Wie hängen ein Mordanschlag auf Kommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler), Stimmen im Kopf von Kollegin Anais Schmitz (Florence Kasumba) und ein missglückter Auslandseinsatz der Bundeswehr zusammen? Das Göttinger Duo bekommt es in seinem zweiten Fall mit einem komplexen Fall zu tun.
Aus dem Marvel-Universum direkt zur deutschen TV-Institution "Tatort": Was auf den ersten Blick ungewöhnlich klingt, entspricht dem Werdegang Florence Kasumbas. Nachdem die gebürtige Uganderin unter anderem in "Black Panther" und "Wonder Woman" Hollywoodluft schnupperte, landete sie 2019 im niedersächsischen Göttingen. Als neue Partnerin der strafversetzten Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) ermittelte Kasumba als Anais Schmitz erstmals in der Universitätsstadt. Bei den "Tatort"-Fans sorgte der Fall einer verschwundenen Teenagerin für bemerkenswerten Resonanz. Die Quote kratzte an der Zehn-Millionen-Schallmauer, und Kasumba wurde wenig später in einer Umfrage zur "coolsten Kommissarin" gekürt. Trotz aller Lobeshymnen war die Chemie zwischen den taffen Kommissarinnen noch ausbaufähig. Ob es in ihrem zweiten Fall "Krieg im Kopf" besser wird?
Jedenfalls wird ihr Verhältnis gleich zu Beginn einer harten Belastungsprobe unterzogen. Denn der "Tatort" ist erst wenige Sekunden alt, schon schwebt Lindholm in Lebensgefahr. Ein offensichtlich verwirrter Mann (Matthias Lier) bedroht die Kommissarin mit einem Messer und faselt etwas von Stimmen in seinem Kopf. Bevor es jedoch zur Eskalation der Lage kommt, zückt Schmitz die Waffe und verwundet den Angreifer mit einem gezielten Schuss tödlich. Nach dem temporeichen Auftakt schlingern die beiden Beamtinnen sichtlich getroffen von den Vorkommnissen durch eine Ermittlung ungeahnter Tragweite rund um einen Auslandseinsatz der Bundeswehr in Mali.
Bevor sich der Grimmepreis-gekrönte Regisseur Jobst Christian Oetzmann jedoch auf den eigentlichen Fall konzentriert, räumt er der Beziehung zwischen Lindholm und Schmitz sehr viel Zeit ein. So richtig warm werden die Ermittlerinnen auch im zweiten Film nicht miteinander. Teamwork ist für diese einsamen Wölfinnen ein Fremdbegriff, stattdessen dominiert Konkurrenzdenken die Arbeit. Dabei sind sich die Polizistinnen eigentlich sehr ähnlich. Während Lindholm nach dem Angriff zu Beginn nicht mehr schlafen kann, wird Schmitz von Visionen heimgesucht. Nach außen hin sind beide jedoch penibel darauf bedacht, keine Schwäche zu zeigen.
Reibungslose Kommunikation und gegenseitiges Vertrauen wären in diesem Fall aber so wichtig. Es ist ein Fall, der das Duo persönlicher betrifft, als es ihm lieb sein kann. Und das, obwohl zunächst alles wie gemalt aussieht. Der Tote, der Soldat Benno (Matthias Lier), war seit seiner Rückkehr aus Mali ein gebrochener Mann, der trotz psychologischer Behandlung Stimmen hörte und zu Aggressionen neigte. Nachdem auch seine Frau tot aufgefunden wird, scheint er als Täter festzustehen.
Doch Lindholm und Schmitz stoßen auf Ungereimtheiten, sowohl beim Tathergang als auch bei einem Bundeswehreinsatz, bei dem unter ungeklärten Umständen mehrere Soldaten ums Leben kamen. Die Fäden führen bei einem Rüstungskonzern zusammen, der sich auf Hightech-Waffen spezialisiert hat. Mit futuristischen Kampfhelmen will das Unternehmen Soldaten in Militärmanövern bestmöglich schützen – so die offizielle Aussage. Dass sich hinter dem beschönigenden PR-Sprech aber eine drastische Ernsthaftigkeit verbirgt, erfährt Kommissarin Schmitz in Form von Stimmen in ihrem Kopf und Anflügen von Verfolgungswahn am eigenen Leib.
Mit Schallfrequenzen direkt ins Gehirn eines Menschen eintauchen, um sie dann quasi fernsteuern zu können: Die technologischen Entwicklungen, die die "Tatort"-Episode aus der Feder von Christian Jeltsch vorstellt, sind faszinierend und beängstigend zugleich. Was auf den ersten Blick wie Science-Fiction anmutet, ist aber gar nicht so weit weg von der Realität. Tech-Pioniere wie Mark Zuckerberg und Elon Musk tüfteln bereits an Kommunikationssystemen, bei denen Nachrichten durch bloßes Denken verschickt werden können – das sogenannte Brainhacking macht es möglich.
Wie gefährlich es sein kann, wenn diese Mauer zur letzten Bastion des Menschen, des Verstandes, eingerissen wird, verdeutlicht der ambitionierte Krimi vor allem in der letzten halben Stunde. Wird auch noch das Gehirn durchleuchtet, werden Menschen zu Maschinen: Diese eindringliche wie gefährliche Botschaft vermittelt der Film, wenngleich wegen der zeitintensiven Psychogramme der Kommissarinnen am Ende etwas wenig Zeit dafür bleibt.
Tatort: Krieg im Kopf – So. 29.03. – ARD: 20.15 Uhr