Ein Startalker (Barry Atsma aus "Bad Banks") scheint seinen Stiefsohn umgebracht zu haben. Das vermutet der Zuschauer, doch die Frankfurter Kommissare tappen zunächst im Dunkeln. Ein spannender Krimi um klassische Versteckspiele und die Frage: Was nützt – am Ende – das Showgeschäft?
Inspektor Columbo lässt grüßen. Zu Beginn des neunten "Tatorts" mit den Frankfurter Kommissaren Janneke (Margarita Broich) und Brix (Wolfram Koch) sieht man einen Kapuzenmann beim Zerhacken einer Leiche im Wald. Im Gegenschnitt lernt der Zuschauer den smarten Talkmaster Maarten Jansen kennen. Gespielt wird er von Barry Atsma, dem charismatischen Superbanker aus "Bad Banks". Wieder Gegenschnitt – der Kapuzenmann nimmt seine Kopfbedeckung ab und entpuppt sich als eben jener TV-Star. Fall also gelöst? Langeweile für die noch verbleibenden 84 Minuten? Nun, der "Tatort: Das Monster von Kassel" arbeitet mit dem alten Trick, dass der Zuschauer mehr weiß als die Ermittler. Sie nämlich werden von Frankfurt – wo zuerst Teile der zerhackten Leiche gefunden werden – nach Kassel gerufen, wo die DNA eines 17-jährigen Vermissten zum toten Teilkörper passt.
Janneke und Brix schlagen ihre Zelte also in Nordhessen auf. Sie befragen die Mutter des toten Teenagers (Stephanie Eidt), dessen älteren Bruder (Justus Johanssen) und natürlich den Hausherren, Maarten Jansen, einen Prominenten, den ganz Deutschland kennt.
Erfahrene Krimiseher wissen: Das Showgeschäft hat seine Tücken. Doch warum sollte ein kontrollierter, rational denkender Fernsehprofi einen solch absurden Mord begehen? Zumal am Stiefsohn, mit dem er sich offenbar immer gut verstanden hat? Während dem Zuschauer Zweifel kommen, ob er in diesem Out-of-area-Einsatz der Frankfurter Ermittler erzählerisch an der Nase herumgeführt wird, beginnt – nüchtern, aber durchaus spannend geschildert – die klassische Polizeiarbeit: Analyse der verstreut abgelegten Leichenteile, Rekonstruktion der letzten Nacht des Opfers und Befragung von Zeugen und Familienmitgliedern.
Was beim Zusehen verfängt, ist die Schlinge, die sich immer enger um Maarten Jansens Hals zu schließen scheint. Doch warum ist der Frauenschwarm und Menschenversteher nur so selbstsicher? Warum fühlt er sich offenbar unverletzlich? Hat der Erfolg im Showgeschäft Maartens Blick auf die – bei so vielen Hinweisen – letztlich recht wahrscheinliche Aufklärung des Falles verhagelt?
Narziss und Talkmund
Krimis, die in der Medienbranche, speziell beim nonfiktionalen Fernsehen spielen, hat man schon viele gesehen. Liegt ja nahe, dass sich Drehbuchautoren ein wenig an jenem Umfeld abarbeiten, mit dem viele von ihnen von Berufs wegen zu tun haben. Im Jahr 2019 freilich scheint es größere Probleme in Deutschland zu geben als die Verführbarkeit seiner Bürger durch Demagogen aus dem Reality-TV. Wenn sich der Verdächtige also vor seiner ersten Sendung nach dem Mord am Stiefsohn Augentropfen verabreicht, damit ein persönliches Statement vor der Kamera tränenreicher wird, erscheint einem das alles ein bisschen "Nineties".
Trotzdem bekommen die erfahrenen Drehbuchautoren Stephan Brüggenthies und Andrea Heller – sie schrieben für Janneke und Brix schon die ambitionierte, etwas überzogene Folge "Wendehammer" – noch einen neuen Dreh an die Story: Man fragt und wundert sich, ob und warum dieser Mann so aus der Rolle fallen konnte und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Je länger die Ermittlungen dauern, desto schlechter sieht es für Maartens Gewinner-Fassade aus. Doch der Mann wirkt immer, als hätte er noch ein Ass im Ärmel. Exakt in jener Facette liegt der Reiz dieses Krimis, der unter der Regie von Umut Dag ("Das deutsche Kind") entstand, einem preisgekrönten Wiener mit türkischen Wurzeln.
"Das Monster von Kassel", ein "Tatort" aus dem Hause des experimentierfreudigen Hessischen Rundfunks, ist ein ordentlicher und spannender, aber kein vollends überzeugender Fall des seit Mai 2015 ermittelnden Teams. Barry Atsma, der für seine Hauptrolle in "Bad Banks" 2018 den Deutschen Schauspielpreis bekam, ist der das Geschehen dominierende Gaststar dieser Folge. Der andere, Charakterdarstellerin Christina Große, die die Kasseler Ermittlerin vor Ort spielt, geht mit ihrem leisen, aber wie immer präzisen Part, dagegen fast ein bisschen unter.