Nachdem Jörg Müllner 75 Jahre nach Kriegsende für das ZDF bereits die in Farbe gedrehten Amateurschätze "Wir im Krieg" und "Deutschland von oben 1945" präsentierte, wird er nun erstmals in der Zeit des Wiederaufbaus fündig. Deutsche filmten mit eigener Hand, wie sie das "Wirtschaftswunder" erlebten.
Nach vielfachen Dokumentationen über die Zeit des Nationalsozialismus entdeckte der Zeitgeschichtsautor Jörg Müllner gerade rechtzeitig zum 75. Jahrestag des Kriegsendes ein völlig neues Feld: Müllner wurde in privaten Filmarchiven fündig, mit Aufnahmen, wie sie in den offiziellen Propagandastreifen und Wochenschauberichten niemals vorkamen. Wer allerdings zur Farbfilmkamera greifen konnte, war meist privilegiert und nicht selten auch in Filmclubs engagiert. Die Filmer der Nachkriegszeit, die größtenteils ihre eigene Aufbauleistung, den Lebensmut und die neue Freiheit zeigten, ergatterten ihr teures Farbfilmmaterial häufig auf dem Schwarzen Markt und dokumentierten damit frühes Nachkriegsglück.
Aber es gab auch den Kriegsheimkehrer, der, beinamputiert, 1949 eng beschriebene Adresszettel in seiner Krücke versteckte und aus russichen Gefangenenlagern in die Heimat transportierte, um Angehörigen und Freunden Nachrichten von Mitgefangenen zu überbringen. Dass die Botschaftsreisen per Motorrad bis Spanien und Marokko führten, kam den freudespendenden Bildberichten des späteren Bundeswehr-Majors ("Ich hatte nichts anderes gelernt als Soldat zu sein") sicherlich zugute.
Manche hatten, wie schon in der Kriegsdoku "Wir im Krieg" gezeigt, von Not- und Kriegszeiten kaum etwas bemerkt – es ging ihnen durchgehend gut. Ein filmender Rizinusöl-Hersteller etwa blieb vom Krieg verschont. Reisen nach Ascona, Monte Carlo oder Mexiko zeugen von gewachsenem Wohlstand, eine Fahrt zum Obersalzberg von zumindest zeitgeschichtlichem Interesse.
Junge Firmengründer und alteingesessene Konzerne prägen das bunte Bild der Wiederaufbau-Zeiten. Sinnbildlich die Bäckersfamilie aus Stuttgart, die in großer Zahl buchstäblich aus Ruinen die neue Großkonditorei mit Café erschafft, während wieder ein anderer findiger Stuttgarter Bunkerhotels mit Bettwäsche beliefert. Selbst der reiche Rückkehrer aus Amerika fehlt nicht. Der holt die nach dem Krieg in alle Winde verstreute Flüchtlingsfamilie heim und gibt ihr ein Dach über dem Kopf.
Historiker, Soziologen und Filmwissenschaftler setzen die Filme in den zeitgeschichtlichen Zusammenhang, aber auch die Nachfahren der Filmer kommen zu Wort und berichten über die familiären Zusammenhänge hinter all den Bildern, die das Nachkriegsdeutschland neu beleben. Spannender kann dieses Kapitel deutscher Geschichte wohl kaum vermittelt werden.
Wir bauen auf! – Privatfilme aus der Nachkriegszeit – Di. 01.12. – ZDF: 20.15 Uhr