Axel Prahl)! Wobei – ganz so einzigartig sind sie nun offenbar doch nicht. In "Spieglein, Spieglein", ihrem ersten neuen Fall seit Mai 2018, werden die Publikumslieblinge des ARD-Sonntagskrimis mit Ebenbildern konfrontiert. Ein Serienkiller meuchelt Menschen, die ihnen wie aus dem Gesicht geschnitten sind. Sozusagen in Stellvertretung der echten Ermittler, die verschont bleiben. Das ist, im Sinne der "Tatort"-Fans, dann fast schon wieder rücksichtsvoll zu nennen.
Staatsanwältin Klemm (Mechthild Großmann) sieht trotzdem aus, als wär' ihr der Leibhaftige erschienen, als sie auf Boernes Seziertisch eine verstorbene Dame mit markanten Gesichtszügen und pechschwarzer Wallemähne erblickt. Hätte man ja wirklich nicht für möglich gehalten, dass ausgerechnet dieses Unikat von Frau eine Doppelgängerin hatte. Noch gruseliger: Die Tote, militante Nichtraucherin, wie man erfährt, hatte am Leichenfundort eine Packung Zigaretten bei sich – mit den Fingerabdrücken der Staatsanwältin darauf. Am folgenden Tag: das nächste Mordopfer. Eine kleinwüchsige Eisverkäuferin wurde gemeuchelt. Boernes Assistentin Silke "Alberich" Haller (ChrisTine Urspruch) darf sich angesprochen fühlen. Hatte die Ermordete doch auch noch "Alberichs" vermissten Schal um den Hals.
Eine Serie von Stellvertretermorden also, und da Boerne eine Mütze abhandengekommen ist und Thiel sein offenbar einziges festes Paar Schuhe (man sieht in peinlich berührt in Jesuslatschen ermitteln), ist jedem klar, worauf das alles hinauslaufen soll. Wohl eine narzisstisch motivierte Rachemission, mutmaßen die in vertrauter Hassliebe verbundenen Antipoden. Wo viele Verhaftungen, da viele Feinde. Mal lieber nachgucken im Aktenarchiv, wer da das stärkste Motiv haben könnte.
Ein "alter Bekannter" kehrt zurück
Nadeshda Krusenstern hilft dabei leider nicht – deren Darstellerin Friederike Kempter befand sich zum Drehtermin noch in Elternzeit. Dafür empfielt sich eine "Urlaubsvertretung" mit Namen Mirko Schrader (Björn Meyer), und auch ein "alter Bekannter" kehrt zurück – so hatte es Axel Prahl ja vor Monaten angekündigt. Boerne und Thiel besuchen den einst überführten Serienvergewaltiger Sascha Kröger (Arnd Klawitter) kurz vor Haftentlassung in seiner Zelle. "Tatort"-Fans mit Elefantengedächtnis werden ihn der Folge "Wolfsstunde" (2008) zuzuordnen wissen. Dem Psychopathen wäre so ein Wahnsinnsracheplan zuzutrauen. Doch beteuert er wortreich, im Knast geläutert zu sein. "Ich bin hier drin zum Menschen geworden. Und das hab' ich ihnen zu verdanken. Deswegen sage ich heute danke. Danke!" Zu reizend.
Die Szenen mit Arnd Klawitter in seiner Paraderolle des undurchsichtigen Schleimbeutels sind naturgemäß nicht das Schlechteste dieses Films, der bemüht ist, die Komik und den Thrill in der Balance zu halten. Das klappt meist ganz gut, nur als Boerne und Thiel spät ihre Doppelgänger ermittelt haben, wird es etwas wild. Jan Josef Liefers und Axel Prahl in Doppelrollen kippen dann doch arg Richtung Klamotte. Prahl bemüht sich in der Zweitrolle nicht einmal darum, den charakteristischen Sch-Sprachfehler zu unterdrücken, was das Ganze schon wieder herrlich wurschtig macht. Beim Münsteraner Provinzkrimi versuchen sie gar nicht erst, auf weltläufiges Hochglanz-Entertainment zu machen. Und von Handlungslogik im engeren Sinn halten sie nach wie vor nicht so viel.
Immerhin sind nach einer längeren Serie von zerfransten Klamaukkrimis mal wieder etwas Struktur und Zug in der Sache. Der vergleichsweise junge Autor Benjamin Hessler, Jahrgang '78, hat den Damen und Herren vom Schmunzelrevier zarte Anflüge von Selbstgefälligkeit ausgetrieben (Regie: Matthias Tiefenbacher). Vom themenschweren Bildungsauftrag und künstlerischer Experimentierlust bleibt man indes auch diesmal verschont – ob leider oder zum Glück, das wird ein jeder Zuschauer wohl selbst am besten wissen.